Free Forever

Ton und Text Das fragile Gleichgewicht von Geben und Nehmen in der Musikbranche ist passé. Der Mentalitätswandel fragt nicht nach der Rechtslage

Es war eine der meistbeachteten Aktionen der Musikszene der letzten Jahre: 2007 veröffentlichte die Band Radiohead ihr Album In Rainbows vorbei an allen herkömmlichen Vertriebsstrukturen. Der Clou: Für den Download der Songs auf der bandeigenen Homepage konnte jeder bezahlen, was er wollte – also auch gar nichts. Die Bilanz des Projektes fiel für Radiohead letztendlich vor allem dank hervorragender guter altmodischer „physischer Verkäufe“ zu sehr regulären Preisen sehr ordentlich aus, auch wenn der freiwillig gezahlte Downloadpreis im Durchschnitt weit unter den Erwartungen an eine eingeschworene Fanschar lag. Immerhin, es war eine höchst clevere Marketingaktion, die der Band in Zeiten des Jammerns der Musikindustrie obendrein eine Menge Credibility einbrachte. An der kratzen jetzt allerdings eine Reihe von Abmahnungen und takedown notices.

So heißen die Aufforderungen, die Urheberrechtsinhaber in einem standardisierten Verfahren an Provider schicken, wenn sie einen ihrer Ansicht nach illegalen Inhalt – also eine Raubkopie – vom Netz nehmen wollen. Diesmal traf es Fanblogs von Radiohead, die von der Band damals großmütig verteilte Songs nun ihrerseits zugänglich machten – es war ja for free gewesen. Nun sind die Recording Industry Association of America (RIAA) und die International Federation of the Phonographic Industry (IFPI), die abmahnenden Lobbyverbände der Musikindustrie, ähnlich wie die gerade in aller Munde befindliche deutsche Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) beleumundet – also verheerend schlecht. Trotzdem haben sie natürlich das Recht auf ihrer Seite. Zumindest in diesem Fall.

Denn die Aktion ist vorbei. Das Radiohead-Album ist ganz normal erhältlich, zum ganz normalen Preis. Und der heißt nicht mehr „Zahl was du willst, gern auch nix!“. Radiohead hatten das Album schon nach kurzer Zeit wieder in reguläre Vertriebskanäle gespeist, die von herkömmlichen Labels – Rechteinhabern – betreut werden. Die sehen In Rainbows als eines von allen Produkten an, die spezielle Veröffentlichungs-Geschichte ist aus ihrer Sicht irrelevant. Also wird auch ganz normal abgemahnt, business as usual. Klappe zu, Blog tot. Das Problem geht aber noch ein bisschen tiefer. Es rührt an ein Missverständnis, das derzeit gang und gäbe ist: Was ursprünglich kostenfrei ist, darf unbesehen weiterverteilt werden. Für eingeschworene Fans einer Band impliziert das Fan-Ethos sogar: Es muss weiterverteilt und öffentlich zugänglich archiviert werden.

Die gute Tat als Fanpflicht

Fans scheren sich meist nicht, ob ihr Künstler einem freien Download auch eine passende Creative-Commons-Lizenz mitgegeben hat oder ob er vielleicht später noch andere Pläne mit seinem momentanen Geschenk hat. Es gilt in Fankreisen als gute Tat, jedwedes freie Material möglichst schnell und umfassend zur Verfügung zu stellen. Die Frage nach dem Urheberrecht stellen sich dabei nur die Wenigsten. Auf Künstler-Seite sieht man das meist nicht so eng, im Gegenteil, viel freies Material zeugt von einer engen Fanbindung, ist immer ein guter Einstieg in den Willen, der Band etwas zurückzugeben. So funktioniert heutzutage ein Großteil Plattenverkäufe von angestammten Größen der Musikszene. Der Konsens wackelt aber. Denn die Zeiten sind vorbei, in denen Fans in praktisch unbezahlbarer Eigenleistung aufwendige Fanpages erstellten, die ganze Webringe bildeten, jeden Aspekt des Schaffens einer Band ausleuchteten und so deren Ruhm und den des Edelfans gleichermaßen untermauerten.

Der aktuelle Fan-Standard ist zunehmend profaner: Ein neuer Song oder das neue Video landet, befeuert von einem immer hektischeren Aufmerksamkeitswettbewerb unter Fans, in Rekordzeit auf dem eigenen YouTube-Channel. Das neue Album, die neue DVD wird sofort in ein Torrent verpackt. Und wenn der Server einer bekannten Band mal kurzzeitig in die Knie geht, weil ein datenintensiver freier Download einen naturgemäß unberechenbaren Ansturm auslöst, darf sich die Band auf geharnischte Beschwerden und Mirrorlinks – also sachlich illegale – Links sogar im eigenen Forum freuen. Das eh schon fragile Geben-und-Nehmen-Konstrukt, die stille Übereinkunft zwischen Künstler und Fan, dreht so auch bei großen Bands mit massiver Fangemeinde langsam aber sicher in den Zwang zur kostenlosen Bereitstellung des eigenen Werkes. Bei völligem Verzicht auf jegliche Verbreitungskontrolle.

Newcomer-Bands haben sich oft genug schon abgeschminkt, jemals irgendetwas außer Tickets oder T-Shirts gegen Geld zu loszuwerden. Dass diese Mentalitätsverschiebung einen Musiker nicht eben erfreut, liegt auf der Hand. Abmahnungen an Fans gelten meist natürlich trotzdem nicht als Alternative – zerstören sie doch gnadenlos den Rest an Fanbindung und hängen dem Image auf lange Zeit schwer an. Je mehr man jedoch in die Industriezusammenhänge eingebunden ist – Radiohead sind das schon auf Grund ihrer breiten internationalen Präsenz notgedrungen – desto eher ist man auch deren drastischem Antipiraterieverständnis ausgeliefert. Hängen bleibt der Makel natürlich an der Band.

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