Man redet in Sachen Berlin derzeit viel über den Drang zur „Eventkultur“ und führt gern die aktuelle Personaldiskussion im Theaterbetrieb der Hauptstadt an – von außen betrachtet eine irre verkrustete, selbstverständlich – und das muss man beileibe nicht schlecht finden – ideologisch aufgeladene und vor allem hoch brisante Gemengelage, die gut und gern geeignet scheint, einen Kulturstaatssekretär empfindlich zu beschädigen. Dem, Tim Renner, wird gern unterstellt, er hätte gar kein Interesse an Hochkultur und Ahnung von ihr demzufolge schon gar nicht. Man muss das nicht rundweg ausschließen, um allerdings trotzdem ein wenig verwundert zu sein ob der totalen Ignoranz seiner Herkunft aus der Popmusikindustrie, die allenfalls dazu herausgekramt wird, um eben den Inkompetenzvorwurf zu untermauern. Wie fähig Renner in seinem auch nach ziemlich genau einem Jahr gefühlt immer noch brandneuen Job wirklich ist, ließe sich doch zuallererst mal in seinem angestammten Fachgebiet bewerten, der Popkultur. Der Kultur, von der Berlin im Moment vor allem lebt.
Berlin ist immer noch eine der heißesten Adressen auf dem Planeten und so sehr man einen Peymann, Castorf oder vielleicht Dercon schätzen mag – an ihnen liegt das ganz sicher nicht. Am Berghain schon. Fast scheint es, als ob der legendäre Club dem Zahn der Zeit zu trotzen vermag, sich außerhalb des Popkultur-immanenten Zyklus des Popularitäts-Auf- und Abstiegs etabliert hat. Immer noch gilt die Trutzburg allgemein als unantastbare Ikone des weltweiten Clubgeschehens und man muss schon ein bisschen genauer hinschauen, um die Ermüdungserscheinungen auszumachen, die letztendlich dann doch eintreten. Ausgerechnet die neueste ganz offizielle Berliner Popmusik-Veranstaltungs-Errungenschaft wirft ein Schlaglicht darauf. Sie findet im Berghain statt.
Pop-Kultur (hier der Link, natürlich mit „.berlin“-Domain) soll der Nachfolger der sehr kurzlebigen Nachfolgerin der in Berlin auch schon nie funktionierenden Musikmesse Popkomm werden. Die Berlin Music Week verschlang enorm viel Geld und brachte mehr oder weniger: nichts. Sie war schlicht kein relevantes Thema innerhalb oder außerhalb Berlins; in der Musikbranche, bei Musikfans, im Feuilleton, nicht mal in den Blogs. Öffentlich wahrgenommen wurde maximal das Berlin Festival, eine ganz offensichtlich erschütternd dilettantisch und lieblos zusammengeschusterte Großveranstaltung mit Hipster-„Indie“-Profil, bei der man heute noch jeden Tag auf eine neue Hiobsbotschaft wartet. In die Details der Verwerfungen der quasi-offiziösen Berliner Musikszene seit Popkomm-Zeiten einzusteigen, würde hier deutlich zu weit führen. Zu vermerken ist aber, dass – sic – Tim Renner zu den maßgeblichen Initiatoren der all2gethernow gehörte, einer nie wirklich wichtig gewordenen Popkomm-Konkurrenz, die den digitalen und „Kreativwirtschafts“-Zeiten Rechnung tragen wollte und die später unter dem Druck der Fördermittelvergabe mit allen Playern zum von allen Beteiligten eher ungeliebten Gesamtkonstrukt Berlin Music Week praktisch zwangsvereinigt wurde. Unterdessen ging nahezu jeder, der Rang und Namen in der deutschen Musikbranche hat, nach Hamburg, zum Reeperbahnfestival, das sich seit Jahren als europäischer Magnet etabliert und heute als unverzichtbarer Primus der hiesigen Branchentreffen gilt.
