Maschinen haben die Kontrolle über unseren Musikgeschmack übernommen. Wer heutzutage seine Musik im einschlägigen Online-Store kauft und sich durch die reichhaltigen Empfehlungen klickt, wer sich vom Webstreamradio eine Playlist vorschlagen lässt oder sich seinen iTunes-Mix mit Genius erstellt, verlässt sich auf einen mehr oder weniger treffsicheren Algorithmus. Auf eine technische Formel, die berechnet, was man für gut halten könnte.
Findet man also – sagen wir mal – die Indierock-Band Queens Of The Stone Age gut, wird man unweigerlich auch auf Them Crooked Vultures verwiesen, weil auch dort der Rockstar Josh Homme mitspielt. Er wird aber so garantiert nicht über den Bluesmann Howlin Wolf oder Jazzlegende Nat King Cole stolpern. Das wiederum findet Homme gar nicht gut und erzählt im YouTube-Video, warum man bitteschön bald mal wieder den nächsten "Independent Record Store" aufsuchen sollte. Eben, um derlei fantastische Künstler kennen zu lernen, um ein Schwätzchen zu halten, vielleicht auch einen Kaffee zu trinken und – natürlich – um sich durch die neuesten Platten zu wühlen.
"Plattenladen", ist der gängige deutsche, heute unrettbar altmodisch klingende Begriff für diesen immer noch magisch anmutenden Ort, dessen Betreten früher unabdingbar war, wenn man denn auch nur einen Hauch an Popmusik interessiert war. Ein selbstverständlicher Ort, wenn man so will, die letzte Etappe des "Vertriebsweges" vor dem "Verbraucher". Aber wo Vertriebswege und Verbraucher sind, lässt sich rationalisieren und zentralisieren, können Gewinnmargen optimiert, unrentable Bereiche dichtgemacht werden.
Wer Vinyl liebt, liebt Musik
Es gibt also jetzt – noch, möchte man gleich anmerken – die CD-Abteilungen bei Müller, Saturn und Konsorten, die heutzutage auch schon wieder schrumpfen und Platz für DVD-Regalreihen machen müssen, die wiederum praktisch schon abgeschrieben sind. Denn wer braucht schon die CD, dieses kleine hässliche Ding, bei deren Hülle dauernd irgendein Stück Plaste abbricht und wo man schon mal einen Fingernagel riskiert, nur um das Booklet aus den Naben zu klauben? Wenn man sich gleich ein paar Gigabyte Datenmenge auf die Festplatte schaufeln kann. Für lau.
Der Plattenladen liefert die Gegenkultur zum Wert(e)verfall. Es gibt ihn noch, genau so, wie es das Vinyl noch gibt, die "Schallplatte" mit der unschlagbaren Haptik und dem sinnlich-großen Cover, deren Auflegeritual mehr denn je auch eine Würdigung vor dem darstellt, was in die Rillen gepresst wurde. Wer Vinyl liebt, liebt auch Musik, liebt den Plattenladen. Ein Massenmarkt ist das nicht mehr, aber eine Nische, die ihren Platz behauptet, gar trotzig in die Offensive geht. Seit 2007 gibt es den "Record Store Day", immer am dritten Samstag im April, ins Leben gerufen, um die 700 unabhängigen Plattenläden zu würdigen, die es in den USA ungefähr noch geben soll. Die Resonanz ist gigantisch.
Heute ist schon die Release-Liste aus diesem Anlass kaum noch zu überschauen. An die 280 exklusive Veröffentlichungen gibt es allein in den USA und in UK, ein Großteil davon in Kleinstauflage und auf "7-Inch", dem klassischen Singleformat, das die Jukebox-Ära trotzig überlebt hat. Quer durch die Labellandschaft reicht das Engagement, vereint verschiedenste Stile und es ist fast schon ehrenrührig, als Musiker nicht dazu zu gehören. So steuern die Rolling Stones einen bisher unveröffentlichtes Stück bei oder sorgen Blur mit dem ersten neuen Song seit der Trennung für weltweite Furore.
Tausend Stück wird es von dieser spektakulären Single geben, nur in den englischen Läden, die am "Record Store Day" teilnehmen. Aber auch überall sonst in der westlichen Welt wird gefeiert, spielen Bands in den Läden. Und selbstredend gibt es auch was Schickes von Josh Hommes Them Crooked Vultures: eine 10-Inch-Picture-Disc. Wer mit diesem Begriff etwas anzufangen weiß, ist genau richtig beim "Record Store Day".
