Die Sinnfrage stellt keiner. Lars Lewerenz irrt durch die vom ihm eher ungeliebte City von Hamburg und sucht das Goldkontor. Was das soll, wissen vermutlich nicht mal Lars und seine vier Mitarbeiter selbst. Es muss eine dieser Ideen sein, die man nach ein paar Jacky Cola hat, wenn alle durcheinanderquatschen und die Lachflashs nicht mehr aufhören, weil eine Idee absurder ist als die andere. Jetzt aber ist es mitten am Tag und es erschließt sich nicht mehr so recht, was daran eigentlich so lustig sein soll, mit Simpsons-Socken und Basecap auf elf Uhr ein paar Gramm Gold zu kaufen. „Höchst unseriös“, feixt Lewerenz. Es ist so ungefähr die zentrale Aktion zum großen Jubiläum von Audiolith.
Seit zehn Jahren gibt es das Hamburger Label, gegründet, um die Musik der Band The Dance Inc regulär zu veröffentlichen. Wobei der Begriff „Band“ nicht wirklich zum Musikkonstrukt passte, für das der Begriff „Dancepunk“ gerade Recht kam. Es war nicht nur musikalisch das passgenaue Konzept für die neuen Zeiten, in denen neue Musik weitgehend unbekannter deutscher Bands zu verkaufen nicht wirklich ein erfolgversprechendes Geschäftsmodell darstellt. Audiolith-Acts haben in der Regel nicht viel dabei, wenn sie auf Tour sind. Anreise mit dem Zug ist nicht ungewöhnlich, produziert wird sowieso zu Hause und die Werbung übernehmen die Fans. Wofür sie im Zweifelsfall sogar noch bezahlen; Audiolith-Shirts und -Jutebeutel dürften das hierzulande meistverkaufte Merchandise der letzten Dekade sein – zumindest dem Augenschein auf den einschlägigen Festivals diesseits der Rock-am-Ring-Größenordnung nach.
Audiolith gilt als Erfolgsmodell. Schon die zehn Jahre Existenz sprechen dafür. Es gibt nicht so viele komplett independent arbeitende Labels, die das überhaupt schaffen. Als Lewerenz Audiolith gründete, standen die Zeichen der Zeit auf Optimismus für die Kleinen der Branche, die Schnellen, Unabhängigen, Ehrlichen mit dem kurzen Draht zur Zielgruppe und dem richtigen Riecher für die Trends. Den Independents sollte die Zukunft gehören, während die Majors mit gar nichts mehr zurecht kamen. Die hatten kein Konzept für dieses „Internet“, schafften ausgerechnet die A&Rs ab, deren Aufgabe es bis dahin war, neue Künstler zu entdecken, droppten „kleine“ Bands serienweise aus den Verträgen. Und hatten kein Problem damit, den Fans ihrer etablierten Stars das Musikhören und -kaufen so schwer wie möglich zu machen. Mit Kopierschutzsystemen, wegbrechendem Plattenladen-Support, Abmahnungen. Es sollte die goldene Zeit der Indies abrechen, die all das richtig machen würden.
So lief es dann aber blöderweise doch nicht. Die Industrie besann sich irgendwann doch auf so etwas wie eine Online-Strategie, Castingshows ersetzten A&Rs, die Margen zum Überleben wurden mit jedem Schritt auf das Internet zu noch schmaler – und Musik zu kaufen galt irgendwann nur noch als Hobby für betuchte Oldschool-Spinner. Sogar das Prinzip „Label“ schien obsolet, jeder konnte sich ja jetzt selbst vermarkten.
Trotzdem gibt es all diese Audiolith-Shirts und dieses Jubiläum. Und diese eigentlich komplett sinnlose Gold-Aktion erklärt dazu nichts und alles gleichzeitig. Audiolith ist das Musterbeispiel, wie ein Label heutzutage noch funktionieren kann. Im Guten wie im Schlechten. Das Gute ist offensichtlich: Es sind all die vorwiegend sehr jungen Menschen, die sich immer noch für ein Prinzip oberhalb der einzelnen Band begeistern können; für eine umfassendere Idee von Musik und Style. Die bedingungslos mit ihren Kumpels abfeiern, auch wenn der Geldbeutel das eigentlich nicht hergeben mag. Schon, weil man das Gefühl hat, dass die da vorn auf der Bühne auch zu diesen Kumpels gehören. Dafür gibt es die Parkplatz-Raves, die alltägliche Knochentour durch die Live-Bruchbuden des Landes, das gnadenlose Pflicht-Feiern bis die Sonne schon lange aufgegangen ist, das einem Lars Lewerenz erstaunlicherweise immer noch nichts auszumachen scheint. Vorn macht man dann allerdings auch öfter mal die Erfahrung, dass bei all der Abfeierei schnell aus dem Blickfeld gerät, was dem Musiker eigentlich am Herzen liegt. Nicht umsonst gelten Audiolith als weit links von der Masse, als Radikalinskis in Sachen Genderbewusstsein, Antifaschismus, Aktionismus zwischen Rote-Flora-Romantik und Gentrifizierungs-Straßenkampf.
Dass das beim Publikum nicht ohne Weiteres ankommt, zeigt sich immer mal wieder, wenn zum Beispiel Frittenbude auf der Bühne ein Problem mit „Ausziehen!“-Rufen haben, wenn eine Art Minishitstorm über den Audiolith-Facebook-Account hereinbricht, weil man mal drüber nachdenkt, ob Sven Regener nicht eventuell doch ein bisschen Recht haben könnte oder wenn – das ist das aktuellste Beispiel – Egotronic-Mastermind Torsun sich gegen gutbürgerlich-öko-verortete Rassisten mit Katzen-Rezepten wehrt. Es ist einer der Widersprüche der vermeintlich postpolitischen Jetztzeit, dass Popmusik inzwischen soviel Spaß machen muss, dass sogar nicht kleine Teile des eigenen Publikums bereit sind, zu ignorieren, was da an Haltung vertont wird. Und Spaß machen Audiolith immer. Bedingungslos. Bitte weitermachen.
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