Saturday Night Fever

Ton & Text „EDM“ ist in den Staaten das Next Big Thing der Live-Musikszene geworden. Und damit auch das Next Big Business
Tiësto auf der Releaseparty von "In the Booth"
Tiësto auf der Releaseparty von "In the Booth"

Foto: Steven Lawton/ AFP/ Getty Images

So richtig aufgefallen ist es eigentlich nur in Fachkreisen. Die amerikanische Firma SFX Entertainment hat kürzlich die Musik-Download-Plattform Beatport übernommen. Beatport ist eine Art Nischenanbieter im Musikdownload-Geschäft – allerdings der wichtigste. Denn hier holen sich DJs mit Vorliebe die Tracks auf den Laptop, mit denen sie dann ihre Gigs bestreiten. Das Angebot von Beatport ist explizit auf DJs ausgerichtet, bietet zum Beispiel deutlich bessere Vorhör-Optionen als die Konkurrenz, hat auch exotischere Remixe im Katalog und liefert mit Unmengen von rubrifizierten DJ-Charts ein immer aktuelles Stimmungsbild für jeden denkbaren Dancefloor-Stil. Nahezu alle einschlägigen Labels mit einem überregionalen Grundanspruch sind präsent. Wer sich auch nur im Ansatz für – mehr oder weniger – elektronische Tanzmusik interessiert, wird hier im Zweifelsfall zuerst fündig und bezahlt dann auch um die 25 oder 30 Prozent mehr als bei den ganz großen Playern à la iTunes oder Amazon.

50 Millionen Dollar soll Beatport gekostet haben, eine Menge Geld für die 2004 gegründete Firma, die immer noch Verlust schreibt: 2 Millionen Dollar waren das bei einem Umsatz von geschätzten 15 bis 20 Millionen Dollar im letzten Jahr. Nichtsdestotrotz, das sei ja wohl „das beste Schnäppchen aller Zeiten“. Das ließ Robert F. X. Sillerman verlauten. Der ist eine schillernde Figur im weltweiten Konzertbusiness und namensgebender Patron hinter SFX Entertainment, das gerade seine Wiedergeburt erlebt. Vor zwanzig Jahren hat SFX schon einmal Musikbusiness-Geschichte geschrieben: als jene Milliarden-schweren Firma, die mit damals fulminanten Garantiesummen für die Rolling Stones und U2 dem bis dato vor allem in den USA vorherrschenden System lokaler Konzertveranstalter endgültig das Rückgrat brach und damit die Ära der weltweiten Arena-Touren einläutete.

Sillerman selbst verkaufte SFX noch in den Neunzigern, daraus wurde Live Nation. Die hoben im letzten Jahrzehnt das so genannte 360-Grad-Modell auf eine neue gigantisch höhere Ebene: 210 Millionen Dollar erhielt Madonna 2007 für einen Zehnjahresvertrag, mit dem Live Nation alle Aktivitäten und Einnahmen des Superstars bei sich bündelte. Es ist auch im Kleinen das heute übliche Management-Modell im Musikgeschäft, das so versucht, rückgehende Plattenverkäufe mit Konzerten und Merchandising zu kompensieren. Live Nation hatte das System sogar soweit perfektioniert, dass die Einnahmen durch den ebenfalls kontrollierten Essen- und Getränke-Verkauf sowie Parkgebühren(!) bei den Konzerten die eigentlichen Ticketeinnahmen weit überstieg – um das Dreifache. Seit der Fusion mit dem Tickethändler-Giganten Ticket Master ist Live Nation der weltweite Marktführer in Sachen Live-Business. Und als Quasi-Weltmonopolist natürlich auch treibende Kraft hinter den enorm gestiegenen Ticketpreisen für eben jene auschlaggebenden Arena-Touren weltweit relevanter Superstars.

