Land Of Hope And Dreams

Ton & Text Eine ehrenhafte Riege Altrocker spielt für die amerikanischen Opfer von Sandy: 12-12-12 führt die Tradition des Mega-Benefiz an die auch ideologischen Grenzen

„You are like a hurricane, there’s calm in your eye, and I’m gettin’ blown away.“ Es hat ein bisschen gedauert, bis Neil Young diese Zeilen am 6. Dezember angestimmt hat. Ob er sie überhaupt spielen könnte, dürfte, darüber gab es ernsthafte Spekulationen. Denn aufgetreten ist er in Atlantic City, der Vergnügungsstadt an der Ostküste der Staaten, die von Hurrikan Sandy schwer gezeichnet wurde. (Auch wenn der berühmte „Boardwalk“, die Strandpromenade, keineswegs, wie von Medien weltweit vermeldet, komplett zerstört ist.) „Like A Hurricane“ war dann die Zugabe und man kann sich gut vorstellen, welche emotionale Wucht dieser Moment bei den Besuchern von Neil Youngs ganz eigenem Sandy-Benefiz-Konzert entwickelte.

Das Mega-Konzert in Sachen Sandy fand indes ein paar Tage später ohne ihn statt, er fand, er würde angesichts des Star-Auflaufs dort keinen großen Unterschied mehr machen: „12-12-12: The Concert For Sandy Relief“ ist zweifelsfrei das Benefiz-Event des Jahres und in einigen Belangen spektakulär. Zuerst mal, weil es jetzt als das „meistverbreitete Livekonzert“ in der Geschichte gilt. Zwei Milliarden Haushalte wollen die Veranstalter per TV- und Web-Übertragung weltweit erreicht haben. Eine enorme Marke, klar, selbst, wenn man der optimistischen Angabe nicht vollends trauen mag, schon, weil man praktisch niemanden kennt, der hierzulande wirklich live mitgeschaut hat. Das ist sicher der Zeitverschiebung geschuldet, verweist aber auch darauf, dass es globale Entertainment-Events inzwischen genauso schwer haben, wie der simple deutsche Straßenfeger des Fernsehzeitalters. Da hilft die langfristig eroberte Erinnerungshoheit über das schicke Datum 12.12.2012 erst mal wenig. Die Begeisterungs-, gar Hysteriedimensionen eines vormaligen Live Aid werden sich kaum noch einmal reproduzieren lassen. Selbstverständlich mag im konkreten Fall auch eine Rolle spielen, dass die Empathie gegenüber den Nöten im US-amerikanischen Kernland auch hierzulande etwas weniger ausgeprägt ist als bei – sagen wir mal – Hungernden in den ärmsten Gegenden der Welt. Alle Einnahmen von 12-12-12 kommen dem Robin Hood Relief Fund zu Gute, einer Organisation zur Armutsbekämpfung im New York Area.

Die Wirkmächtigkeit der Veranstaltung stellt sich also in erster Linie durch das Line-Up her, das immerhin – so stellte Mick Jagger nicht unzutreffend frotzelnd fest – „die größte Versammlung alter englischer Musiker ist, die jemals im Madison Square Garden versammelt war“. Um sich im gleichen Atemzug gleich noch richtig in den Fettnapf der Befindlichkeiten zu setzen: „Ihr kommt und helft uns doch auch, wenn es in London mal regnet, okay?“ Zwei Songs steuerten die Rolling Stones immerhin bei, fast schon ein Bruch ihrer goldenen Regel, Konzerte niemals an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu geben. Ihr regulärer Tour-Auftritt folgte einen Tag später – in Newark, New Jersey, keine 15 Meilen vom Madison Square Garden entfernt.

Mega-Benefiz-Konzerte

Es war ein Brite, der die Reihe der ganz großen Benefiz-Konzerte begründete. George Harrison, der enge Verbindungen zu indischen Musikern pflegte, war erschüttert vom Schicksal von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bangladesch und initiierte 1971 das Concert For Bangladesh – gemeinsam mit Ravi Shankar, heute als einer der Großmentoren der „World Music“ unvergessen. Mit dem Concert For Bangladesh, seinem komprimierten All-Star-Auflauf und der anschließenden konsequenten Vermarktung schuf Harrison das im Prinzip bis heute nicht veränderte Muster für Mega-Benefiz-Konzerte, in das sich auch 12-12-12 einpasst. Dessen altruistischer Grundansatz ist allerdings im Wortsinn naheliegender.

Es gibt eine gute amerikanische Tradition der Solidarität mit jenen Hard-working-man, ohne die nach allgemeinem Verständnis diese Vereinigten Staaten nicht existieren würden. Songs über Unterklasse und Proletariat, über Arbeiter und Farmer bestimmen einen Großteil des uramerikanischen Kulturguts. Ungeachtet der sicher oft weit auseinanderliegenden Weltsichten eines Farmers im Mittelwesten und eines Rockstars – dem Mythos der Freiheit des Einzelnen und der eigenen Schaffenskraft fühlen sich viele Musiker der Rockergeneration noch verpflichtet, sie stehen für das „Land Of Hope And Dreams“, das Bruce Springsteen auf seinem aktuellen Album gerade wieder besingt und das zu den tiefer wirkenden Momenten in New York zählte.

Man wundert sich fast, dass ausgerechnet Springsteen nie auf einem Farm Aid-Konzert aufgetreten ist. „Keep America Growing“ ist das wörtlich zu nehmende Motto der wohl am längsten aktiven größeren Benefiz-Konzertreihe der Welt. 1985 organisierten Willie Nelson, John Mellencamp und Neil Young das erste der Farm Aid-Konzerte, bei denen sie seitdem praktisch das Stammpersonal bilden. Im Sinne hatten sie dabei die Unterstützung der amerikanischen „family farmer“, seit Jahrzehnten im Rückzugsgefecht gegen die Landwirtschaftsindustrie und existenziell abhängiger als andere Arbeiter von den Unbilden der Natur. Die Idee stammt ausgerechnet von einer ziemlich dreisten Anmerkung Bob Dylans während des kurz vorher stattfindenden Live Aid: Er hoffe, einiges von dem Geld würde jenen amerikanischen Farmern helfen, die wegen Hypothekenschulden ihr Land verlieren würden.

12-12-12 treibt diesen Ansatz einfach ein bisschen weiter, hebt somit natürlich auch die systemimmanente Amerika-Zentrierung der Sandy-Berichterstattung noch einmal auf eine neue Ebene. Musikalisch war es ein durchaus bemerkenswertes Konzert, zumindest wenn man mit der vorwiegend altgedienten Rockerriege überhaupt etwas anfangen kann. In Erinnerung bleibt jedenfalls das erste gemeinsame Musizieren der Rest-Nirvana seit 18 Jahren – ihr Auftritt mit Paul McCartney darf als die einzig wirkliche riesige Überraschung des Abends gelten. Erstaunlicherweise ist ausgerechnet dieser Höhepunkt nicht auf dem soeben ruckzuck erschienenen Soundtrack enthalten. Der Rest ist, was eine fast vergangene Rock-Ära und das ergraute Mainstream-Amerika derzeit noch zu bieten hat. Es ist aller Ehren wert.

„12-12-12 The Concert For Sandy Relief“ ist in Deutschland ab 21.12.2012 als Download via iTunes, ab 11.1.2013 als CD erhältlich

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit motor.de entstanden

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