Let’s Roll!

Ton & Text Immer noch erstaunlich viel Lustgewinn: Bob Dylans „Bootleg Series“ zur fundamentalen Album-Trilogie von 1965/66. Das perfekte Begleitbuch dazu gibt es auch schon
Es lohnt nicht, jemandem Dylan ans Herz zu legen, der ihn nicht eh schon schätzt
Es lohnt nicht, jemandem Dylan ans Herz zu legen, der ihn nicht eh schon schätzt

Bild: Adam Bettcher/Getty

Es waren auch im äußerst reichhaltigen Erlebnis-Fundus langjähriger Fans bemerkenswerte Konzerte, die Bob Dylan jüngst hierzulande gegeben hat. Nicht neu ist zwar, dass man auf seiner Never-Ending-Tour bis auf rare Ausnahmen vor allem die zeitgenössischeren Stücke geboten bekommt. Allerdings konnte man diesmal so ziemlich zum ersten Mal wirklich eine feste, berechenbare Setlist erwarten. Das ist zumindest für all jene ein Vorteil, die nicht beinharte Mittourer und Dylanologen sind, sondern dankbar für jede Chance, sich mit der eben nicht gerade unkomplizierten Materie der Dylanschen Songauswahl schon ein wenig im Vorfeld vertraut machen zu können. Nichtsdestotrotz überraschend jedoch war, dass seine Frank-Sinatra-Hommage des aktuellen Albums „Shadows In The Night“ live doch noch deutlich hinreißender ist, als man das vielleicht erwarten durfte. Was wiederum nur deshalb überhaupt so funktioniert, weil jedes Dylan-Konzert der Neuzeit selbstredend ein preaching-to-the-converted darstellt.

Es ist kein lohnenswertes Unterfangen, jemandem Bob Dylan ans Herz zu legen, der Dylan nicht ohnehin schon schätzt, schon gar nicht Menschen unter – sagen wir mal – Mitte 40. Das ist einerseits schade, manifestiert es doch einen Generationenabbruch der Fan-Gemeinde, der gerade bei den Konzerten unübersehbar ist; wozu die einigermaßen exzessive Preisgestaltung sicher auch einen Gutteil beiträgt. Man muss schon über so etwas wie ein vernünftiges Einkommen verfügen oder ein ausgeprägtes Laissez-faire-Verhältnis zu seinem eigenen Geld haben, um sich Bob Dylan live zu gönnen – wobei man bekanntermaßen nie sicher sein kann, ob der Abend nicht ein echt frustrierender werden könnte. (Keine Spur davon diesmal, immerhin.) Andererseits erfordert das aktuelle Schaffen selbstverständlich schon fast einen gewissen Altersvorbehalt, eine Kenntnis und Akzeptanz ganz anderer Qualitäten, als man sie von einem Konzert irgendeines angesagten Jungspunds erwarten darf.

Fünfzig Jahre ist es her, dass die Albumtrilogie „Bringing It All Back Home“, „Highway 61 Revisited“ und „Blonde On Blonde“ die wohl nachhaltigste Periode im Schaffen Dylans markierte; popmusikhistorisch gemeinhin als Sprung vom akustischen Folk zum elektrifizierten Rock angesehen. Im Zeitraum von gerade mal einem Jahr wurden die Werke eingespielt und veröffentlicht, zwischendurch tourte Dylan auch noch ausgiebig durch Europa und Amerika, nach heutigen Maßstäben ein schier unvorstellbar enger Zeitrahmen – sowieso angesichts des wohl tatsächlich fundamental gemeinten, scheinbar kompromisslosen Bruchs mit den musikalischen und auch sonst umfassenden Erwartungen an Dylan, der kein „Protestsänger“ mehr sein wollte, obwohl (oder weil) er doch geradezu messianisch angebetet wurde und es einen Hype um seine Person gab, der bis dato so noch selten gesehen wurde. (Nun ja, Popmusik im engeren Sinn war auch gerade mal ein Jahrzehnt alt, wenn man die Zeitrechnung mit Elvis’ Sun-Records-Zeiten beginnen mag.)

