„There’s a slow, slow train comin’ up around the bend“ sang Bob Dylan 1979, sprich „es braut sich was zusammen“. In der Tat. Begonnen hatte es allerdings schon 1976. Es war eine andere Zeitrechnung für die Musikindustrie; weit vor den goldenen Jahren der CD und unvorstellbar weit weg von dem Gedanken, dass man als großes Label im 21. Jahrhundert vor allem eins würde brauchen werden, um noch einigermaßen anständig Gewinn einzufahren: Klassiker. Und genau die drohen ihnen in Kürze nacheinander massiv verloren zu gehen.
„Ich hatte dieses Datum seit 35 Jahren rot eingekreist“, sagte Rick Carnes, Präsident der amerikanischen Songwriter-Vereinigung, unlängst gegenüber der New York Times, gemeint war der 1
gegenüber der New York Times, gemeint war der 1. Januar 2011. Die hatte nämlich bemerkt, was bis dato öffentlich nahezu unbekannt war: eine 1976 vom Kongress beschlossene Regel im US-amerikanischen Copyrightgesetz, das heute immerhin 350 Seiten umfasst. Diese Regel besagt, dass Künstler die Rechte für ihre nach dem 1. Januar 1978 veröffentlichten Songs nach 35 Jahren wieder vom zwischenzeitlichen Besitzer – also normalerweise den Plattenfirmen – zurückfordern dürfen. Mit einer Antragszeit von zwei Jahren. Für Songs von 1978 also ab sofort. Schwergewichte wie Bob Dylan, Tom Petty, Loretta Lynn oder Tom Waits sollen schon Anträge bei der zuständigen Behörde eingereicht haben.Betroffen wären davon vor allem erstmal die vier großen Major-Plattenfirmen – Universal, Sony, EMI, Warner – denen die meisten der damaligen renommierten Plattenfirmen heute gehören, womit bei ihnen die Rechte dieser Top-Artists liegen. Die Verfügbarkeit über deren Songs erscheint heute wichtiger denn je. Neuauflagen der alten Platten sind extrem kostengünstig, alle Produktionskosten sind ja schon lange gedeckt, und der wachsende Online-Markt eröffnet auch den alten Songs neue Marktoptionen. Sie gelten für nachwachsende Fan-Generationen als attraktiv, stellen eine sichere Bank im – heutzutage kaum noch langfristig entwickelten – Labelkatalog dar. Sollten jährlich immer mehr Songs wegfallen, hätte dies enorme – wenn nicht gar tatsächlich existenzielle – Folgen. Klar, dass die Existenz der Regelung von den Plattenfirmen denn auch nicht an die große Glocke gehangen wurde. Nichtmal im eigenen Haus wohlgemerkt. Der Musikmanager Tim Renner, vor zehn Jahren Chef der Universal Deutschland, verriet der tageszeitung, dass er zu seiner Zeit keinen Schimmer davon hatte, in den internationalen Konferenzen der Firma sei das nie ein Thema gewesen. Dabei war damals schon abzusehen, dass die Klassiker angesichts der Entwicklungen in der Musikindustrie zu einer Art Tafelsilber werden würden. Die heutige offizielle Position zum Thema erinnert an die verhängnisvolle Einstellung der Majors zu nahezu allen aktuellen Problemen der vergangenen 15 Jahre. Frei zusammengefasst: „Machen wir einfach nicht mit.“Man werde bis aufs Messer kämpfen, um die Herausgabe der Songs zu verhindern – so lassen sich die raren Verlautbarungen zum Thema auf den Nenner bringen. Die Argumentation: Es ginge hier ja gar nicht um eigenständige Künstler, sondern um angestellte Arbeiter, die im Auftrag der Plattenfirma Musik aufgenommen hätten. Das ist – da muss man nichtmal besonders informiert sein – offensichtlicher Quatsch. Die Geschäftspolitik dieser (und der nachfolgenden) Ära bestand darin, etablierte Musiker ihren Kram machen zu lassen. Ein Vorschuss – also ein Kredit – finanzierte die Produktion. Erst wenn der wieder drin war, sahen die Künstler neues Geld von ihren verkauften Platten. Das Risiko der Labels bestand darin, dass der Vorschuss womöglich höher ausfiel als der Verkaufserlös. Vertraglich vereinbart wurden dann vor allem Dinge wie Höhe der Vorschüsse, Zeitraum der Zusammenarbeit oder Details zu Geschäft und Marketing. Von einer Sozialversicherung – auch in den Staaten die Grundlage eines Angestellten-Verhältnisses – dürfte hingegen selten die Rede gewesen sein.Wirklich überzeugend ist die harte Linie der Majors also kaum. Die Gegenseite – die Lobbyverbände der Songwriter und Musiker – ist optimistisch, schließlich scheint die Sachlage klar auf der Hand zu liegen. Vielleicht kommt es noch zu Verhandlungen. Oder es geht vors Gericht. Schnell wird es jedenfalls sicher nicht gehen. Was genau passiert, wenn es soweit ist, weiß derzeit sowieso noch niemand. Wieviele Musiker sich „ihre“ Songs zurückholen wollen sowieso nicht. Am naheliegendsten wären neue Verträge der Labels mit den Künstlern, die denen einen höheren Anteil ausschütten – darum geht es ja hauptsächlich. Einigermaßen unklar ist auch, welche Auswirkungen das dann auf Musikmärkte außerhalb der USA haben könnte und ob auch die vielen englischen Musiker, die bei einer amerikanischen Plattenfirma unterschrieben haben, betroffen sind. Aber nach 35 Jahren kommt es auf den einen oder anderen Tag mehr sicher nicht an. Irgendwann kommt auch der langsamste Zug mal an.