Man darf gleich mal misstrauisch werden, wenn das Wort „Impuls“ fällt. Es ist das Kennzeichen dafür, dass man sich in einem Kosmos befindet, in dem es immer nur einen kleinen Anstoß bräuchte und schon ginge alles los – und zwar in die richtige Richtung. So wie in, ähem, Berlin: „Berlin als Sehnsuchtsstadt internationaler Kreativer wird zum Impulsgeber für das Selbstverständnis von Popidentitäten von Glamour bis Queer.“ So steht es in der Pressemitteilung des Musicboard Berlin, der Förderanstalt der Arm-aber-sexy-Metropole, die sich um jenen Bereich kümmern soll, für den Berlin derzeit weltbekannt ist: seine Musikszene. Nun kann man sich sehr lange trefflich darüber streiten, ob das Konzept des Musicboards gut oder schlecht gemeint ist und ob es gut oder schlecht arbeitet. Immerhin arbeitet es überhaupt, das ist deutlich mehr als fast jede andere deutsche Stadt vorweisen kann, die sich auch gern Trendmetropole nennen ließe. Jetzt hat das Musicboard seine Pläne für die nächste Berlin Music Week verlautbaren lassen. Die heißt dann Pop=Kultur. Und findet – Schenkelklopfer! – im Berghain statt. Jenem Club also, der zumindest in Berlin immer noch gern als der beste der Welt angesehen wird, ungeachtet der Tatsache, dass man im Rest der Republik schon das Wort Berghain nur noch mit hochgedrehten Augen erträgt. Aber so war Berlin ja schon immer, schön nervig.
Die Berlin Music Week gibt es in dieser Form noch keine Handvoll Jahre. Salopp formuliert ist sie entstanden, weil Politik und Verwaltung den damals im Clinch liegenden Berliner Musikkonferenz-Playern die Pistole auf die Brust gesetzt hatten. Alle gemeinsam oder gar nicht. Jedenfalls nicht mit öffentlichem Geld. Die Zwangsvereinigung ging dann rasch über die Bühne. Nur geholfen hat sie nicht wirklich. Bis heute ist die Berlin Music Week eine Veranstaltung, die in Berlin selbst kein Schwein außerhalb enger Branchenzirkel interessiert und umstandslos im ganz normalen Schwarzen Loch des Berliner Club-Alltagsgeschäfts einsortiert wird. Nicht mal das Flaggschiff Berlin Festival konnte sich auch nur halbwegs bei einer ausreichenden Zahl Publikum durchsetzen oder wenigstens ein Jahr ohne peinliche Negativmeldungen über chaotische Organisation auskommen. Das soll jetzt alles anders werden? Auf jeden Fall. Aber auch besser?
Schaut man sich die aktuelle Situation der Musikbranchen-Events in Deutschland an, ist jeder mit einem gewissen Grad an gesundem Verstand geneigt, sich an die Stirn zu schlagen. Innerhalb von fünf Wochen im August und September finden die drei großen Festivals und Konferenzen statt: die c/o Pop in Köln, die Berlin Music Week und das Hamburger Reeperbahn Festival, das soeben über die Bühnen ging. Selbst der Gutgläubigste nimmt den Abschlusspresseerklärungen aller dieser Veranstaltungen nicht mehr ab, was dort seit Jahr und Tag vollmundig behauptet wird: Alles war immer noch besser, größer und wichtiger als im Vorjahr.
In Köln klaffen Anspruch und Wirklichkeit derzeit fast soweit auseinander wie in Berlin. Gegründet wurde die c/o Pop als eine Art Trotzreaktion auf den Weggang der damals noch einzigartigen und heute verblichenen Popkomm nach Berlin. So richtig eingeschlagen hat das Konzept aber nie, was auch dem unentschlossenen Irrlichtern zwischen sympathischen Innenstadt-Locations und dem brutal charmelosen Messegelände geschuldet ist. Jetzt – so ließ man im Vorfeld verlauten – habe man sich entschlossen, endlich auch mal Headliner anzubieten, um größeres Interesse zu wecken. Nur, dass es ein „Keine-Headliner“-Prinzip dort eh noch nie gab und man auch in diesem Jahr recht ziellos im mediokren Bereich des „irgendwie interessant, aber noch lange kein Massenappeal“ wilderte. Musik an sich spielt aber auf den Podien sowieso nicht mehr die Hauptrolle. Man redet über neue Verwertungsmodelle, über Apps, über mobile Anwendungen. Musik ist da nur noch einer von vielen Contentlieferanten – immerhin noch der mit der größten Credibility und der Part, der noch am ehesten Publikum zu generieren vermag; eben in den Konzerten und Clubs des Abend- und Nachtprogramms. Publikumszahlen wiederum sind die harte Währung im Sponsor- und Fördermittelbeschaffungsgeschäft.
Im Prinzip gilt das ebenso für das Reeperbahn Festival. Auch hier buhlt man vor allem um die App-Entwickler. Begleitet wird das mit einem – klar! – Liveticker von Spiegel Online, der wiederum vom Nachwuchs aus der Henri-Nannen-Schule im Stile von Schülerzeitungsautoren vollgestopft wird. Keine Atempause, Geschichten werden nicht gemacht. Dem Reeperbahn Festival an sich macht das indes wenig aus. Das ist unter den drei immer noch der Primus – vor allem wegen des konstant interessanten Booking-Pakets, das Interessierten weit mehr Entdeckungen ermöglicht als die Konkurrenz. Und wegen seiner einzigartigen Kiez-Atmosphäre. Wie lange es die allerdings noch gibt, darüber streitet man sich in Hamburg – Metropole von Gentrifizierung und massivem Widerstand dagegen gleichermaßen – ganz besonders. Dass das Reeperbahn Festival ohne die angestammten Clubs der geräumten Esso-Häuser auskommen muss, dafür aber seine Basis im neuen Hotelhochhaus am Eingang der Reeperbahn aufgeschlagen hat, passt ins Bild. Sogar, dass man den Hamburgern die Wachstumsprognose wirklich abnehmen kann – für ein Clubfestival ist das nicht ganz unproblematisch. Bis zu 40.000 Besucher können sich die Macher vorstellen. Als Besucher hingegen mag man kaum glauben, dass die derzeit schon vollgepackten Locations wirklich noch ein Drittel mehr Zulauf vertragen könnten.
Die andere umworbene Besucherkategorie, die „Branche“, jedenfalls scheint sich mittelfristig auf Hamburg festgelegt zu haben. Das bedeutet: die Majors sind an Bord und man ist zunehmend interessant für das – vorerst – europäische Ausland. Natürlich spielt all das die Kosten nicht ein, im Gegenteil. Wer etwas reißen will, muss mächtig klotzen. Das hat man in Hamburg ebenso begriffen wie in Köln und Berlin. Sich dabei konsequent gegenseitig in die Quere zu kommen, hat die Anmutung eines Metropolen-Schwanzvergleichs. Denn um Musik geht es wie schon gesagt nicht wirklich. Sondern um das Image des „Standorts“.
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