Headhunting um Headliner

Ton & Text Fast schon eine Spekulationsblase: die Glanzfassade der Wachstumsbranche Open-Air-Festival zeigt deutliche Risse
Erste Krisensymbole: Pete Doherty auf dem Melt-Festival 2013
Erste Krisensymbole: Pete Doherty auf dem Melt-Festival 2013

Foto: snapshot/ imago

Knapp 50 sind es allein an diesem einen Wochenende, Mitte August: Vom monströsen Budapester Sziget, dem Rock-Klassiker Taubertal und dem Dancefloor-Highlight Sonne Mond Sterne reicht die Palette über renommierte Indie-Versammlungen wie das Haldern Pop oder das Rocco del Schlacko bis hin zu Provinz-Events à la Rock an der Mühle oder Rock den Lukas. Da rechnet der Intro Festivalplaner noch gar nicht mit, wenn – wie auch an diesem Wochenende in Berlin – die Toten Hosen und Die Ärzte nochmal insgesamt 40- oder 50.000 Leute anziehen. Und ein paar Tausend in den größeren Städten der Republik mehr oder weniger illegale Open-Air-Raves feiern.

Nie zuvor gab es so viele Open-Air-Festivals wie in diesem Jahr. Es ist der aus ihrer Sicht positivste Trend, den die Musikindustrie in den letzten Jahren vorzuweisen hat. Ein Erfolgsmodell, so scheint es, das dem immer wieder gern genommenen Erklärungsmuster folgt, dass man ein Live-Erlebnis eben nicht einfach aus dem Internet runterladen könnte. Zum Ritual der Vor-Festivalsaison gehören denn auch die zahlreichen „Ausverkauft“-Meldungen in Frühjahr oder gar noch Winter, die gerade die größten Flaggschiffe der deutschen Festival-Szene vermelden können, auch, wenn die Beliebtheitsdimensionen einer – auch sonst mit einer sehr bemerkenswerten Erfolgsstory ausgestatteten – Fusion noch lange nicht erreicht scheinen. Deren, dem Vernehmen nach, 60.000 Tickets werden seit einigen Jahren an willige Käufer verlost. Zu groß ist der Andrang schon am Erstverkaufstag, um die Nachfrage zu befriedigen.

Und das Ende der Fahnenstange scheint noch lange nicht erreicht. Gerade schon etablierte Veranstalter rüsten immer noch massiv auf, stampfen gar neue Groß-Festivals wie in diesem Jahr das Rock’n’Heim scheinbar mal eben aus dem Boden. Die bekannten Doppel Rock am Ring/Rock im Park und Hurricane/Southside machen es seit Jahr und Tag vor. Mehr als ein Festival mit dem zur Verfügung stehenden Artistpool und der eh laufenden Logistik-Maschinerie zu veranstalten, schafft Synergien und verbessert Skaleneffekte. Senkt also die Kosten im Verhältnis zu den Einnahmen. Mit Begeisterung für Musik hat das wenig zu tun, viel hingegen mit einer klaren betriebswirtschaftlichen Logik. Bei der fungiert auch Booking-Kompetenz als humanes Knowhow-Kapital. Das ist wichtig im härter werdenden Headhunting um Headliner. Die sind – sieht man von sehr speziellen Ausnahmen, wie eben der Fusion ab – eines der entscheidenden Kriterien im Vorverkauf. Wenn auch bei weitem nicht das einzige.

Ein krasses Beispiel für eine total verfehlte Festivalplanung lieferte die Stadt Hoyerswerda vor Monatsfrist. 2,5 Millionen Euro dürfen die städtischen Wirtschaftsbetriebe jetzt nachschießen, für jeden der letztendlich 18.000 Besucher sind das 139 Euro – ein Ticket-Zuschuss-Wert, den sonst nur Opernhäuser erreichen und der gemeinhin auch nur im Hochkultur-Bereich akzeptiert wird. Hoyerswerda ist eine radikal geschrumpfte ehemalige Industriestadt, sogar nach DDR-Maßstäben tief im Osten. Mit David Guetta, den Toten Hosen und den Fantastischen Vier sollte das Seenland Festival das Image der strukturell rettungslos darniederliegenden Region aufwerten. Groß gehört hat man von der Veranstaltung, die im Niemandsland mit 40.000 Besuchern geplant wurde, indes nicht.

Dass es auch weniger Branchenfremde treffen kann, bewies in diesem Jahr das vergleichsweise kleine, nichtsdestotrotz wenigstens einigermaßen bekannte Omas Teich in Ostfriesland. Drei Tage vor Veranstaltung – die Aufbauarbeiten waren in vollem Gange – kam das Aus. Um die 4.000 Tickets hatte man im Vorfeld verkauft – zu wenig für die Größenordnung an Gagen und den logistischen Aufwand, den auch kleine Festivals leisten müssen. Das ruft in Erinnerung, dass Veranstaltungsbusiness seit jeher mit hohen Risiken behaftet ist. Generell drastisch erhöhtes Gagenniveau, spätestens seit der Loveparade-Katastrophe deutlich aufmerksamere Behörden und umfassendere kostenintensive Sicherheitskonzepte sowie die Vorsorge gegen immer wahrscheinlicher werdende Wetterkapriolen treiben die Kosten in die Höhe. Spürbar wird das an den immer noch steigenden Preisen, die nur von den Branchenprimussen scheinbar frei diktiert werden können. Sogar die Fusion hat an ihren Kosten zu knabbern. 5,3 Millionen Euro kostet sie den veranstaltenden Kulturkosmos Müritz e. V. im letzten Jahr. Dessen Ausgabenaufstellung sickerte kürzlich durch. Für nächstes Jahr angedacht ist eine durchaus spürbare Preiserhöhung für die Tickets. Das fällt in eine Zeit, in der sogar die lange übercredible Fusion nicht mehr frei von Mäkelfaktoren ist: Die selbstauferlegte und lange Zeit gut akzeptierte Presse-Omerta wird im Festival-Blog-Zeitalter immer mehr aufgeweicht, Klagen über eigentlich unerwünschtes Prollpublikum nehmen zu. Ein – gemessen an anderen Festivals – immer noch Luxusproblem.

Wie viele der in diesem Jahr 87.000 angereisten Besucher des Rock am Ring nicht eine einzige Band sehen, darüber lässt sich trefflich spekulieren. Glaubwürdig scheint ein Anteil von weit über 10 Prozent, die das „Festival-Feeling“ nur auf dem Campingplatz genießen. Mit Musik im engeren Sinn hat das nur noch wenig zu tun und ist auf lange Sicht dem Festival-Image sicher auch nicht gerade förderlich. Die Künstler sehen das jetzt schon so. Denn Deutschland ist, das zeigen Umfragen unter Bands, nicht wirklich ein beliebtes Festival-Land in Europa, eher eines, das man halt mitnimmt, weil gerade Saison ist. Und weil die Kohle stimmt. Noch.

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