Wie lohnenswert auch nach all den Jahren und einer Unzahl an Veröffentlichungen eine genauere Beschäftigung mit den Songs dieser Ära ist, beweist Bob Dylan gerade selbst. Soeben erschien die Nummer 12 seiner eh schon oft sehr lohnenswerten „Bootleg Series“. „The Cutting Edge“ dokumentiert in aller Ausführlichkeit (allerdings gestaffelt nach Edition und, klar, Preis) den Schaffensprozess der Songs im Studio. Und selbst als Verfechter der reinen Lehre vom finalen Kunstwerk als Willen des Künstlers lässt sich kaum anderes feststellen: Das ist großartig. Bis heute entwickelt gerade das fundamental wichtige Mittelwerk, „Highway 61 Revisited“ eine Wirkmächtigkeit, die durch die Sektion seiner Entstehung noch gestärkt wird. Keine Spur von Langeweile, während man sich durch gleich mehrere Versionen der ja altbekannten Songs hört, die sich zum großen Teil während der verschiedenen Sessions spürbar verändern, meist weg vom anfangs immer noch dominanteren Folk-Gestus hin zum komplett neuartigen Bob-Dylan-Sound, der in seinem musikalischen und textlichen Duktus weder von Nachfolgern noch von den Legionen an Coverversionen auch nur annähernd getroffen werden konnte.

Warum das so ist, kann sogar viel besser nachvollziehen, wer Mark Polizottis (im Original schon 2006 erschienene, im Frühjahr bei der Popdiskurs-regen Edition Tiamat übersetzte) äußerst genau recherchierte Analyse „Highway 61 Revisited – Bob Dylan’s Road Album“ hinzuzieht. Die setzt all die mehr oder weniger bekannten Personen, Daten und Umstände bis hin zu den einzelnen Takes während der Aufnahmesessions auf verblüffend lesbare Art in den Kontext, bietet Fakten ebenso wie Anekdoten und zeichnet so ein wundervoll detailreiches und spannendes, obendrein gut lesbares Begleitbuch zum Bootleg-Overkill. Dabei ist es – so sieht das Polizotti auch – außerhalb von Dylanologen-Kongressen natürlich gar nicht so wichtig, wer denn nun Miss Lonely, die unverhohlen hämisch besungene Sozialabsteigerin aus „Like A Rolling Stone“, konkret ist oder wer mit jenem wonnevoll verhöhnten Mr. Jones gemeint ein könnte, der sich im manisch-düsteren „Ballad Of A Thin Man“ völlig verwirrt in einer Welt wiederfindet, die komplett aus den bis dato gewohnten Fugen ist.

Den zahlreichen Mythen schadet Buch- und Bootleg-Aufarbeitung nicht, eigentlich erstaunlich, weil ja die genau herausgearbeiteten Fakten und Songs kaum noch ein Geheimnis übrig lassen. Immer noch faszinierend ist zum Beispiel Dylans spektakulär kurzer Skandal-Auftritt auf dem Newport Folk Festival im gleichen Jahr, als er schon mit den Auftaktworten „Let’s roll!“ klarstellte, dass er jetzt alle Anwesenden vor den Kopf zu stoßen gedenke. Oder der (schon mit „The Bootleg Series Volume 4“ eingefangene) Moment auf der folgenden Europa-Tour, als er auf den „Judas“-Ruf im Publikum, das ihn in Teilen als Verräter ansah, seiner Band ein trotziges „Play it fucking loud!“ befahl. Diese Ära atemberaubend rasanter Entwicklung auch im Nachgang noch einmal zu erschließen, ist nicht nur ein Erkenntnis- sondern auch ein echter Lustgewinn des Hörens. Zumindest, wenn man schon bekehrt ist.

Bob Dylan: The Cutting Edge 1965-1966 – The Bootleg Series Volume 12;
diverse Varianten und Audio-Formate, Columbia/Sony

Mark Polizzotti: Highway 61 Revisited – Bob Dylan’s Road Album;
176 Seiten, 18 Euro, ISBN: 978-3-89320-198-3

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