Kollateralschaden Clubkultur

Ton & Text Ab 2013 sollen die neuen GEMA-Tarife für „Tanzveranstaltungen“ gelten. Zuallererst über die Klinge springen dabei die „echten“ Clubs

Es gibt einen Tarif „für regelmäßige Musikwiedergaben mittels Tonträgern in Table-Dance-Lokalen, Striptease-Lokalen usw.“, einen für Varietés und Zirkusunternehmen, einen für Straßen- und Dorffeste, einen für Verwendung von Musik bei Wortkabaretts. Und natürlich einen für „Unterhaltungs- und Tanzmusik mit Tonträgerwiedergabe“. Elf Preislisten regeln derzeit, was jemand, der in irgendeinem Etablissement Musik von einem Tonträger zu Gehör bringt, an die GEMA abführen muss. Die ist dafür zuständig, dass die Komponisten und Texter ihren Teil abbekommen. Wie sie das tut, ist in so ziemlich allen Teilaspekten ein schwer umstrittener Vorgang. Vom Ende her gedacht vor allem, weil der sogenannte Verteilungsschlüssel nicht nur hochkompliziert, sondern nach Meinung vieler GEMA-Kritiker höchst ungerecht ist. Bevorzugt werden nämlich die, die eh schon dick im Geschäft sind. Das wiederum liegt – so der GEMA-Standpunkt – daran, dass die Hits eines Dieter-Bohlen-Kalibers halt überdurchschnittlich oft laufen würden, er also auch überdurchschnittlich an den Ausschüttungen beteiligt werden müsste.

Ob das wirklich so ist, weiß niemand genau. Die im Live-Geschäft üblichen „Musikfolgelisten“ – also die Aufzählung der wirklich gespielten Titel – gibt es im Kneipen- und Discothekengeschäft praktisch nicht. Und ob das von der GEMA angewandte „Black Box“-Verfahren wirklich repräsentative Daten liefert, darf so lange angezweifelt werden, bis die GEMA wenigstens einen klitzekleinen Einblick erlaubt, wo die Mitschneide-Kisten denn wirklich stehen und ob die Experten, die das dann ausklamüsern, wirklich so fähig sind, alle gespielte Musik eindeutig zuordnen zu können.

Knatsch gibt es aber derzeit vor allem am Anfang der Verwertungskette. Nach und nach lichtet die GEMA nämlich ihren Tarifdschungel. Dass das durchaus gut gehen kann, bewies die Reformation der Konditionen für Livekonzerte, die gerade kleineren und mittleren Veranstaltern tatsächlich bessere Kalkulation und realistischere Abrechnungen ermöglichten. Jetzt ist die „Tonträgewiedergabe“ dran. Statt der bisherigen elf soll es im nächsten Jahr nur noch zwei Grundtarife geben. Entbürokratisierung und Entlastungen für kleinere Veranstalter führt die GEMA als die Vorzüge an. Und eine gerechtere Entlohnung der Urheber, die bisher zu wenig an den Profiten der Discothekenbetreiber partizipieren würden. Die von der Aufsichtsinstitution als Urheberanteil empfohlene Richtmarke von 10 Prozent der Einnahmen seien bisher noch lange nicht erreicht. Das macht Betroffene natürlich hellhörig. Organisiert sind Discothekenbetreiber vorrangig im DEHOGA, dem Hotel- und Gaststättenverband. Der macht mobil und präsentiert saftige Beispielrechnungen mit Erhöhungen der GEMA-Gebühren zwischen 400 und 1400 Prozent. Eine Online-Petition gegen die Tarif-Reform nimmt darauf Bezug und hat in einem Monat 75.000 Unterzeichner eingesammelt. (Was jetzt auch wenig überraschend ist, werden doch Anti-GEMA-Statements prinzipiell gern per Twitter und Facebook weitergereicht, auch wenn das Thema oft etwas komplizierter ist, als es im kommunizierten Protestslogan aussieht.)

