Licht aus, Handy an!

Ton & Text Größer, länger, Dauer-Emotion: Konzerte verlangen permanente Leistungs- und Spaßbereitschaft schon lange nicht mehr nur der Band auf der Bühne ab
Show statt einfach nur 60 Minuten 1,2,3,4: Justin Bieber bietet was fürs Geld
Show statt einfach nur 60 Minuten 1,2,3,4: Justin Bieber bietet was fürs Geld

Foto: Jakubaszek/ AFP/ Getty Images

„Cause we all gave the power, we all gave the best, and everyone gave everything, and every song everybody sang. Live is life, nanananana.“ 1985 war Opus’ „Live Is Life“ ein Monster-Hit, eine unkaputtbare akustische Pest, deren dreister Simplizität man sich, egal wie groß die Ablehung war, nicht entziehen konnte. Es ist eine Art Treppenwitz der Musikgeschichte, dass sich ausgerechnet dieser enorm penetrante Song als prophetische Blaupause des aktuellen Musikgeschäfts herausstellen sollte.

„Live“ gilt mehr denn je als das verbliebene Segment des Popmusik-Betriebes, in dem man überhaupt noch halbwegs Geld verdienen kann, zumindest auf den ersten Blick. Im Detail ist es deutlich komplizierter, ist das Live-Geschäft gerade im kleinteiligeren Bereich, also in den Clubs, schwer berechenbar. Gerade „kleine“ Bands haben es schwerer als je zuvor, sich auf der Bühne bekannt zu machen, verdienen kann so eine Band an einer Tour normalerweise nichts, sondern nur draufzahlen. Hat man eine gewisse Grenze des Bekanntheitsgrades überschritten, kann man hingegen Konditionen verlangen, die wiederum kleineren Clubs und Festivals unter enormem Konkurrenzdruck schnell das Genick zu brechen vermögen. Die Booking-Kosten haben sich in den letzten zehn Jahren praktisch verdoppelt oder gar verdreifacht, wirklich auffangen lässt sich das nur durch permanentes Wachstum in Sachen Besucherzahlen. Eine Entwicklung, die offensichtlich nicht ewig gut gehen kann, auch, wenn von der Live-Blase noch niemand offen reden mag.

In Echtzeit und vor Ort

Nichtsdestotrotz: Die Live-Branche boomt derzeit noch und Optimisten sehen das sogar als Rückkehr zu den Wurzeln der Popmusik, als Musik noch nicht auf Tonträgern erhältlich war. Um einen Künstler zu hören, musste man ihn auch sehen. In Echtzeit und vor Ort. Heute ist, was in Vorzeiten pure Notwendigkeit war, das letzte Stück „Authentizität“ in der Popmusik. Das Konzert-Erlebnis sei – im Gegensatz zur dargebotenen Musik – eben nicht beliebig oft und verlustlos reproduzierbar, so die gängige Meinung zum Thema. Und tatsächlich: das Publikum scheint zwar zunehmend weniger bereit zu sein, Geld für CDs auszugeben, für Tickets hingegen werden auch drastisch höhere Preise gezahlt als noch vor wenigen Jahren. Wenn auch nicht im kleinen Club, wo jeder, der gelegentlich Kassendienst schiebt, die Hände vors Gesicht schlägt, wenn man nach der Zahlungslaune des Tagespublikums fragt. Im „Big Business“ dagegen scheint es derzeit noch kaum Grenzen zu geben. Wer nicht die Chuzpe hat, auf Last-Minute-Kontingente oder den Schwarzhandel vor dem Einlass zu spekulieren, muss inzwischen verdammt langfristig planen.

