Groschenromane der Popmusik

Ton & Text Ästhetisch eklig und künstlerisch einfältig – aber ein erschreckend rasant wachsendes Geschäft auch für die großen Bühnen: Coverbands, „Tribute“-Shows, Band-Musicals
Mamma Mia!
Mamma Mia!

Bild: Philippe Lopez/Getty

In der Musikerhölle wird ihnen ganz sicher ein eigener Kreis eingeräumt, sie sind die Parias der Szene, der Teil von ihr, den jeder kennt und über den niemand redet. So etwas wie der peinliche Onkel ohne Manieren – aber leider mit Geld.

Coverbands haben eine gewisse historische Berechtigung, die aus der Zeit herrührt, als es noch keine DJs gab. Bands mussten am Wochenende den Tanzboden möglichst effektiv bespielen, und dafür brauchte es nun mal Hits. Auch die Beatles haben so angefangen, klar. Und wer es ganz genau nimmt, ist bei einer nur wenig tiefgründigeren Betrachtung des Themas schnell beim mehr oder weniger abgeschlossenen Werkfundus der klassischen Musik und ihrer Aufführungspraxis in der Gegenwart, die man mit ein bisschen schnöder Ignoranz der kulturbürgerlichen Selbstvergewisserung durchaus auch als „Nachspielen“ bezeichnen darf – wenn auch mit einer hohen Priorität der jeweils eigenen Interpretation innerhalb der kompositorischen Vorgaben. Was, soviel sei denn noch angemerkt, auch für die Beatles gilt, deren „Twist And Shout“ bis heute deutlich aus der ansonsten sehr unüberschaubaren Masse an Twist-And-Shouts herausragt.

Heutzutage leben Coverbands davon, dass man es Freitagabend in der Kneipe, im Bierzelt eines Dorffestes oder auf der Holzbank eines Kleinstadtfestes mit der kulturgeschmacklichen Korrektheit nicht so ganz genau nimmt. Hauptsache der Getränkeumsatz stimmt; bei derlei Veranstaltungen ein grundlegender Konsens zwischen den Parteien vor und hinter dem Tresen. Stimmt der Umsatz, stimmt die Gage. Gut eingespielte Coverbands können von ihrer Profession recht ordentlich leben, deutlich besser zumindest als „richtige“ Bands. Und haben überdies den Vorteil, dass jedes einzelne Lied beim Publikum schon bekannt und beliebt und demzufolge als beklatschenswert eingestuft ist, wofür man ansonsten im Musikzirkus etliche Jahre, jede Menge Dreckfresserei und vor allem unwahrscheinlich viel Glück braucht. Weil das Geschäft prächtig läuft, hat sich natürlich auch eine regelrechte Infrastruktur herausgebildet, mit spezialisierten Agenturen, maßgeschneiderten Bühnenprogrammen und Stamm-Auftrittsorten, die sich umstandslos als Provinz einordnen ließen (wobei „Provinz“ hier eher im kulturellen Sinne gilt und selbstverständlich auch in der Großstadt dauerpräsent ist). Ein Randphänomen der Popkultur also? Nichts, was man von den kleinen Bühnen in gut gefüllten Kneipen groß hinausposaunen würde?

Wer gerade im Moment die lizensierten Plakatflächen lokaler Veranstalter in Metropolregionen anschaut, stellt fest: Gut ein Drittel aller geklebten Plakate drehen sich um Veranstaltungen von – im weiteren Sinne – Coverbands. Konkret sind das im Moment zum Beispiel: „Simon & Garfunkel Tribute“, „The Australian Pink Floyd“, „Blues Brothers – The Smash Hits“, „The Las Vegas Elvis Show“, „ABBA – The Show“, „ABBA Gold – The Concert Show“, „All You Need Is Love – Das Beatles-Musical“ oder – und dieses Mashup verdient wirklich den Preis für die kaltschnäuzigste Geschäftsidee der Branche – „Falco meets Mercury“. Bespielt werden dabei zum Teil die ganz großen Mehrzweckbühnen mit Kapazitäten von mehreren tausend Zuschauern. Die sich wiederum nicht einfach nur einen geselligen Bierabend mit Hitbeschallung nebenher gönnen, sondern ganz bewusst nicht eben billige Tickets kaufen, um zu einem „Konzert“ zu gehen, in dem irgend jemand möglichst originalgetreu die Songs einer bekannten Band nachspielt.

Dass dabei oft die Form des „Musical“ gewählt wird, jener gern stiefmütterlich verachteten „leichten Muse“ im klassischen Kulturkanon, ist natürlich verräterisch. Um die Aufführung der Musik irgendwie inhaltlich zu rechtfertigen, wird eine „Handlung“ drum herum gebaut. Das wertet auch in Hinsicht des erzielbaren Ticketpreises insgesamt auf und schafft für die ganz Doofen noch ein paar narrative Elemente – wenn auch auf dem Niveau von Groschenromanen. Wie man das immerhin perfekt macht, lässt sich beim obendrein von den Originalkünstlern betreuten ABBA-Musical „Mamma Mia!“ begutachten. Auch das zieht einem ernsthaften Pop-, Bühnen- und später Filmkritiker natürlich die Schuhe aus – und alles, was bis heute folgt, ist noch viel, viel schlimmer und obendrein auch noch billiger produziert. Aber es funktioniert. Sonst gäbe es die Schwemme nicht.

Den ästhetischen Prinzipien des Groschenromans folgen auch jene Veranstaltungen, die auf eine Rahmenhandlung verzichten und sich als einfaches Bühnenspektakel geben. Den narrativen Bogen braucht das nicht mehr. Was nicht heißt, es gäbe keine Handlungsvorgaben, spielt es doch im Wesentlichen „ein Konzert geben“ nach – auch das natürlich ausgedacht nach gewissen Kriterien, mit den immer gleichen berechenbaren Mitteln auf einen größtmöglichen Aha-Effekt im Publikum optimiert. Überraschung speist sich hier nur aus dem Grad der Übereinstimmung zum Original. Und daraus, inwieweit man dessen Eigenheiten und Showeffekte hinbekommt – zumindest für die Pyro-Experten von Rammstein-Coverbands ein echte Herausforderung und wesentliches Erfolgskriterium. Na und?

Selbst hartgesottene Popkultur-Verteidiger – also jene, die eh schon genug damit zu tun haben, den ganzen seriellen Müll der Kulturindustrie wahlweise um- oder wegzuinterpretieren oder gleich ganz zu ignorieren – kann diese Erfolgswelle nicht gleichgültig lassen. Zu offensichtlich ist die kulturreaktionäre Tendenz, zu aggressiv der Verzicht sogar schon auf den Anschein von Innovation, nicht zuletzt: zu durchsichtig das Geschäftskonzept, dessen Erbärmlichkeit nur noch von der Bereitschaft übertroffen wird, für die Rezeption auch noch Geld auszugeben. Zu groß das Gefühl, es wäre nun wirklich bald Schluss mit lustig in der Popmusik, und der künstlerisch aufrechte Rest stünde in Alamo. Mal sehen, wie lange er noch durchhält.

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