Es ist an der Zeit

Ton & Text Das Lied an sich steht wieder mal hoch im Kurs. Nur die Liedermacher-Szene hinkt ein bisschen hinterher. Jetzt will die verdienstvolle Liederbestenliste nachziehen
Es ist an der Zeit

Foto: Johannes Eisele/ AFP/ Getty Images

Es sind eigentlich gute Zeiten für das Lied; für den Sänger, der sich mit Gitarre an ein Mikrofon stellt und nicht viel mehr braucht, als seine Stimme, eine mehr oder weniger schlichte Melodie und einen vorzugsweise alles andere als schlichten Text. (Obwohl auch das selbstredend seine Reize haben kann, Beispiele liefert die Musikgeschichte zu Hauf.) Seit Jahr und Tag entdecken etliche Helden der amerikanischen Hardcore-Geschichte, dass man auch allein und mit einer Akustikgitarre durch die Clubs der Welt ziehen kann. Das hilft dem immer noch wertigen Authentizitätsbestreben ebenso, wie der Sicherung des Lebensunterhaltes unter vertretbarem Aufwand.

Nicht schlecht geht es den alten Herren der Branche. Die Hallen können gar nicht groß genug sein, die zum Beispiel Reinhard Mey derzeit auf seiner durchaus ausgedehnten Tour bespielt. Nahezu alle Konzerte sind ausverkauft – in Größenordnungen von mehreren tausend Besuchern pro Abend. Ein Konstantin Wecker geht sowieso immer. Sogar Hannes Wader wurde letztlich mit einem Echo fürs Lebenswerk ausgezeichnet. Ein deutliches Zeichen dafür, dass 25 Jahre nach dem vermeintlichen Ende der Geschichte auch ein paar Zwangsumarmungen fällig sind, ungeachtet der ganz sicher nicht ausgeräumten ideologischen Differenzen zwischen – sagen wir mal – dem ungebrochen aufrechten, vormaligen DKP-Linksbarden und der prinzipiell eher konterrevolutionären deutschen Musikindustrie.

Auch die hiesige Pop-Großwetterlage gibt dem Lied breiten Raum. Mit gefühligen, eher leisen und liedbetonten Stücken lässt sich Erfolg einheimsen. Die Andreas Bouranis und Tim Bendzkos dieser Welt beweisen das in immer neuen aufeinanderfolgenden Inkarnationen und deren ungebrochener Akzeptanz im Mainstream. Wenn man so will, passt sogar ein Cro dazu, der seinem HipHop-Modell jegliche klangliche Dickhosigkeit und Subversivität konsequent ausgetrieben hat. Eine mediale Aufmerksamkeitsstufe tiefer aber in verblüffend vollen Sälen spielt zum Beispiel Dota Kehr, die sich vormals mit dem in der Tat ziemlich cleveren Titel „Kleingeldprinzessin“ einen Namen machte. Aber auch die Indie-Gemeinde schätzt derzeit den betont liedhaften Gestus. Davon ganz gut leben können Musiker wie Gysbert zu Knyphausen oder Niels Frevert.

Prinzipiell gut finden auch Veranstalter den Trend zum dezenteren Konzerterlebnis. Nicht nur, dass sich der technische Aufwand stark in Grenzen hält, auch Künstler und Publikum neigen unter solchen Umständen weniger zum Exzess. Gut eingeführte Künstler wie Götz Widmann sind eine sichere Bank für jeden Club, am Ende stimmt die Börse in der Regel für alle Beteiligten. Mit vergleichsweise geringem Stressfaktor.

Trotzdem steht die Liedbranche eher am Rande der aktuellen Aufmerksamkeitsökonomie. Man könnte auch verkürzt sagen: Sie wirkt ziemlich uncool. Das fängt bei der Bezeichnung an. Was im Englischen als „Singer/Songwriter“ noch einen guten Klang hat, wirkt im Deutschen – als „Liedermacher“ – immer ein bisschen verkrampft und bemüht, nun ja, eben irgendwie „deutsch“. Dass das Image der Liedermacher-Szene deutlich verstaubter anmutet, als sie eigentlich ist, wissen diejenigen, die am nächsten dran sind, immerhin selbst.

Am allernächsten dran ist die Liederbestenliste. Seit 1984 gibt es diese Kritiker-Hitparade, in der Experten monatlich abstimmen, welche die gerade relevanten Songs sind. Und wenn man fragt, welche Institution für die deutsche Liedermacher-Szene wirklich wichtig ist, dann fällt einem – neben der schnöden GEMA – eigentlich nur diese eine ein. Obwohl in der breiteren Öffentlichkeit nahezu unbekannt, hat die Liederbestenliste eine enorme Bedeutung für die Entwicklung der Szene. Viele der prägenden Liedermacher der letzten drei Jahrzehnte sind durch sie maßgeblich gefördert worden. Dass der Blick dabei immer auch über den Tellerrand gerichtet ist, lässt sich gut an den Monatslisten ablesen, deren Zusammenstellung ein buntes Kaleidoskop von dem ist, was sich die Macher unter dem Prädikat „Lied“ vorstellen können. Im September 2014 sind das neben dem klassischen Liedermacher so unterschiedliche Kaliber wie die Traditions-Folker Die Grenzgänger, der gallige Widerborst Rainald Grebe oder der Indierocker Niels Frevert.

Um das zu erfahren, muss man indes sehr aufmerksam die Radiotermine quer durch Deutschland studieren, oftmals recht versteckt in den Programmnischen sind die Sendungen zum Thema. Oder man geht auf die Homepage. Die jedoch ist ein Teil des Image-Problems. Ungefähr aus dem Gründungsjahr der Liederbestenliste scheint sie zu stammen, was nicht wundert, wird doch alles, was an Arbeit zu leisten ist, ehrenamtlich und also nebenher geleistet. Ohne den Etat, den man eigentlich bräuchte. Das wiederum soll sich jetzt grundlegend ändern.

8.500 Euro soll eine Crowdfunding-Kampagne einspielen, mit denen man die eigene Präsenz in die Gegenwart hieven will. Und die Zeichen stehen gut, das Ziel ist fast erreicht, ganz ohne großes Tamtam und vor allem, weil einige der prominenteren Genre-Musiker ihre Fans aufgerufen haben, doch bitte mal tätig zu werden. Etliche von ihnen gehen dabei mit gutem Beispiel voran, um das bei Crowdfunding-Aktionen übliche Maß der attraktiven Belohnungen zu erreichen. Die nicht gerade billigen Spitzenangebote sind ratzfatz weggegangen: ein Wohnzimmerkonzert mit Das Niveau und ein Kurzurlaub im Emmentaler Bauernhaus von Götz Widmann – inklusive Rundumbemutterung durch den Künstler selbst. Ein Beweis ist das natürlich auch dafür, dass die Liederbestenliste prinzipiell auf soliden Füßen steht, dass sie alles andere als vorbeiagiert an den realen Bedürfnissen der Szene und ihrer Fans. Das ist an sich schon mehr, als andere Hitlisten von sich sagen können. Bitte weitermachen!

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