Man ist ja einiges gewohnt und traut der „Musikindustrie“ im Zweifelsfall auch gern alles Schlechte dieser Welt zu. Wie man es aber so ganz richtig falsch macht, dafür gibt es jetzt ein neues Paradebeispiel. Noch vor einem Jahr war die New Yorker Rapperin Angel Haze die Sensation der Stunde, fehlte in praktisch keiner der vielen Listen, auf wen man 2013 ganz besonders aufmerksam sein müsste. Das kam nicht von ungefähr, mit einer Coverversion von Eminems „Cleaning Out My Closet“, einer atemberaubend brutalen seelischen Selbstentblößung und Kindheitsverarbeitung, und einer EP hatte sie sich in Windeseile zur angesagtesten Rapperin des Planeten gemausert. Dass sie ein Faible für Mode hat und auch nach weniger HipHop-lastigen Kriterien ziem
d brutalen seelischen Selbstentblößung und Kindheitsverarbeitung, und einer EP hatte sie sich in Windeseile zur angesagtesten Rapperin des Planeten gemausert. Dass sie ein Faible für Mode hat und auch nach weniger HipHop-lastigen Kriterien ziemlich gut aussieht, gilt nach allgemeinen Popmaßstäben obendrein als außerordentlich hilfreich, um jemanden als Star etablieren zu können. So weit so gut, der Erfolg des eigenen Albums schien nur noch eine Formalität zu sein. Nur: Das kam und kam einfach nicht.Erst für März 2014 hatte ihre Plattenfirma das längst fertige Debütalbum eingeplant, anderthalb Jahre nach dem ersten großen Aufhorchen. Äonen sind das für eine Generation von Künstlern und ihren Fans, die im ADHS-Zeitalter groß geworden sind und praktisch täglich neu angefüttert werden müssen. Dass Geduld nicht unbedingt eine von Angels Hazes Grundtugenden ist, lässt sich auch für Außenstehende leicht nachvollziehen, man muss da bloß mal einen Blick auf ihren Facebook- oder Twitter-Account werfen. Im Dezember wurde es der als durchaus impulsiv bekannten Rapperin genug: Sie stellte das komplette Album einfach zum Hören ins Netz, schließlich müsse sie ihr Versprechen einlösen, es würde 2013 erscheinen. Besser passend war die Beschreibung „ohne Rücksicht auf Verluste“ wohl selten. Klar war nun immerhin auch, dass die Ansage der im Sommer erschienenen bis dato einzigen offiziellen Veröffentlichung des Jahres durchaus ernster als gedacht zu nehmen war: „Fuck what you say“ hieß es in „Echelon (It’s My Way)“ noch.Die Katze war also aus dem Sack, gezwungenermaßen zog das Label nach und veröffentlichte „Dirty Gold“ denn auch tatsächlich ganz offiziell zum 30. Dezember – also mitten in der größten Saure-Gurken-Phase, die das Musikjahr zumindest aus Sicht einer Plattenfirma zu bieten hat. Dass man darüber nun wiederum nicht sehr erfreut war, lässt sich denken. Entsprechend lustlos geht der Release nun über die Bühne, praktisch ohne die sonst übliche Presse-Orchestrierung und mit konfusem Timing, was die verfügbaren Tonträgerformate angeht. Der „kommerzielle Flop“ ist somit praktisch garantiert. Da fällt das nächste Missverständnis fast gar nicht mehr ins Gewicht, das vor allem die Popkritik erwischte.Denn wer erwartet hatte, dass Angel Haze auf ihrem Album an die messerscharfen Coverversionen-Raps anknüpfte, mit denen sie sich das Jahr über mehr oder weniger die Zeit vertrieben hatte, sah sich schwer enttäuscht. Stattdessen sucht „Dirty Gold“ ganz explizit den Anschluss an eine amerikanische Charts-Soundkultur, die hierzulande, das beweisen die Kritiken, immer noch weitgehend abgelehnt wird – zumindest, wenn sie von einer eher als „ernsthaft“ wahrgenommenen Künstlerin kommt. Mit HipHop im engeren Sinne hat das kaum noch etwas zu tun, es wurde auch weder einer der üblichen Verdächtigen im HipHop-Produzenten-Kosmos verpflichtet, noch die sonst gängigen Gaststars für eigene Vocalparts eingeladen. Das kann man schade finden, ebenso den Umstand, dass die ganz große und tiefschürfende Maschinengewehr-Rap-Kunst hier nur noch im Ansatz gepflegt wird. Spaß macht – wenn man damit leben kann – dieses Album trotzdem.Alles andere als auf „Pop“ schielend aber auch ein großer Spaß ist „Run The Jewels“, das ebenfalls soeben hierzulande erschienene Album des gleichnamigen Projekts des Atlanta-Rappers Killer Mike mit dem Soundwizzard El-P. Auch diese Veröffentlichung folgt einer einigermaßen absurd anmutenden Logik. In den Staaten ist das Album schon seit Sommer als Download erhältlich, gar kostenlos; wer sich allen Ernstes für das zwar bemerkenswerte aber immer noch Außenseiter-Thema interessiert, hat sich längst versorgt. Sich zu trauen, jetzt nochmal regulär mit einem „physischen Tonträger“ nachzulegen, spricht nicht nur für den Optimismus des Labels, sondern natürlich auch für die Qualität des Werks. Und tatsächlich: Die eigentlich als Fingerübung konzipierte Kollaboration zeigt mal eben auf, wie man HipHop heute noch klassisch inszenieren kann, ohne auf Modernität im Sound zu verzichten oder die immer gleichen Klanggewohnheiten zu bedienen.Nie zurückstecken, immer schön die große Fresse und auf jeden Fall den größeren – nun ja – Schwanz und sowieso die größere Kanone haben – so lässt sich im Wesentlichen zusammenfassen, was sich die beiden mit enorm guter Laune um die Ohren ballern. Inszeniert ist die wohltuende Unernsthaftigkeit denn auch mit mehr Wumms, als die letzten Megaproduktionen von Kanye West und Jay Z zusammen auf die Waage bringen. El-P, dessen furioses „Cancer 4 Cure“ 2012 das ganz schwere Noise-gestählte Geschütz auffuhr, konzentriert sich hier auf höchst effektive Hooks, ohne jedoch den typischen widerborstigen Querschläger-Faktor ganz auszublenden. So geht’s also auch.