Dieser Text ist in Kooperation mit entstanden www.motor.de
Kommentare 24
Eben bei Dussmann auf der zweiten Etage das gleiche Gefuehl.
Das blöde an diesem Vinylhype ist allerdings, dass ein Großteil dieser auf Vinyl wieder veröffentlichten Sachen, von so grottenschlechter Qualität ist, dass das keine Freude ist.
Und das bezieht sich nicht nur auf die miesen Pressqualitäten.
Zum größten Teil wird dort die nur noch DIGITAL vorhandene und abgespeicherte Musik einfach auf Vinyl „übertragen“, d. h. die notwendigen „ANALOGEN Tapes“ zur Herstellung der „Urmatritze“ einer Schallplatte sind oft gar nicht mehr vorhandenen. Und gerade dieses analoge „altmodische“ Aufnahmeverfahren sorgte ja für diesen warmen, unverfälschten und „unvermittelten“ Sound – egal ob U oder E-Musik.
Weiß man eigentlich, wie viele (unabhängige) Plattenläden es in Deutschland noch gibt?
Interessant wäre doch auch die Beantwortung der Frage, ob es überhaupt noch Produzenten analoger Musik gibt.
In Frankreich haben vor einiger Zeit ein paar junge Musiker aus dem Bereich P-Funk/Jazz usw. mit günstig erworbenen Equipment aus dem ehemaligen legendären Rudy Van Gelder! Studios ein eigenes Studio und Label gegründet. Dem auf Hype und Moden getrimmte Konsument geht sowas am Allerwertesten vorbei - allerdings scheint es bei den jüngeren Menschen genügend zu geben, die so eine "altmodische" Produktion goutieren und so profitabel und überlebensfähig machen.
Schwer zu sagen, es ist vor allem auch eine Frage der Definition. Gemeint sind hier ja Läden mit einem vergleichsweise umfassenden Angebot quer durch die Stile, mit deutlichem Vinylangebot (was CDs nicht ausschließt). Eher nicht darunter fallen meiner Meinung nach die eher DJ-orientierten Läden mit umfassendem Dancefloor-Angebot (wo man sich sicher streiten kann) und die Unmengen an Second-Hand-Läden (auch, wenn die sehr oft auch aktuelle Vinyle führen).
Ich denke, wir reden in Deutschland von über den Daumen maximal 50 ernstzunehmenden, professionell agierenden "Plattenläden" im oben beschriebenen Sinn.
Ja, so ist es wohl immer und wird es wohl auch immer sein:
Der Mensch liebt die Retrospektive; nach dem Motto "früher war alles besser" ... :-)
"Schon" im "CD-Zeitalter" hieß es ja, diese kalte Digitalisierung täte der Musik schlechtes (und das in der Blütezeit der elektronischen Musik ...)
und auf jeden Fall sei der "wärmere" Sound der Schallplatte vorzuziehen ...
Wenn man objektiv sein wollte, ist es freilich Humbug zu sagen, der oder der liebe Musik mehr, weil er dieses oder jenes Medium bevorzugt.
Man könnte auch so fundamental sein und behaupten, jede Fixierung von Klangereignissen auf Tonträgern sei ein Einfrieren jeglicher Musik und hätte mit Musik als Aktion nichts mehr zu tun. Selbst der Dirigent S. Celibidache hat das Aufnehmen seiner Orchsteraufführungen noch verabscheut.
Wenn man heute der Platte hinterherheult, so müsste man auch sehen, das die Schallplatte einst auch nur ein Meilenstein auf dem Wege weiterer technischer Entwicklungen war ...
Auch damals mag so manchem Musikliebhaber, der da noch identisch war mit Musikausübenden, die Schallplatte vielleicht ein Dorn im Auge gewesen sein ...
Aber, mir geht es auch so: Musik als beliebige Massenware via online-Shop ist mir auch ein Gräuel!
...Du solltest Dir dringend einen Satz neue Ohren leisten und Deine alte Toilettenanlage zum nächsten Schrotter bringen...
"Und gerade dieses analoge „altmodische“ Aufnahmeverfahren sorgte ja für diesen warmen, unverfälschten und „unvermittelten“ Sound – egal ob U oder E-Musik."
So ist es!
Ich bin mal eben in Gedanken nur die Läden in meiner Friedrichshainer Kiezumgebung ( Boxikiez, Samariterkiez, Ostkreuz) durch gegangen.