Gezielt ist die Reform ganz offensichtlich auf „Großraumdiscos“, also auf den Bereich der Tanzmusikveranstalter, die man zwar aus Sicht der Kulturkritik eher unter Pariah ablegt, die aber natürlich den Großteil des Geschäfts mit Tanzmusik ausmachen und denen der bisher übliche „Pauschalvergütungssatz“ durchaus entgegen kam. Allerdings nicht nur ihnen. Denn auch „richtige“ Clubs, also der Teil der Szene, in der musikalische Entwicklung passiert und in denen man den DJ lieber nicht nach David Guetta fragt, sind von den neuen Tarifen drastisch betroffen. Die orientieren sich nicht mehr einfach nur nach der bespielten Fläche des Dancefloors, sondern auch am verlangten Eintritt (natürlich dem jeweils höchsten, das ist bekannte GEMA-Tradition) und der „Zeitdauer“. Das ist eine Regel, die Veranstalter besonders auf die Palme bringt, wirkt sie doch wie eine Standardschikane: Dauert die Beschallung mehr als fünf Stunden, gibt es 50 Prozent Aufschlag für jede angefangene drei Stunden. Es scheint eine bewusst tief gelegte Grenze, nur Kinderdiscos und After-Work-Partys bleiben in diesem Rahmen. Ein anständiger Club ist normalerweise locker mit acht bis zehn Stunden dabei – im Klartext: die eh schon erhöhte Gebühr verdoppelt sich.

Über erhöhte Eintrittsgelder lässt sich das schon deshalb nicht einfach regeln, weil mit höheren Preisen auch die Gebühren steigen. Außerdem lässt sich die in den letzten Jahren deutlich angezogene Preisschraube an der Abendkasse nicht einfach noch weiter drehen. Das kritische Niveau, das Leute bereit sind als Eintritt auszugeben, scheint vielerorts erreicht. Nicht berücksichtigt wird übrigens sowieso, wieviele Leute den Eintrittspreis überhaupt zahlen, wie hoch also die Einnahmen an der Tür wirklich sind. Nicht wirklich hilfreich wären Erhöhungen der Gastropreise, die im Regelfall Bestandteil der Gesamtkalkulation eines Clubs sind. Auch das würden die Gäste sehr ungnädig aufnehmen. Clevere Gastronomen verweisen darauf, dass der mögliche Zugewinn schon wegen der höheren Mehrwertsteuer nicht wirklich eine Option wäre. Sparen lässt sich also am Personal – in der Regel keine gute Idee – oder am DJ.

Das ist einer der aus kultureller Sicht kritischsten Punkte: Eine automatisch enger gestrickte Kalkulation führt letztendlich zu Einsparungen bei den DJ-Gagen. Das ist in der Großraumdisco nicht wirklich ein Problem, dort stehen meist mehr oder weniger namenlose Residents am Pult, deren Gage nicht im internationalen Konkurrenzkampf gebildet wird. Clubkultur, die auf sich hält, braucht aber international angesagte Künstler. Die zu holen wird deutlich schwieriger, wenn der Gürtel noch enger geschnallt werden muss. Für viele kleinere Clubs dürfte das aber sogar noch wie ein Luxusproblem anmuten. Denn was die GEMA unter „klein“ versteht und vergleichsweise milde tarifiert, geht anderswo gerade mal als Wohnzimmer durch. Ein paar simple Beispielrechnungen machen schnell deutlich, dass es unter Umständen tatsächlich auch existenziell schwierig werden kann, einen Club weiter zu betreiben. Vor allem, wenn er nicht jeden Abend proppevoll ist und wenn man nicht mit anderen Veranstaltungsarten, also zum Beispiel „Konzerten“ mischkalkuliert. Musikalische Experimente wären noch riskanter als ohnehin schon.

So richtig erkannt haben das – vom üblichen Anti-GEMA-Alarmismus mal abgesehen – wohl noch nicht viele Clubbetreiber. Und welche Optionen hätten sie denn auch? Ein paar Solidaradressen untereinander und aufgeregte Facebook-Kampagnen – da werden sicher noch ein paar kommen – sind sicher nicht besonders effektiv. Eigenen politischen Druck zu erzeugen, ist für die weniger organisierte Clubszene schwer möglich – auch wenn gerade in Zeiten „weicher Standortfaktoren“ gerade dieses „Kreativwirtschaft“-Segment als nicht unwesentlich für die Standortqualität gelten kann. Sich mit den sonst eher verachteten „Disse“-Betreibern an einen Tisch zu setzen und eine gemeinsame Strategie zu fahren, scheint schwer vorstellbar. Denen das Feld zu überlassen aber auch. Nur losgehen müsste es bald. Die Uhr bis 2013 tickt.

Jörg Augsburg schrieb zuletzt über den ESC in Baku

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