Sag mir, wo du stehst

Ton & Text Diskutieren hilft nicht. Aber wehren kann sich das so geschmähte „Land der Vollidioten“ dann doch gegen die massenkompatible Blut-und-Boden-Ideologie von Frei.Wild
Sag mir, wo du stehst

Foto: Sean Gallup / Getty

Es ging dann doch überraschend schnell. Ein wenig zu schnell, möchte man fast sagen, denn es sind noch einige Fragen offen. Gerade mal vier Tage hat es gedauert von der Ankündigung, die Rechtsrock-Band Frei.Wild würde auf dem With Full Force Festival spielen, bis zur Absage der Band. Das With Full Force ist Deutschlands zweitgrößtes – mehr oder weniger – Metal-Event, eine nicht zu ignorierende Größe im Festival-Kalender des Landes zwar, aber immer noch zu „special interest“, als dass es eine richtig große Aufmerksamkeit verbuchen konnte. Bis jetzt. Die „umstrittenen“ Frei.Wild hätte man trotz „Hexenjagd“ gebucht, ließ der Veranstalter verlauten. Zwei Tage später kündigte das bekannte Musikmagazin Visions seine langjährige Medienpartnerschaft auf, Sponsor Jägermeister zog prompt nach.

Der Erfolg von Frei.Wild spricht für sich, Chartsplatzierungen und Touren in Arena-Größe sind inzwischen Standard für die Südtiroler, die – das eine der lustigeren Anmerkungen – so gern echte Deutsche wären, aber nicht mal Österreicher sind. Südtirol gehört zu Italien, es ist ein polit-geschichtlich komplex belasteter Landstrich und immerhin haben es Frei.Wild tatsächlich geschafft, dass man nun auch über diese Wirren der jüngeren Europa-Geschichte im Bilde ist. „Umstritten“ im engeren Wortsinn sind Frei.Wild allerdings kaum. Es gibt jede Menge Kritiker der Band, die sie als nationalistisch, heimattümelnd, revisionistisch, reaktionär – kurz: mindestens rechtsoffen – charakterisieren. Und es gibt sehr, sehr viele Frei.Wild-Fans. Diese sind zu Recht verrufen.

Wer sich gegen Frei.Wild positioniert, muss mit Heerscharen empörter Fans rechnen, die so etwas wie – wenn schon, denn schon – Deutscher Meister im Shitstorm-Produzieren sind. Gerade in der Musikszene ist seit Jahren bekannt, wie wütende Frei.Wild-Fans im Missliebigkeits-Fall über alles herfallen, was eine Homepage an öffentlich zugänglichen Feedbackoptionen bietet. (Es ist, nebenbei angemerkt, eine Tradition, die eins zu eins von den Onkelz übernommen wurde – auch das gehört zum gern angeführten „Die neuen Onkelz“-Mythos.) Es spielt dabei keine Rolle, wie vorsichtig diese Kritik formuliert und wie ausführlich sie mit Textanalyse und Hintergrundwissen angereichert wurde. Gerade die Erklärung von Visions, warum man sich vom With Full Force zurückgezogen hat, ist dafür bestes Beispiel. Selten las man ein so klar argumentierendes und – angesichts des Sujets – erstaunlich sachlich formuliertes Statement zum Thema. Egal.

Die – wenn man denn so will – Gegen-„Argumente“ sind immer gleich: die Kritiker hätten keine Ahnung von der Geschichte und den Inhalten der Band, sie würden einer Medienkampagne, sprich „Hexenjagd“, auf den Leim gehen, „die Medien“ hätten alle keine Ahnung und/oder wären sowieso voreingenommen. Man selbst sei mindestens „unpolitisch“ und sowieso gegen „Extremismus“. Etliche bezeichnen sich selbst gar als „links“ (und hören dann vielleicht gleichzeitig auch Tote Hosen oder Ärzte), nicht ohne ein „…, aber …“ anzuhängen, das in der Regel darauf hinausläuft, ein bisschen Patriotismus könne doch wohl nicht schaden und, wer das nicht so sieht, sei ein verklemmter Schwuchtel-Spasti. Apropos: Kinderschänder aufhängen! Oder so ähnlich. (Nicht, dass diese oder eine vergleichbare Begriffswahl in Frei.Wild-Fankreisen ungewöhnlich ist.) Und natürlich (auch das eine Onkelz-Referenz): Man sei doch nur neidisch auf den Erfolg, sowieso kommerziell verseucht und überdies nur eine Minderheit. Überhaupt: Wo bliebe denn die sonst gern gepredigte Toleranz der „Gutmenschen“?