Schon ein volles Jahr vor dem eigentlichen Konzert den Vorverkauf zu starten, ist schon lange keine Ausnahme bei wirklich großen Bands. Und auch dann sind viele Konzerte im Handumdrehen ausverkauft, weil professionelle Ticket-Spekulanten immer wieder Tricks finden, die Systeme der Anbieter auszuhebeln und den normalen Interessenten auszubooten. Auch halbwegs gut eingeführte Indie-Bands verkaufen heute früher und teurer, selbst für die One-Hit-Wonder der Internet-Ära ist langfristiges Investment gefordert, aktuelles Beispiel ist der HipHop-Aufsteiger Cro, dessen Tour im Herbst nur auf Grund seines einen „Easy“-Megahits zum Selbstläufer wurde – da war das Debüt-Album noch gar nicht draußen. Für große Festivals gilt es heutzutage schon fast als Makel, wenn man nicht schon Monate voraus ein „Ausverkauft“ melden kann. Radiosender machen inzwischen aus dem Gewinnspiel „mit den allerletzten Tickets“ ein Standard-Geschäftsmodell.

Vorfreude verlangt einen Gegenwert

Spontaneität ist für den Normalbesucher so natürlich mehr oder weniger ausgeschlossen. Und das gilt auch für die Konzerte selbst. Immer mehr durchritualisiert sind derlei nicht nur von Veranstalterseite aus aufwendig geplante Events. Klar: Wer ein halbes Jahr oder länger das Ticket überm Bett oder Schreibtisch hängen hat, verlangt einen emotionalen Gegenwert für die lang gehegte Vorfreude. Natürlich wird diesem Bedürfnis auch abseits des klassischen Tour-Merchandising noch Rechnung getragen. Es gibt die speziell bedruckten Pfandbecher zur Tour – zwei Euro pro Motiv sind es dem Besucher dann oft wert, sie als Andenken mitzunehmen. Wer es sich als Band leisten kann und sich traut, die normalen Produktionsbedingungen einer „Live“-Platte zu übergehen, bietet direkt nach dem Konzert den MP3-Mitschnitt an. Zu einem Preis, den kein Besucher für eine CD ausgeben würde und was den klassischen Live-Bootlegger perspektivisch aussterben lässt.

Die Konzerte selbst müssen unter diesen Bedingungen standardgemäß außerordentlich sein, sie müssen – so die schlichte Rechnung – ihr gutes Geld wert sein. Die alte englische Schule – 60 Minuten, keine Ansage, keine Zugabe – kommt da nicht mehr gut an. Mindestens zwei Stunden werden gefordert, es muss krachen, Explosionen und Budenzauber gehören dazu, man will animiert werden wie im All-inclusive-Urlaub. Schweiß, blaue Flecken und vielleicht sogar ein bisschen Blut gehören zum unvergesslichen Erlebnis selbstverständlich dazu. So geht denn auch zumindest bei halbwegs gitarrenlastigen Bands nichts mehr ohne „Wall Of Death“ – vor der Bühne wird ein leerer Kreis gebildet, in den auf Kommando alle hineinstürzen. Es ist eine Art domestiziertes Pogo-Imitat, immer begleitet vom Hinweis, doch bitte auf niemanden zu treten und aufeinander zu achten.

Wer sich dem Spaß-Faschismus, dem allgemeinen Mithüpfen, den Laolas, dem sowieso verbindlichen Hit-Mitsingen oder dem ständigen Getrete durch Crowdsurfer entzieht, darf sich nicht wundern, als Rumsteher und Spaßbremse angemotzt zu werden. Tribünensitz-Nutzer gelten gar als Konzertbesucher zweiter Klasse, als nicht leistungsbereit genug, vor allem, wenn sie sich erdreisten, während des Konzerts nicht dauernd aufzuspringen und permanent mitzuklatschen. Aufgedrehte Emotion ist Pflicht. Nur das Feuerzeug – früher der Inbegriff des gefühligen Konzerthöhepunkts – hat ausgedient. Wenn’s mal ruhiger wird, werden die Handys gezückt, zur Erinnerungskultur gehören schließlich auch Bilder, besser noch Videos. Nur – und hier beißt sich die Katze in den Schwanz – wer das all zu ernsthaft betreibt, um etwas anderes als verwackelte Farbschlieren auf YouTube hochzuladen, macht sich auch wieder unbeliebt. Fast so, als ob man dem Konzert durch das Display eines Handys nicht mindestens so aufmerksam folgen würde, wie mit einem Bierbecher in der Hand mitten im Moshpit. Live is life.

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit motor.de entstanden.

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