Eine Million Euro sind eine runde Summe, eine griffige Zahl, mit der man eine Menge anfangen kann. Zum Beispiel einen Preis ausloben. So wie das Kulturstaatsminister Bernd Neumann soeben getan hat: „Bundesweiter Spielstättenprogrammpreis Rock, Pop, Jazz des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien“ ist der etwas sperrige Name für die neueste Fördermaßnahme des Bundes in Sachen Populär-Musik. Es geht um „Livemusik“, um – so heißt es hochoffiziös – „die kleinen und mittleren Clubs und Programmveranstalter, die mit Mut zum Risiko ein kulturell herausragendes Programm anbieten, das jenseits des Etablierten auf ein hohes musikalisches Niveau setzt.“ Das solle „dazu beitragen, die Bedingungen für d
r die auftretenden Künstlerinnen und Künstler zu verbessern“.Die Bedingungen, man ahnt es, sind gemeinhin eher schlecht. Auch wenn „live“ im Kanon der Musikbusiness-Faktoren immer wichtiger geworden ist und immer neue Rekordmarken zu erreichen scheint – gerade im klassischen „kleinen Club“ ist es von Jahr zu Jahr immer ein Stück schwieriger geworden, den Spagat zwischen einem engagierten Programm und dem wirtschaftlichen Überleben zu schaffen. Hauptsorge: Das Publikum bleibt aus. Gerade mal ein Fünftel aller Live-Clubs können auf eine Auslastung von mehr als 75 Prozent verweisen, ein gutes Viertel liegt unter 50 Prozent. Die Finanzierung eines gleichermaßen attraktiven und anspruchsvollen Programms wird immer schwieriger. Ausnahmsweise mal nicht Schuld hat dabei die GEMA, auch wenn sie von Clubbetreibern natürlich permanent als Problem-Kostenpunkt angeprangert wird. Eine der gelungeneren Tarifreformen der letzten Jahre – allgemein könnte man sagen: so ziemlich die einzige gelungene – hat mit einer Berechnungsrundlage näher an den Realbedingungen der Veranstalter die Lage für Konzerte spürbar entschärft. Ganz am Ende der Brosamenkette wiederum stehen die Künstler, gerade aus Sicht der Clubbetreiber oft genug selbst ein großer Teil des Problems.Die Gagen-Diskrepanz zwischen echten Newcomern und auch nur halbwegs etablierten Bands ist gerade im Pop- und Rock-Bereich frappierend. Auch weit unterhalb der Arenen-Liga sind die Gagen für aktuell angesagte Künstler in den letzten zehn Jahren dramatisch gestiegen. Das hängt natürlich mit der allgemeinen Großwetterlage im Musikbusiness zusammen, die einen Großteil der potenziell zu erwirtschaftenden Einnahmen vom eingebrochenen Tonträgerverkauf auf die Konzerte umgeschichtet hat. Auch die im Vergleich zu früher viel höhere Taktung der Erfolgszyklen – also der immer kürzeren anzunehmenden Zeit, in der man von seiner Musik tatsächlich vielleicht sogar leben kann – spielt dabei ein nicht unwesentliche Rolle. Sie zwingt die Bands zur schnellstmöglichen Gagen-Maximierung. Kalkulierbar sind solche Kosten dann nur oft noch in Größenordnungen über 1.000 Besucher und entsprechend großen Clubs. Die wiederum können sich kleinere oder riskantere Acts schon betriebswirtschaftlich kaum leisten. Wer den Status als Trend-Band dagegen noch nicht erreicht hat, trifft immer öfter auf Gagenkonzepte, die buchstäblich auf einem herumgereichten Hut basieren. Oder gleich auf dem gar nicht mehr so exotischen „Pay to play“-Prinzip, das auf inhaltliche Kuratierung eines Programms seitens des Spielstättenbetreibers ebenso verzichtet wie auf das finanzielle Risiko einer Konzertveranstaltung. Gut findet das selbstredend kaum jemand.Dass der musikalische Trend im Clubbereich derzeit gerade wieder deutlich in Richtung Techno und artverwandte Electronica und deren „Laptop Artists“ weist, verschärft die Lage für Veranstalter von „Bands“ mit herkömmlichem Instrumentarium obendrein, denen das junge Publikum von wochenendlangen Dancefloor-Events abgezogen wird. Praktisch schon seit Jahrzehnten mit generellen Nachwuchssorgen geplagt ist bekanntermaßen der Jazz. Der diskutiert seit einiger Zeit über seine Zukunftsfähigkeit, die miserable Lage seiner Protagonisten und die immer weiter ausdünnende Clublandschaft. Etliche angestammte Jazzclubs haben in letzter Zeit aufgegeben oder klagen über das in Kürze zu erwartende Ende. Kaum überraschend, dass gerade im Jazz – der ja im Gegensatz zum Pop für sich nicht selten gern auch eine Art Kultureliten-Status beansprucht – die Forderungen nach staatlicher Kulturförderung und gleichwertiger Anerkennung neben der Hochkultur immer lauter werden.Auf die ursprüngliche Anregung der Bundeskonferenz Jazz, dem Interessenverband der deutschen Jazzszene, geht dann auch der neue Spielstättenpreis zurück, der gemeinsam mit ihr entwickelt wurde. Bis zu 40.000 Euro können Preisträger erhalten, gebunden an die Auflage, diese dann wieder in Programm und Spielbetrieb zu investieren. Bewerben können sich wirtschaftlich selbständig agierende, nicht mehrheitlich geförderte Clubs mit durchschnittlich mindestens einem Konzert pro Woche und bis zu einer Größe von 1.000 Besuchern sowie Veranstalter von entsprechenden Konzertreihen ohne eigene Location. Durchgeführt wird die Preisfindung von der Initiative Musik. Die gilt seit ihrer Gründung vor sechs Jahren als ein Erfolgsmodell der bundesdeutschen Popmusik-Förderung – zumindest gemessen an dem, was vorher diesbezüglich getan wurde, nämlich praktisch gar nichts. Immerhin, neben etlichen Künstlern, denen zum Beispiel Tour-Beihilfe gewährt wurde, kommt kaum noch eine Musikszene-relevante Kongressveranstaltung ohne die Berliner Zuschüsse aus. Ob die angestrebte Rolle als deutsches Musikexportbüro sinnstiftend ausgefüllt wird, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Jetzt stehen jedenfalls auch die Liveclubs auf der Agenda, was auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein der Problemlage sein kann. Aber etwas Zählbares ist. Immerhin 90 Prozent der Etat-Million soll am Ende wirklich als Prämie ausgeschüttet werden. Das Interesse der Betroffenen ist offensichtlich groß. Schon in den ersten vier Tagen der Bewerbungsfrist, die von Anfang Juni bis Mitte juli läuft, wurden im Online-System der Initiative Musik 130 Anträge angelegt. Erfahrungsgemäß wird die Dichte solcher Anträge eher in Richtung Fristende richtig hoch. Ob und wie die Initiative das im Sinne „echter“ Clubs umsetzt, wird sich im September zeigen, wenn die Preisträger im Rahmen des Reeperbahn-Festivals bekannt gegeben werden. Auch, was nun eigentlich die Jury unter „Livemusik“ genau versteht – das ist ja so etwas wie die Kernfrage dieses neuen Preises. Um die klare Definition hat man sich – vermutlich wohlweislich problembewusst – herumgemogelt, sie findet sich nirgends in den Unterlagen zum Preis. Womit wir wieder beim Thema „Laptop Artist“ wären und der Erkenntnis, dass eben alles nicht so einfach ist. Mit „live“ sowieso nicht.