Jetzt wandert sogar der in Berlin beheimatete Independent-Label-Dachverband VUT ab und veranstaltet seine Indie Days samt Vollversammlung und Award-Verleihung lieber beim Reeperbahnfestival. Das liegt am durchaus überzeugenden finanziellen Angebot der Hamburger Kulturwirtschafts- und Standortmarketingbehörden. Aber auch daran, dass sich Berlin nun, mit Pop-Kultur, endgültig wegorientiert von „Musikwirtschaft“. Die Verantwortung und damit der Etat liegt jetzt beim etwas diffus anmutenden Musicboard Berlin, einer vor zwei Jahren eingerichteten Institution mit der Aufgabe „die Popmusikszene der Stadt zu unterstützen und ihre kulturelle und wirtschaftliche Strahlkraft zu stärken“. In dessen Beirat sitzt neben einem all2gethernow-Vorstand Petra Husemann-Renner, die Ehefrau und – flapsig formuliert – Erbin von Tim Renner in Sachen Motor Entertainment, Renners wegen seiner Berufung zum Kulturstaatssekretär übergebene Firma. Das lässt sich im letztendlich gar nicht so unübersichtlichen Musikindustrie-Berlin allerdings als „Netzwerk“ verbuchen und spricht vielleicht eher für einen Kulturstaatssekretär.
Jedenfalls ist Pop-Kultur das erste wirklich handfeste und mit deutlich überregionalem Auftrag ausgestattete Veranstaltungskonzept, das in der Ära Renner in Berlin etabliert werden soll. In einem Kulturbereich, der für Berlin – so wird das Renner sicher auch sehen – eben nicht unwichtiger ist als „Hochkultur“. Dass darüber bisher niemand diskutiert, spricht sogar für Renner, zumindest, wenn man das bürgerliche Feuilleton als eingetrocknet und kaum auf dem aktuellen Stand der Kulturpolitik satisfaktionsfähig ansieht. Gut 600.000 Euro schießt Berlin in die Pop-Kultur, Peanuts sind das im Gefüge der Berliner Kulturförderung. Eine erhebliche Größenordnung ist das jedoch für eine Popmusik-Veranstaltung, die jetzt klare Formen angenommen hat. Und von der man eines auf jeden Fall sagen kann: Sie ist ein Schritt zur „Eventkultur“.
Das fängt beim Berghain an, dessen Wahl als Austragungsort geradezu verblüffend einfallslos anmutet, schon weil sie die weltweite Popularität des Namens ins Feld führt, statt konzeptionell stark aufzutreten. Das umstandslose Mitziehen der Berghain-Macher stärkt den Verdacht, dass es perspektivisch nicht mehr aufwärts geht mit dem Club, dass der Zenit der Wirkmächtigkeit überschritten ist. Außerhalb Berlins sind überdies viele vom Berlin-Hype inzwischen ziemlich angenervt, einer der Gründe, warum zum Beispiel das sehr viel geerdetere Hamburg in der Musikbranche und als „Rock City“ der Herzen die Nase wieder vorn hat.
Wie sieht es denn nun aber mit der Programm-Substanz von Pop-Kultur aus? „Alles ist Pop“ zitiert schon die erste Verlautbarung den großen Popkulturtheoretiker Diedrich Diederichsen – es passt zu diesem halbwissenden Popkultur-Berlin, wie hier theoretisch spannende Diskussionsgrundlagen für einen griffigen Slogan kontextlos verwurstet werden. Was außerhalb der Konzerte wirklich verhandelt wird, dürfte kaum den Boden des angestammten „Lasst uns mal irgendwas Kreatives machen“ verlassen, der zum enormen Nervfaktor von Berlin maßgeblich beigetragen hat. Das Konzertprogramm wiederum fällt nicht mit besonderer kuratorischer Raffinesse auf, bietet vielmehr einfach nur all das, was man im Konzertjahr in Berlin oder in irgendeiner anderen Stadt vom Kaliber Köln/Hamburg/München so oder so erleben könnte. Das muss man nicht schlecht reden – es hat nur ganz gewiss nicht die neue Qualität, die vollmundig angepriesen wird. Nicht mal das veranstalterische Handwerk stimmt: der Ticketvorverkauf hat – entgegen der Ankündigung – zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht begonnen. Am Ende bleibt die Anziehungskraft von Pop-Kultur also dem Namen Berghain überlassen. Gute Popkulturpolitik sieht anders aus.
Transparenzerklärung: Der Autor war bis 2012 als Autor und Textcoach für motor.de, einer Abteilung von Motor Entertainment, tätig. Diese Kolumne entstand ursprünglich als Kooperation zwischen freitag.de und motor.de und agiert seit 2013 komplett unabhängig von Motor Entertainment.
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