Relevanz von oben

Ton & Text Running Gag „Verfassungsschutz“: Politpunk ist offensichtlich doch nicht tot. Und vielleicht wird er sogar wirklich mehr gebraucht denn je
Punkfolklore? Das lässt sich so leicht sagen…
Punkfolklore? Das lässt sich so leicht sagen…

Foto: Owieole

So ganz zur Unzeit kommt die Aufmerksamkeit nicht: Anderthalb Seiten widmet sich der „Lageüberblick Linksextremismus“ der Band Feine Sahne Fischfilet. Das Kapitel steht im Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern und bescheinigt den ursprünglich aus der Mecklenburger Provinz stammenden Musikern, sie seien ein „politischer Zusammenschluss“ mit einer „explizit anti-staatlichen Haltung“. Mit Aussagen wie „Stolz auf Deutschland? Stolz auf eine Nation? Stolz auf irgendein beschissenes Konstrukt? Wir kotzen gleich!“ würden sie gern „die staatliche Struktur auflösen“, ein „Good Night White Pride“-Logo spräche für Gewaltbereitschaft. So sieht man es offensichtlich, wenn man Verfassungsschutzbeamter im Bundesland der „national befreiten Zonen“ ist. Im Oktober ist der Bericht erschienen, „etwas später als üblich“, wie der zuständige Innenminister Lorenz Caffier zugibt. Für Feine Sahne Fischfilet ist es der perfekte Zeitpunkt, ihr neues Album Scheitern & Verstehen erscheint am 9. November.

Eine Renaissance des Protestsongs wurde in diesem nun auch verfassungsschutzberichtlich erfassten 2011 immer mal wieder ausgemacht. Die Musikzeitschrift Spex und der Internetsender ByteFM riefen gar einen Wettbewerb aus. Der Sieger – die Leipziger Band Brockdorff Klang Labor – lieferte mit dem zartfühlenden Electropop-Track „Festung Europa“ einen Kommentar zur Einwanderungspolitik, ihr gerade erschienenes Album Die Fälschung der Welt wird ob seiner politischen Grundtonierung überall hoch gelobt. Relevanz für Mehrheiten oder auch nur halbwegs ansehnliche Verkaufszahlen stellen sich deshalb aber noch lange nicht her. Und auch sonst spielt der Protestsong im täglichen Musikbusiness eine eher marginale Rolle. Den guten alten Deutschpunk mit seinen Haudrauf-Gitarren und den „All Cops Are Bastards“-Graffitis hatte dabei allerdings niemand auf dem Schirm. Außer dem Verfassungsschutz. Und dem wieder einmal sehr cleveren Hamburger Label Audiolith.

"FCK CPS"

Bei Audiolith veröffentlichen Feine Sahne Fischfilet ihr neues Album und geschadet hat die staatliche Aufmerksamkeit der Band jedenfalls nicht. Schon vor dem Release muss das Label die Platte nachpressen, weil die Vorbestellungen deutlich über die ehrlicherweise bescheidenen Erwartungen hinausschießen. Das Wort „Verfassungsschutz“ entwickelt sich gerade zum Running Gag in den Verlautbarungen des Labels und auch die Band selbst hat sich einen fetten Button auf die Facebook-Seite gepinnt: „Jetzt mit 100% mehr Überwachung durch den Verfassungsschutz“. Und all die Sprüche gegen das Schweinesystem, die Faschos und natürlich den Klassiker Bullenstaat haben Feine Sahne Fischfilets selbstredend drauf. „FCK CPS“ – also: „Fuck Cops“ – steht etwa auf dem T-Shirt des Bassisten im Video zur aktuellen Single „Komplett im Arsch“. Punkfolklore.

Moment: „Punkfolklore“? Mit diesem Urteil lässt sich allzuleicht kommen, wenn man in der nicht nur ästhetischen Sicherheit urbaner Szeneviertel lebt. In den ländlichen Gebieten Sachsens oder Mecklenburg-Vorpommerns sieht das gewiss anders aus. Da braucht es schon aus Selbstschutzgründen eine gewisse Robustheit in Text und Auftreten. Feinsinnigkeit und Tauglichkeit fürs Feuilleton sind denn auch weniger hilfreich, wenn es gegen – und da sind wir wieder bei einer verfassungsschützerisch zu verteidigenden staatlichen Struktur – NPD-Normalisierung oder völkisch geprägte Weltanschauung geht. Die hat nämlich gerade wieder Hochkonjunktur.

Perfide Onkelz-Erben

Auf Platz zwei der deutschen Charts ist Feinde deiner Feinde gelandet, das neue Album der Südtiroler (das liegt in Italien) Band Frei.Wild. Die besteht auf ihrer deutschen Kulturautonomie und spielt auf perfektioniert perfide Weise mit dem Fan-Erbe der Böhsen Onkelz und deren „Wir-hier-unten-gegen-euch-da-oben“-Mentalität der vermeintlichen deutschen Globalisierungsverlierer, die gern eine linke Hegemonie beklagen und ein bisschen Stolz auf die Nation gar nicht so schlecht finden. Natürlich seien die „Mainstream Medien “ gegen sie – ein klassischer rechtsradikaler Propagandabegriff. Die Texte von Frei.Wild sind diffus genug, um rechtlich unangreifbar zu bleiben, werden aber in der rechten Szene ganz genau verstanden, nämlich als Einstieg in eine rechtsradikal angelehnte Wertewelt voller Nationalismus, Fremdenhass und Demokratiefeindlichkeit. Unter der Flagge der ideologischen „Neutralität gegen Rechts und Links“ – diese Kopplung ist Standard-Rhetorik der Szene, die hier gern mit der üblichen Begrifflichkeit der staatlichen „Anti-Extremismus“-Sprachregelung konform geht – und dem Kampf gegen die „Scheinheiligkeit“ von Medien, Kritikern, ganzen gesellschaftlichen Gruppen oder auch anderen, nämlich links und antifaschistisch geprägten Bands genießen gerade Frei.Wild eine weit reichende Akzeptanz, die bis in die großen Arenen und Festivals reicht. Es ist ein ideologischer Bodensatz, der erschreckend fruchtbar ist. In Verfassungsschutzberichten liest man davon natürlich nichts.

Klartext ist nötig

So gesehen ist der unverstellte, prollig-direkte Klartext, den eine Band wie Feine Sahne gewählt hat, wohl nötiger denn je. Und vielleicht holt man sogar mal wieder die alten Platten von Slime oder Toxoplasma raus, mit all ihrer rüden und kompromisslosen Eindimensionalität. Manchmal braucht es einfach eine geballte Faust und drei Akkorde. Darauf mal wieder aufmerksam gemacht zu haben – zumindest das kann man dem Verfassungsschutz von Mecklenburg-Vorpommern dann irgendwie doch positiv anrechnen.

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit motor.de entstanden.

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