Es gibt ihn noch: den Plattenladen

Ton und Text Zurück in die Zukunft: Am 17. April feiert der Record Store Day die technologische Unvollkommenheit, das Beharren auf der Nische und die Kultur des Liebhabertums

Maschinen haben die Kontrolle über unseren Musikgeschmack übernommen. Wer heutzutage seine Musik im einschlägigen Online-Store kauft und sich durch die reichhaltigen Empfehlungen klickt, wer sich vom Webstreamradio eine Playlist vorschlagen lässt oder sich seinen iTunes-Mix mit Genius erstellt, verlässt sich auf einen mehr oder weniger treffsicheren Algorithmus. Auf eine technische Formel, die berechnet, was man für gut halten könnte.

Findet man also – sagen wir mal – die Indierock-Band Queens Of The Stone Age gut, wird man unweigerlich auch auf Them Crooked Vultures verwiesen, weil auch dort der Rockstar Josh Homme mitspielt. Er wird aber so garantiert nicht über den Bluesmann Howlin Wolf oder Jazzlegende Nat King Cole stolpern. Das wiederum findet Homme gar nicht gut und erzählt im YouTube-Video, warum man bitteschön bald mal wieder den nächsten "Independent Record Store" aufsuchen sollte. Eben, um derlei fantastische Künstler kennen zu lernen, um ein Schwätzchen zu halten, vielleicht auch einen Kaffee zu trinken und – natürlich – um sich durch die neuesten Platten zu wühlen.

"Plattenladen", ist der gängige deutsche, heute unrettbar altmodisch klingende Begriff für diesen immer noch magisch anmutenden Ort, dessen Betreten früher unabdingbar war, wenn man denn auch nur einen Hauch an Popmusik interessiert war. Ein selbstverständlicher Ort, wenn man so will, die letzte Etappe des "Vertriebsweges" vor dem "Verbraucher". Aber wo Vertriebswege und Verbraucher sind, lässt sich rationalisieren und zentralisieren, können Gewinnmargen optimiert, unrentable Bereiche dichtgemacht werden.

Wer Vinyl liebt, liebt Musik

Es gibt also jetzt – noch, möchte man gleich anmerken – die CD-Abteilungen bei Müller, Saturn und Konsorten, die heutzutage auch schon wieder schrumpfen und Platz für DVD-Regalreihen machen müssen, die wiederum praktisch schon abgeschrieben sind. Denn wer braucht schon die CD, dieses kleine hässliche Ding, bei deren Hülle dauernd irgendein Stück Plaste abbricht und wo man schon mal einen Fingernagel riskiert, nur um das Booklet aus den Naben zu klauben? Wenn man sich gleich ein paar Gigabyte Datenmenge auf die Festplatte schaufeln kann. Für lau.

Der Plattenladen liefert die Gegenkultur zum Wert(e)verfall. Es gibt ihn noch, genau so, wie es das Vinyl noch gibt, die "Schallplatte" mit der unschlagbaren Haptik und dem sinnlich-großen Cover, deren Auflegeritual mehr denn je auch eine Würdigung vor dem darstellt, was in die Rillen gepresst wurde. Wer Vinyl liebt, liebt auch Musik, liebt den Plattenladen. Ein Massenmarkt ist das nicht mehr, aber eine Nische, die ihren Platz behauptet, gar trotzig in die Offensive geht. Seit 2007 gibt es den "Record Store Day", immer am dritten Samstag im April, ins Leben gerufen, um die 700 unabhängigen Plattenläden zu würdigen, die es in den USA ungefähr noch geben soll. Die Resonanz ist gigantisch.

Heute ist schon die Release-Liste aus diesem Anlass kaum noch zu überschauen. An die 280 exklusive Veröffentlichungen gibt es allein in den USA und in UK, ein Großteil davon in Kleinstauflage und auf "7-Inch", dem klassischen Singleformat, das die Jukebox-Ära trotzig überlebt hat. Quer durch die Labellandschaft reicht das Engagement, vereint verschiedenste Stile und es ist fast schon ehrenrührig, als Musiker nicht dazu zu gehören. So steuern die Rolling Stones einen bisher unveröffentlichtes Stück bei oder sorgen Blur mit dem ersten neuen Song seit der Trennung für weltweite Furore.

Tausend Stück wird es von dieser spektakulären Single geben, nur in den englischen Läden, die am "Record Store Day" teilnehmen. Aber auch überall sonst in der westlichen Welt wird gefeiert, spielen Bands in den Läden. Und selbstredend gibt es auch was Schickes von Josh Hommes Them Crooked Vultures: eine 10-Inch-Picture-Disc. Wer mit diesem Begriff etwas anzufangen weiß, ist genau richtig beim "Record Store Day".

Dieser Text ist in Kooperation mit entstanden www.motor.de


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