Schweigen ist Gold

Ton & Text Popmusik zu machen hat sich prinzipiell noch nie wirklich gelohnt. Zumindest aus geschäftlicher Sicht. Aber gut, wenn man es nochmal ganz genau nachlesen kann
Johnny Haeusler
Johnny Haeusler

Foto: Imago / Star-Media

Das ist natürlich eine dieser Meldungen, die man gern nimmt: Die amerikanische Band Vulfpeck verdient ihr Geld im Schlaf. Und zwar in unserem. Das, zumindest, ist die Grundidee für die Vorfinanzierung einer Tour der Jung-Funksters aus Michigan. „Sleepify“ heißt ihr „Album“, das man derzeit beim Streaming-Dienst Spotify nicht hören kann – es sind schlicht und einfach zehn knapp über 30-sekündige Leer-Tracks. Die könne man nachts auf Repeat stellen, technisch gesehen sind das dann etliche Abrufe, für die Spotify die üblichen Erlöse ausschütten würde. Was – so ließ ein Sprecher des Unternehmens prompt verlauten – auch völlig in Ordnung ginge.

So simpel ist es also, man muss nur immer noch einen neuen Dreh zur „Monetarisierung“ finden, zum Beispiel halt, indem man den Schlaf, so heißt es im Werbevideo der Band in eigener Sache, „produktiv macht“. Das kann man nun gut und clever finden oder auch als generelles Omen für den popmusikalischen Werteverfall nehmen – ein schönes Beispiel für die Zeiten ist es allemal. Denn der eigentliche Trick ist natürlich, dass Medien wie der Guardian oder der Rolling Stone so etwas aufgreifen und für die nötige „Promotion“ – so heißt das im klassischen Musikbusiness – oder, das ist das digitale Neusprech, „Aufmerksamkeit“ sorgen, die heutzutage ja die eigentliche Währung sein soll.

Aufmerksamkeit bekommt allerdings erstmal Spotify selbst. Die sind der weltweit größte Musikstreaming-Anbieter und nehmen solche Storys liebend gern auf. Streaming wird zwar von der Branche als Zukunftsmarkt des Musikbusiness angesehen – sicher ist das jedoch noch lange nicht, schließlich ist das immer noch alles ein Geschäft mit zwar riesigen Investitionen, aber eben auch riesigen Verlusten. Ob es je ins Plus rutscht, liegt unter anderem auch daran, ob es (am wahrscheinlichsten) Spotify gelingt, möglichst viele Mitbewerber aus dem Geschäft zu drängen und die eigenen Nutzerzahlen drastisch zu erhöhen. Aufgegeben hat gerade der bekannte Musikdienst Last.FM. Sein Streamingradio-Angebot wird eingestellt. Der Grund: Nur wirkliche Big Player haben die Chance, irgendwann rentabel zu werden. Last.FM gehört nicht zu ihnen.

„Rentabel“ ist das Geschäft mit Popmusik seit eh und je nur im Ausnahmefall. Das gilt für die „Industrie“ ebenso wie für die Musiker an sich. Selbst in den goldenen Zeiten der Plattenverkäufe spielte nur jedes zehnte veröffentlichte Album wirklich Geld ein. Dann aber immerhin so viel, dass man die anderen neun schlicht mitfinanzieren konnte. Das Problem: Niemand wusste so genau, welches von den zehn durch die Decke gehen würde. Heute, in Zeiten radikal sinkender Gewinnmargen und neoliberaler Effizienzansprüche (die großen Firmen sind heutzutage allesamt als Kapitalgesellschaften organisiert, die zuvörderst dem schnelllebigen „shareholder value“ verpflichtet sind) werden die Risiken der künstlerischen Entwicklung konsequent „outgesourced“ – in der Regel gleich direkt auf den Künstler selbst. Weitestgehend erledigt hat sich damit auch das legendäre Prinzip „Vorschuss“. Das war jener Betrag, den Bands bei Abschluss eines „Plattenvertrages“ erhielten, offiziell, um damit die Produktionskosten eines Albums zu finanzieren. Praktisch war das der goldene Schlüssel für ein Leben, wie man es sich als Musiker halt so vorstellt. Darum, dass „Vorschuss“ praktisch „Kredit“ bedeutete, kümmerte sich niemand. Wenn das Album ein Erfolg wurde, war das eh kein Thema mehr. Und wenn nicht, nun ja, dann war man halt theoretisch bei seinem Label verschuldet. Fällig wurde das nie. Jedenfalls kurzfristig gesehen.

Über exorbitante Vorschüsse und darüber, dass manche Plattenfirmen ein sehr langes Gedächtnis haben, kann Johnny Haeusler viele Geschichten erzählen. Mit seinem bekannten Block Spreeblick macht er das auch. Vormals galt seine Band Plan B als eine der zahlreichen deutschen Alternative Rock-Hoffnungen (nur, dass das damals noch keiner so nannte) – inklusive Plattenvertrag mit allem Drum und Dran. Wie sich jetzt herausstellte, ist das damalige Kleingedruckte immer noch relevant. Als die vor zwei Jahren reformierte Band die alten Alben wieder zugänglich machen wollte, gab es ein böses Hickhack, letztendlich war eine – leider nicht näher benannte – Summe zur Auslösung der Rechte fällig. Für Alben, wohlgemerkt, die es eh nirgendwo mehr zu kaufen gab.

Nun sind Plan B heute nur eine Art Hobby, selbst nach ganz bescheidenen Maßstäben eine klitzekleine Band mit eigentlich kaum nennenswerten Einnahmen. Aber jetzt eine der transparentesten, zumindest in Sachen „Online“-Erlöse. Ganz detailliert aufgeschlüsselt hat Haeusler, was sein eigenes Label (in diesem Fall: die Band selbst) für jeden digital verkauften oder gestreamten Song erhalten hat. Mit handfesten Daten unterfüttert wird dabei nicht nur, dass Spotify durchaus bei der Wahrheit geblieben ist. Vor ein paar Monaten sah sich die Firma angesichts notorischer Ningelei von allen Seiten genötigt, eben solche Zahlen zu veröffentlichen; nämlich, dass pro gestreamtem Track circa ein halber Eurocent gezahlt wird. Das liegt zwar im unteren Bereich der Spanne vergleichbarer Dienste, macht aber trotzdem den Löwenanteil aus, weil Spotify mit Abstand der Platzhirsch mit den meisten Abrufen ist.

Bestätigt wird auch die altbekannte Weisheit, dass jeder klassische Verkauf – egal ob digital oder physisch – erheblich mehr einbringt. Und, dass man immer noch am besten bedient ist, wenn man als Band seine Musik bei Konzerten selbst vertreibt, und zwar im Format CD. Illusionslos klar wird dabei vor allem aber auch eins: Ernsthaft und mit künstlerischem Anspruch Popmusik zu machen, ist rein geschäftlich in erster Linie ein Desaster, das sich in den allerwenigsten Fällen hinten heraus wirklich „rechnet“. Das, wie gesagt, war schon immer so. Nur bekam man es bisher nur selten so buchhalterisch detailliert unter die Nase gerieben.

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