„Live your dream and enter a rock’n’roll lifestyle“ – das ist die Verheißung des „High Fidelity“-Lebensgefühls. Wir erinnern uns: Im Kultroman von Nick Hornby dreht sich alles um Platten, Musik und das Leben in und um den kleinen, vollgestopften Laden, in dem die Protagonisten arbeiten und sich über die Feinheiten ihrer Lieblingsmusik streiten. Der Preis eines solchen Lebens lässt sich gerade relativ genau beziffern, 300.000 Britische Pfund sind es im Sofortkauf. So viel kostet bei Ebay der Traditions-Plattenladen On The Beat, mitten in Soho, „in the center of Swinging London“, wie es so schön in der Beschreibung heißt, und vor allem „profitable“.
Dass Vinylplatten trotz des Status als Nischenmarkt ganz allgemein wieder schwer im Kommen sind, lässt sich am alljährlich immer größeren Record Store Day gut ablesen, der mit Unmengen von speziellen Veröffentlichungen explizit auf die potenzielle Kundschaft eben jener sagenumwobenen Ladenkultur abzielt, der Hornby ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Dass der gemeine Plattenladenbesitzer im richtigen Leben gemeinhin keineswegs wie John Cusack aussieht (vom Film ist allerdings sowieso eher abzuraten) und schon gar nicht einen Extraschlag bei Frauen hat, sollte auch mal angemerkt werden. Stattdessen steht er (es sind immer Männer) in der Seltsamkeits-Hierarchie der klassischen Nerdkultur ziemlich weit oben, gleich hinter den Comicladen-Besitzern, deren verblüffend realistisches Abbild wiederum bei den Simpsons zu finden ist. Dass der, durch die Hipster-Hysterie der letzten Jahre noch zusätzlich angeheizte, Vinyl-Boom kein kurzfristiges Zwischenhoch ist, scheint ziemlich sicher. Mit Vinyl lässt sich wieder richtig Geld verdienen. Der Plattenladen an sich – es schließen immer noch mehr, als neu aufmachen – profitiert davon noch am wenigsten. Denn die Rahmenbedingungen haben sich auch in diesem Segment des Musikhandels entscheidend verändert. Eine wichtige bisherige Hauptzielgruppe, die der „Sammler“, profitiert von den neuen Online-Angeboten. Und wird dabei kräftig zur Kasse gebeten.
Gerade der Sammlermarkt hat sich drastisch verändert. Das liegt natürlich auch daran, dass das „Spezialwissen“ rund um die Release-Kultur von Platten im Internet-Informationszeitalter nicht mehr exklusiv oder nur durch jahrelanges Stöbern in exotischen Mailorder-Katalogen zu erwerben ist. Auch die raren Platten selbst werden inzwischen vorrangig online gehandelt, also mit prinzipiell weltweiter Verfügbarkeit – und weltweiter Käuferkonkurrenz. Geregelt wird der Markt nicht mehr von dem richtigen Näschen für die Ramschkisten oder der Grundkenntnis japanischer Sprache (Japan-Importe waren früher mal der Klassiker im Plattensammel-Geschäft) sondern vom Angebot-Preis-Wechselspiel. Drastisch verstärkt wird dabei der Spekulations-Faktor – schließlich ist ein primäres Ziel des Sammelns oftmals nicht der Musikgenuss an sich, sondern die erhoffte Wertsteigerung. Gerade im rasanten und überdies schier unübersehbaren Bereich der Dancefloor-Vinyls mit ihrem massiven Ausstoß von Drei- oder Fünfhunderter-Auflagen ist das ein Hoch-Risiko-Unternehmen mit drastischen kurzfristigen Preisschwankungen und kaum abschätzbarer Prognose über die Werthaltigkeit für die Zukunft.
Top-Handelsplatz ist dabei derzeit der Discogs-Marketplace. Ursprünglich als reine Informationsquelle für die Übersicht über möglichst alle Veröffentlichungen von Musik in den verschiedenen Formaten und Pressungen gedacht, finanziert sich die Seite inzwischen über einen regen Second-Hand-Markt. In den steigen – mehr oder weniger notgedrungen – natürlich auch die klassischen Händler vor Ort ein. Das merkt dann auch der normale Kunde, der sich gerade zum Record Store Day einige der zahlreichen aber begrenzt verfügbaren Sondereditionen besorgen will. Im Laden sind die zum Großteil gar nicht mehr zu haben – sogar, wenn sie beim Händler tatsächlich angekommen sind. Viel lukrativer, als sie zu einem ladenüblichen Preis am Veröffentlichungstag zu verkaufen, ist es, später damit zu Ebay oder eben Discogs zu gehen. (Die Frage, ob dass moralisch verurteilen kann, wer eh nur an diesem einen Tag des Jahres in einen Plattenladen geht, lassen wir hier mal prinzipiell beiseite. Aber dass gerade lokale Plattenläden sich bei aller Musikliebhaber-Fairness extrem nach der Decke strecken und dankbar für jeden Extra-Groschen sein müssen, ist auch nicht gerade ein allgemeines Geschäftsgeheimnis.) Und das Angebot wächst immer mehr.
Ganz bewusst setzen Labels bei ihren Veröffentlichungen auf Reizsignale wie „farbiges“ oder „extraschweres“ Vinyl und Deluxe-Editionen mit diversem Bonusinhalt oder geben Limitierungen vor. Die decken sich zwar oft mit der normal sowieso geplanten Vinyl-Auflage – je nach Bandgröße sind das zum Beispiel in Deutschland ein paar hundert für etablierte Indies oder mehrere tausend für die ganz Großen. Der gefühlte Anschaffungsdruck für Fans und Sammler wird so jedoch gänzlich ohne Aufwand und Kosten erhöht.
Dass das Geschäft mit Vinyl „profitable“ ist, hat auch die Industrie wieder erkannt. „Vinyl on demand“ war das Schlagwort, mit dem ausgerechnet Universal, weltweit größter Major, im Sommer für gewisses Aufsehen sorgte. Dass man aus dem riesigen Verlagskatalog mit unzähligen Klassikern auch im Sammlermarkt Profit machen kann, beweist das umfangreiche Vinyl-Re-Release-Programm, mit dem Universal derzeit tatsächlich punktet. Collectors-Editions, Picture-Vinyls, 7-Inch-Singles oder die ganz klassische (und immer noch am beste klingende) schwarze Vinylscheibe – das Angebot ist erstaunlich verlockend und zu – vergleichsweise – zivilen Preisen durchaus niedrigschwellig verfügbar und demzufolge attraktiv. Auch für jene, die einfach nur deshalb Vinyl kaufen, weil es das schönste Format ist, mit dem man Musik hören und in Ehren halten kann. Dafür muss man dann auch nicht 300.000 £ ausgeben.
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