Jetzt ist Sillerman mit SFX Entertainment zurück und im Begriff, den amerikanischen Zukunftsmarkt EDM zu übernehmen. „Electronic Dance Music“ ist das neue große Ding in den USA und einer Reihe weiterer Länder, die man aus den üblichen Wirtschaftsberichten als „Schwellenländer“ und vielversprechende „Wachstumsmärkte“ kennt, Indien oder Brasilien sind explizite Zielorte für die Expansion. Die beginnt allerdings erst mal in den Staaten. Konkret: in Miami und Las Vegas. Dort befinden sich aktuell die meisten und größten Clubs des Landes in denen DJs auflegen.

DJ-Culture war nie wirklich groß in Amerika, dessen Major-Musikszene immer eher im angestammten Rock und seinem herkömmlich geprägten Konzert-Tour-Zirkus lag. Auch, wenn nahezu alle Entwicklungs-Facetten der aktuellen Club-Kultur ihre Wurzeln in den US-Metropolen haben: Soul, Disco – hier spielten erstmals explizit DJs die Hauptrolle auf dem Dancefloor –, HipHop, House, Techno. Eine europäische Größenordnung der „Rave“-Kultur war nie Thema. Geradezu frappierend wirken zum Beispiel die Berichte aus Detroit, der Stadt der Techno-Ursuppe, deren Schrittmacher unter hierzulande (und sogar unter Maßgabe der frühen chaotischen Tresor-Zustände der Mauerfall-Techno-Generation) unvorstellbar anmutenden Bedingungen agieren. Es ist eine Art Treppenwitz der Geschichte, dass nun ausgerechnet die so ziemlich einzige große Spielart der EDM, die nicht in den Staaten erfunden wurde, den Rollback anführt. Mit Skrillex, dem DJ-Phänomen, das Breakbeats für die Massen durchgesetzt hat.

Es lohnt sich wahrscheinlich schon, den soeben auch in Deutschland gezeigten Film „Spring Breakers“ zu sehen, um einen Eindruck von der aktuellen Wirkungsmacht eines Skrillex zu bekommen. Rave und die uramerikanischen Springbreak-Orgien vorwiegend weißer Mittelklasse-Kids scheinen naturgegebene Partner und fungieren seit einigen Jahren als Katalysator einer neuen Dancefloor-Generation. Die ist in erheblicher Größenordnung bereit, für Rave-Events und deren komplexes Drumherum eine Menge Geld auszugeben, und damit inzwischen auch für das ganz große Business interessant. Derzeit schießen die Mega-Clubs – gerade in der Springbreak- und Laissez-faire-Hochburg Miami – wie Pilze aus dem Boden. Und auch Las Vegas, die Welthauptstadt des durchperfektionierten Entertainments hat EDM für sich entdeckt.

Das hat schon jetzt spürbare Folgen für hiesige Groß-Veranstalter. Die können mit den aktuellen Gagen-Spitzen plötzlich nicht mehr mithalten. Nicht mal auf Ibiza, dem jahrzehntelangen Hotspot der Clubszene. „Die DJs wollten immer mehr Geld und dafür weniger spielen“, befand ein Betreiber des legendären Pacha-Clubs gegenüber der New York Times. Die Folge: der langjährige Booker wurde gefeuert, angestammte DJ-Größen wie Tiësto, Eric Morillo oder Pete Tong werden nicht mehr gebucht. Für die sicher kein Problem. „Es war Zeit für eine Veränderung“, sagt Tiësto dazu. Gemeint ist natürlich: Es war Zeit, noch besser bezahlt zu werden. Dabei ist Tiësto mit 22 Millionen Dollar Jahresgage schon der bestbezahlte DJ der Welt. Diesen Sommer tourt er durch die Staaten und tritt dabei auch im Hakkasan Las Vegas auf, dem nagelneuen 100-Millionen-Dollar-Megaclub, der diese Woche eröffnet hat. Und das ist erst der Anfang. SFX Entertainment zum Beispiel kauft weiter ein und ist eben dabei, sich mit Hunderten Millionen Dollar auch in Europa ein festes Standbein zu verschaffen. Wo das hinführt, konnte man am Konzertgeschäft schon mal sehen.

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