Es ist exakt die Linie, die die Band seit Jahren selbst vorgibt. Sie lässt sich in nahezu jeder der zahlreichen Wortmeldungen wiederfinden. Im aktuellen Fall gipfelt das in der offensichtlich lachhaften Bezeichnung der Visions-Unterstützer als „kleine, aber effiziente Gruppe von Internet-Freaks“. Konsequent arbeiten Frei.Wild an einer eigenen immerwährenden Dolchstoß-Legende, ästhetisch perfekt unterfüttert vom Dauergestus des männerbündlerisch-martialischen „Wir gegen alle“, das nur noch einen Schritt weit weg ist von einem „Ehre und Treue“-Kodex, den Geschichtsvergessene dabei nicht wahrnehmen wollen. Und der neben aller widerlichen Blut-und-Boden-Romantik ebenso ins Rhetorik-Arsenal ausgewiesener Nazis passt, wie die Mär von der „linken Lügenpresse“ und dem verächtlichen Hass auf das vermeintliche „Gutmenschentum“. Die allfälligen Pseudo-Distanzierungen ändern daran – auch das hat Visions ganz treffend bemerkt – gar nichts. Natürlich gibt es seitens Frei.Wild und deren Fans auch dafür eine Abbügel-Strategie: Kritikern wird einfach vorgeworfen, sie würden leichtfertig oder böswillig die „Nazi-Keule“ schwingen. Ende der Diskussion.

„Diskussion“, also der Austausch von Argumenten und deren eventuelle Widerlegung, mit Frei.Wild-Fans ist – auch das eine Erfahrung aller, die sich jemals daran versucht haben – ziemlich sinnlos. Man kann das in all den unendlich langen Kommentarthreads verfolgen, die – siehe oben – einzig im permanenten Wiederkäuen der altbekannten Hexenjagd-Vorwürfe bestehen und weder die Form der jeweiligen Frei.Wild-Kritik noch die konkreten Inhalte auch nur im Ansatz reflektieren. Man darf es denn auch Leid sein, sich auf derlei Ignoranz einlassen zu wollen. Wer auch nur mal die Texte von Frei.Wild gelesen hat, weiß, dass kein einziger Vorwurf unberechtigt ist. Wer Fan von Frei.Wild ist, darf sich nicht beschweren, als „Nazi“ tituliert zu werden – außer er würde wirklich in Anspruch nehmen, der „Vollidiot“ zu sein, den er selbst so gern in allen anderen sieht. Was immerhin noch weniger verwerflich scheint, als ganz bewusst auf den Frei.Wild-Effekt zu setzen. So, wie es das With Full Force getan hat.

Die Chemnitzer Konzertagentur InMove, Veranstalter des With Full Force, wusste ganz genau, wen sie da ins Boot holte. Schon die kurze Ankündigungsnotiz beweist das. Nur, dass man sich diesmal dann wohl doch ein wenig verschätzt hatte, was das Ärgernis-Potenzial angeht. Die Absage der Visions als Medienpartner folgte einem allgemeinen Entsetzen, das sich hier erstmals konkret bündelte. Und das erstmals auch wirklich handfeste Konsequenzen nach sich zog: das Wegbrechen von Sponsoren, was zumindest perspektivisch tatsächlich existenziell bedrohlich sein könnte. Dass InMove-Chef Sven Borges – im Sächsischen eine bestens bekannte und vernetzte Veranstalter-Größe – hofft, mit ein paar provozierend dürftigen Null-Statements aus der Sache herauszukommen, ist nicht gänzlich unbegründet. Man muss dazu nur einen Blick auf das alljährlich zu Pfingsten in Leipzig stattfindende „Wave Gotik Treffen“ werfen.

Das Gruftie-Festival beherbergt seit Jahr und Tag auch Bands und deren Umfeld, die sich problemlos am ganz rechten Ideologierand verorten lassen. Nur, dass sie bei Weitem nicht so bekannt sind wie etwa Frei.Wild und überdies im überbordenden Programm praktisch untertauchen. Dabei hilft es, die Bands prinzipiell sehr kurzfristig anzukündigen und – wenn überhaupt – verschwurbelte Formulierungen für die Bandbeschreibung zu nutzen. Gelernt hat man bei InMove dabei auch das Abwiegeln mit den Begriffen „unpolitisch“ und „missverstanden“. Die konsequente Eindeutschung aller Begrifflichkeiten (zum Beispiel eben Wave Gotik, statt des eigentlichen Wave Gothic), die Verwendung der eindeutig SS-belasteten „Schwarzen Sonne“ im Ticket-Artwork oder die Dauerpräsenz des rechtsextremistischen VAWS-Verlags auf dem Markt im Festivalgelände sprechen eine deutliche Sprache.

Im Kontext der Frei.Wild-Diskussion ergibt sich also ein fast schon gesamtheitliches Bild des bedenkenlosen Geschäftsprinzips, das wunderbar mit der vorgeblichen „Ideologiefreiheit“ von Frei.Wild und Konsorten korrespondiert und auch für alle anderen Frei.Wild-Veranstalter und -Präsentatoren zutrifft. Wer das weiterhin akzeptiert, muss sich vorwerfen lassen, auf der falschen Seite zu stehen. Das gilt für Ticketkäufer ebenso wie für Hallenbetreiber, Medienpartner und Sponsoren. Ohne Diskussion.

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