Geh doch nach Berlin

Ton & Text Vor 20 Jahren erschien "Achtung Baby" und mit den rockromantischen Vorstellungen von U2 war Schluss. Für Berlin nur eine von vielen Episoden popmusikalischer Neu-Erfindung

Das wars dann wohl, denkt man sich, der „beste Club der Welt“ heißt es jetzt sogar im aktuellen Tatort. Was es für einen ja wirklich überaus bemerkenswerten Club wie das Berghain bedeutet, bis ins Bewusstsein der ARD-Sonntagabend-Primetime durchgedrungen zu sein, liegt auf der Hand: Die besten Zeiten sind vorbei. So lautet das ungeschriebene Gesetz der Clubkultur, das ein Auftauchen im öffentlichen Mainstream-Bewusstsein gemeinhin nicht verzeiht und mit Ächtung durch die „echte Szene“ bestraft. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel und wenn es irgendwo nicht nach den normalen Regeln zugeht, dann natürlich in Berlin, der Stadt, in der ein permanenter musikalischer Ausnahmezustand herrscht. „Geh doch nach Berlin“ sangen die Kölner Angelika Express vor fast zehn Jahren, es war die Trotzreaktion auf den Umzug der Popkomm und ein Zeitgeist-Lied, das eigentlich immer gilt. Denn Berlin, Deutschlands einzige Stadt, der man so etwas wie ein international konkurrenzfähiges Metropolenflair bescheinigen kann, scheint der ideale Humus für die popmusikalische Selbstfindung.

Dieser Tage erscheint ein Super-Deluxe-Re-Release von U2s „Achtung Baby“ und es sei einfach mal dahingestellt, ob man wirklich noch jeden Fitzel der damaligen Bandarbeit kennenlernen muss, weil es der Musikindustrie inzwischen als probates Mittel gilt, mit aufgewerteten Neuauflagen den Fans nicht wenig Geld aus der Tasche zu ziehen. Vor zwanzig Jahren wurde das Album veröffentlicht, es war der Scheidepunkt in der Historie von U2, die bis dahin eine mehr oder weniger herkömmliche Rockband waren, eine mit „handgemachter“, „ehrlicher“ und „authentischer“ Musik. „Achtung Baby“ machte brachial Schluss mit dieser rockromantischen Vorstellung, Bono entschied sich für die Fliegenaugen-Sonnenbrille und die Kunstfigur, der Sound wurde kräftig elektronisch aufgemotzt und die „Zoo TV“-Show zur Platte war das erste wirklich stadiontaugliche Spektakel des eben anbrechenden Multimedia-Zeitalters. Es war der Schritt in die seitdem andauernde Weltkarriere, auf dem Cover durch Bildkaleidoskop bunt illustriert. Mit einem Trabi zu Beispiel, einer Referenz an die Stadt, in der „Achtung Baby“ zu einem Gutteil aufgenommen wurde; und man darf U2 sicher unterstellen, dass sie sich der Geschichte des Hansa-Studios bewusst waren, als sie sich in den wilden Berliner Nachwendetagen dort einmieteten. Schon, weil Produzent Brian Eno sich bestens auskannte. Er war schließlich der Ko-Autor von „Heroes“.

„We can be heroes, just for one day“ sang David Bowie im Sommer 1977 in Berlin, wo er seine „Berlin Trilogy“ aufnahm. Sie war eine Verbeugung an die einzige popmusikalisch relevante deutsche Erfindung: Krautrock, das faszinierende Gebräu aus experimenteller Herangehensweise und psychedelischer Klarheit, das mit den – allerdings Düsseldorfern – Kraftwerk später auch die einzig wirklich weltbewegende deutsche Band gebar. Die Welt jedoch schaute lieber nach Berlin, auf die Mauerstadt, die ein wild wucherndes Biotop jener Popkultur wurde, die sich gern als selbstzerstörerisches Außenseitertum generierte. Mit Bowie im selben Haus in Schöneberg wohnte Iggy Pop, der sich dort mit Bowies Hilfe aus einer existenziellen Schaffenskrise befreite und „Lust For Life“ aufnahm. Die Faszination der kaputten Insel-Stadt West-Berlin lässt sich in „Der Himmel über Berlin“ nachvollziehen, Regisseur Wim Wenders konnte 1987 noch als musikalisch geschmackssicher durchgehen und verpflichtete den in Berlin lebenden Nick Cave für eine Schlüsselszene seiner metaphysischen Berlin-Ballade. (Vier Jahre später ließ er als Titelsong dann U2 „Until The End Of The World“ komponieren – zu hören auf „Achtung Baby“.)

Dass Berlin auch ohne Mauer- und Post-Mauer-Faszination – und neben der bis heute nachwirkenden Techno-Schule zwischen Tresor-Underground und Love-Parade-Happening – durchaus das Zeug zum Popmusikermagneten hatte, bewiesen um die Jahrtausendwende die aus Kanada stammenden Peaches und Gonzales, die sich unter den Fittichen des damals als Non-Plus-Ultra der Berliner Musikszene geltenden Labels Kitty-Yo die ersten Credits erspielten, bevor sie sich als anerkannte Musik-Exzentriker wieder in die Welt aufmachten. Damit gaben sie die Linie vor, die bis heute zu gelten scheint. Es sind nicht mehr die Stars in der Krise, die in Berlin neu auftanken oder die lärmenden Outlaw-Kaputtniks. Unzählige internationale Indie-Bands leben zumindest zeitweise im Hipster-Mekka Berlin. Das gilt inzwischen als Hotspot einer Karriere unter den neuen Bedingungen des allgemeinen Musikerprekariats, das sich im Arm-aber-sexy-Modus irgendwie durchschlägt und vielleicht sogar ein klein wenig Ruhm erntet. „Niemand gibt uns eine Chance / Doch können wir siegen / für immer und immer / Und wir sind dann Helden für einen Tag“ hieß es bei David Bowie auf gut deutsch. So gesehen, hat sich in Berlin eigentlich nicht viel geändert.


U2 „Achtung Baby“-Jubiläumsedition erscheint am 28. Oktober 2011 bei Universal Music

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