Ich habe 12 Läden gezählt!
"...und das in der Blütezeit der elektronischen Musik ...)"
Das mag für elektronische Musik stimmen, da mögen CD´s und was es sonst noch so neues gibt, ganz richtig sein.
Aber ich höre kaum diesen elektronischen Kram. ;-)
Die Sehnsucht nach der alten Vinyl-LP halte ich aus vielerlei Gründen für verlogene Nostalgie. Die meisten Leute, die ich kenne, haben noch aus früheren Jahren eine umfangreiche LP-Sammlung. Trotzdem hören auch die hauptsächlich CDs. Die Uhr lässt sich eben nicht zurückdrehen.
Es gibt aber einen hörpsychologischen Grund, wieso ich die alten LPs vermisse. Die Länge einer LP betrug maximal 60 Minuten. Die meisten LPs hatten pro Plattenseite ca. 22, 5 Minuten, so dass man bei einer LP auf 45 Minuten Hörlänge insgesamt kam. Das war meistens auch das, was man bereit war, an Konzentration in ein Musikwerk zu stecken.
Bei heutigen CDs ist eine Spiellänge von 70 Minuten und mehr keine Seltenheit. Ich kann mich nur sehr selten an die letzten Stücke auf einer CD erinnern. Nach 45 Minuten schalte ich meistens ab.
Bei LPs wurde das ganze minderwertige Material erst gar nicht veröffentlicht. Das war gut so.
Heutige CDs dagegen sind das reine Grausen. Der ganze Müll, der bei irgenwelchen Session anfiel, landet als Alternate Takes, Alternate Versions, Bonus Tracks usw. mit auf der CD.
Ich weiß nicht, ob die Plattenfirmen mit aller Gewalt die Spiellänge ausdehnen wollen oder ob sich die Künstler für so wichtig halten, dass sie glauben, jedes Geklimper von ihnen muss der Nachwelt erhalten bleiben.
Da war man mit der alten Vinyl-LP erheblich besser bedient: da gab es immer nur das Best of-einer Musik-Session. Der Rest landete im Müll - und zwar zu Recht!
...man kann so gut wie alles für verlogen halten, nur sollte man dann, wenn man ernst genommen werden will, auch sagen warum...
Man braucht das Thema gar nicht künstlich vertiefsinnigen.
Es ist nämlich vollkommen wurscht. Wenn einer Vinyl mag und seine Plattensammlung schätzt, dann ist das doch okay. Was muß man das noch begründen?
Gilt auch für CD´s ,Tonbandfreunde oder Schellackplatten-Fans mit Gramophon, etc.
Das mit dem "hörpsychologischen Grund" kann ich gut nachvollziehen.
Da es scheinbar nur mir überhaupt nicht um's Anhäufen und Sammeln von Dingen geht, muß man das auch hier wirklich nicht weiter thematisieren.
Hatte ja auch schon das Vergnügen mit den Bibliofetischisten und ihren vielfältigen und neurotischen Ordnungs - und Gestaltungsproblemen im Nachbarblog.
Dazu fällt mir auch überhaupt nichts mehr.
Ich persönlich halte die Diskussion aus audiophiler Sicht ja eher für nicht wirklich spannend. (Wenn auch naturgemäß wichtig für Audiofreaks.) Für mich geht es um Respekt vor dem Inhalt, um die Schönheit des Mediums und um den Umgang, den man über ein Medium mit dem Inhalt hat. Soll heißen: Natürlich habe ich einen iPod, eine Festplatte und bin absolut glücklich mit der Option einen relativ großen Teil meiner Musik mobil dabeizuhaben. Das ist herrlich!
Aber eine Vinylplatte hat eine ganz andere "Präsenz", sie erfordert einen Umgang mit ihr, der letztendlich eben auch der Musik gilt, die sie wiedergibt. (Die CD hingegen ist – das zeigt die technologische Entwicklung deutlich – ein Übergangsprodukt, das halt gewisse Vorteile der Digitalisierung nutzen konnte. Und ich frage mich ernsthaft, was ich mit meinen anfangen soll in so 3/4 Jahren.)
…ist auch nicht wirklich spannend. Sie haben das ganz nett beschrieben, wie durch die Vorliebe hiesiger „Präsenz“ auch die „Liebe“ zum Inhalt (hier Musik) zum Ausdruck kommen KANN.
Die alltagtauglichen Vorteile und die Mobilität eines iPod’s nutze ich selber.
