Ein bisschen DIY

Ton & Text Vom Fan zum Dealer: Wie die Kaiser Chiefs versuchen, mit einem postmodernen Tupperware-Modell ihr neues Album unter die Leute zu bringen

Man fühlt sich ein wenig wie auf der Homepage einer Vertreterversammlung: „Make £1 for each one you sell“ ist da zu lesen und wie das funktioniert, steht in der gebotenen Kürze auch gleich dabei: „Create your own version of our album“. Es geht also nicht um Tupperdosen oder Bibeln, sondern um das neue Album der englischen Band Kaiser Chiefs.

Neue Ideen, um neue Alben an den zahlenden Kunden zu bringen, sind derzeit hoch im Kurs. Wer als halbwegs bekannte Band mit einer um die Ecke kommt, hat dabei mindestens schon mal die Aufmerksamkeit für sich. Mir nichts dir nichts präsentierten soeben die Kaiser Chiefs ihr eigentlich erst für den Sommer angekündigtes Album The Future Is Medieval, das derzeit ausschließlich auf der Band-Homepage erhältlich ist. Allerdings nicht einfach als schnöder Download. Das Kaiser Chiefs-Modell setzt auf das gute alte Prinzip der Individualisierung und versucht gleichzeitig, das leidlich bekannte Problem des kaum lohnenden Downloads nur einzelner Songs auf recht clevere Weise zu umgehen. Und so muss man zehn Tracks gemeinsam kaufen – kann sich aber immerhin aussuchen, welche, indem man sich eine individuelle Trackliste aus 20 angebotenen selbst zusammenstellt. (Wobei vermutlich darauf spekuliert wird, dass sich der echte Fan selbstredend auch die „zweite Wahl“ zulegen, also zwei Alben kaufen muss.) Es ist eine Art extrem vereinfachtes Do-It-Yourself-Prinzip, das beim Artwork konsequent weitergeführt wird. Denn auch das muss aus vorgefertigten Grafik-Elementen per Drag und mit zwei simplen Schiebereglern ganz individuell designt werden, bevor es ans Bezahlen per Paypal geht. 7,50 englische Pfund – um die 8,65 Euro sind das im Moment – ist dann ein durchaus akzeptabler Preis, der deutlich unter dem normalen Preis für Download-Alben der einschlägigen Portale liegt.

Material fürs virtuelle Klinkenputzen inklusive

Der – aus Marketingsicht – eigentliche Clou kommt allerdings erst jetzt zum Zug. Für jedes dieser erstellten Alben wird eine eigene Seite generiert, auf der man diese Version direkt kaufen kann. Ein Pfund von jedem dieser Weiterverkäufe erhält der „Urheber“. Das wiederum mutet äußerst fair an und dürfte sogar mehr sein, als die Band selbst erhält, wenn man die Produktionskosten mit einrechnet. Wer es drauf anlegt, kann „sein“ Album dann unters Volk bringen. Das Material für das virtuelle Klinkenputzen gibts zum Album dazu: Banner für die eigene Webseite, samt fluffig formulierter Anleitung zur Einbindung. Drauf sind natürlich das selbst kreierte Cover und der Link zur Sub-Homepage. Wer partout noch auf analoge Werbung setzen will, bekommt sogar den passenden Aushangzettel samt vorgefertigten Abreißschnipseln mit der „eigenen“ Webadresse als PDF zum Selbstausdrucken serviert.

Es ist – das muss man auf jeden Fall anerkennen – eine rundum recht liebevoll gestaltete Aktion. Es erfordert vielleicht ein gerüttelt Maß an Interesse an der Band, sich zehn Songs auszusuchen, doch die Gestaltung des Covers macht zweifelsfrei Spaß und für den Preis ist es sowieso mal einen Versuch wert, da muss man die Kaiser Chiefs noch nicht mal besonders mögen. Ob sich der Aufwand für diese Art der Veröffentlichung wirklich rechnet, sei dahingestellt. Sicher wird es noch ein „reguläres“ Album im Handel geben, da lässt sich eine derartige Aktion schlimmstenfalls als gelungene Promotion verbuchen, zumal die Band – das kann man mit aller gebotenen Vorsicht annehmen – den Zenit ihres Ruhms sicher schon überschritten hat und den Sympathiebonus gut gebrauchen kann. Was wiegt dagegen schon das Argument der letztendlichen – zumindest teilweisen – Aufgabe der künstlerischen Hoheit? Nichts. Diese Kapitulationserklärung des Prinzips eines vom Musiker bestimmten Album-Kunstwerks gerade in Hinsicht auf Tracklisting und Artwork folgt der Zwangslogik von Downloadzeitalter und Playlisten-Verwaltung auf Endverbraucherseite.

Ob sich das Affiliate-Prinzip des „pay per sale“ – so heißt das im Fachjargon, man kannte das bisher eher von Amazon-Links mit Umsatzbeteiligung – sich mal eben so auf Musikalben im Direktvertrieb anwenden lässt, musste irgendjemand mal ausprobieren. Dass dabei das System der uneigennützigen Musik-Empfehlung aus Geschmacksgründen untergraben wird, da man durch den Verkaufsanteil gewissermaßen korrumpiert wird, gehört zum System. Ebenso wie das damit verbundene unvermeidliche „virale Marketing“, das die eigentliche – nämlich ehrliche – Weiterempfehlung ersetzt, was in diesem konkreten Fall sicher der wichtigere Aspekt ist. Zumindest liegt diese Vermutung nahe, wenn man sich die Top fünf der „Best Sellers“ anschaut. Weit unter hundert liegt nach fünf Tagen der Absatz des Spitzenreiters „rickyw“, von dem man munkelt, dahinter verberge sich die Band selbst, also die quasi-offizielle Version. Schon auf Platz fünf sind es dann unter zehn weiterverkauften Alben. Ob das dem grundlegenden Ansatz geschuldet ist oder durch ein Drehen an Preis oder Rahmenbedingungen geändert werden kann, wird demnächst garantiert viele wichtige Menschen beim Major Universal Music beschäftigen. Denn auch, wenn die Idee für die Aktion von den Kaiser Chiefs selbst gekommen sein soll – dass es sich hier nicht um die Privatveranstaltung einer mittelberühmten Band handelt, beweist ein simpler Blick auf den eigenen Kontoauszug. Abgebucht wird der Album-Preis direkt von Universal Music.

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