Das der technologische Fortschritt aber immer im Dienst einer ganz speziellen betriebswirtschaftlichen „Rationalität“ steht, die den meisten Menschen längst schon zur „zweiten Natur“ geworden scheint, bleibt neben „Effizienz“ und Mobilität die Qualität und Authentizität eines „Produktes“ oft auf der Strecke.
Das ist schön für den Produzenten von digitalem Billigschrott, seine jetzt wesentlich kostengünstigeren Produkte nun für noch mehr Geld an den Konsumenten zu verschachern. Und für den gemeinen und entseelten Kaufesel reichte da schon seinerzeit (CD-Einführung) die Versicherung und PR der Industrie völlig aus, es handele sich um wuchtige Innovation und noch nie dagewesene Qualitätsvorteile.
Das Knacken ist schoen, aber es bleibt ein verhaeltnismaessig umstaendlich zu bedienendes sperriges Moebel. Ja, wenn es interessante neue Platten gaebe
Die alltagtauglichen Vorteile und die Mobilität eines iPod’s
>>
Ist das nicht vielleicht auch sowas wie ein Schnuller? Jedenfalls Herrschaft ueber das Hoeren
hörpsychologischen Grund, wieso ich die alten LPs vermisse
>>
Was ich fast ausschliesslich gehoert hab war Miles Davis wo die Platten etwas laenger waren und ueber Teo Macero kann man streiten. Es gibt wunderbare Sachen im Netz
…zu Ihren erhellenden Kommnetaren passen da aber eher die Bay City Rollers, Status Quo oder die Jacobs Sisters...
Lesen lernen! Die Begründung habe ich einen Satz später geliefert: die meisten "Vinyl-Anhänger" hören trotz ihrer angeblichen Vorliebe meistens doch CD und MP3.
Die Platte wird die CD überleben.
Bei mir ist es so. Ich habe die ganze Festplatte voll mit Musik. Ich höre dauernd Zeug über Bandseiten, Youtube, Myspace und und und. Ich habe nen MP3-Player und nutze den unterwegs ständig.
Aber wenn ich Musik auf einem Medium kaufe, dann nur Vinyl. Bei Vinyl bekomme ich einfach am meisten. Ich bekomme ein großes Cover, dass es sich anzuschauen lohnt, oftmals noch schönes Beiwerk in Form eines Booklets oder Posters und ich bekomme vor allem eins. Einen Tonträger. Das ist für mich ein ganz ganz wesentlicher unterschied zur CD. Die CD ist ein schnöder Datenträger. Ein Original hat nichts was eine gebrannte CD nicht auch hat. Sie enthält keine Tonspur. Sie enthält nur die digitalen Daten die ich auch genauso gut gleich über das Internet beziehen kann. Dazu kommt noch, dass der Datenträger vergänglich ist. Und das Abspielen? Ich lege ne CD in den Player und das wars. Ich sehe nix mehr, ich muss nichts mehr machen. Es ist genauso gut, als würde ich einen Musikordner am PC oder im MP3-Player auswählen. Es wird halt eingelesen und ab gehts. Bei der Platte muss ich mit dem Vinyl umgehen. Ich muss die richtige Seite auf den TT legen, den Tonarm drauf, noch n bisschen am Vorverstärker drehen, loslaufen lassen, zwischendurch den Tonarm umsetzen.
Wenn ich ein Album höre, dann bin ich bei Vinyl viel eher geneigt es von vorn bis hinten durchlaufen zu lassen, während ich bei CDs (oder auch MP3) viel eher geneigt bin zu skippen. Der laufende Plattenspieler, die drehende Platte, der schwankende Tonarm, das alles gehört dazu.
Deswegen kaufe ich Platten wenn ich Musik auf einem Medium haben möchte. Und deswegen wird die CD, die nur ein sinnloser Datenträger ist, auch verschwinden.
Wer den Artikel hier mit Freude gelesen hat, kann sich auch mal da reinklicken:
www.schule-der-rockgitarre.de/de/magazin/124
Geht um den Record Store Day in Deutschland und unabhängige Plattenläden außerhalb der Großstädte...
@Youser.
Eine schöne, einleuchtende Begründung. Letztendlich gilt sie aber in gleichem Maße auch als Argument für das Buch in Papierform versus e-book: Die vielfältige (olfaktiv, taktil...) sinnliche Erfahrung im Umgang mit einem Medium.