The Same Procedure

Ton & Text Wer noch mitfeiern will, muss sich schon wieder ranhalten: Die nächste Festivalsaison hat die Tore geöffnet

Für Spontane ist das alles nichts mehr. Wer jetzt noch nicht damit durch ist, den Sommer zu planen, kann schon wieder Pech haben. Die Festivalsaison 2014 ist praktisch schon eröffnet – zumindest in Sachen Ticketwettbewerb. Die ganz großen Festivals sind schon lange im Vorverkauf, der Rest der relevanten geht spätestens jetzt an den Start – oder ist gar schon wieder ausverkauft. Das frühzeitige Planen gehört inzwischen zum festen Ritual.

Festivals sind in zu einer Art „Springbreak“-Event geworden, ein Ort des temporären Ausstiegs aus dem Alltag und der risikolosen Enthemmung – mit ganz eigenen Regeln für diese drei oder vier Tage. Verkauft wird eher ein Eventgefühl, denn irgendein Line-Up, das ist bei den ganz Großen ebenso wie bei den Kleinen, denen man ja eher geneigt ist, ein engagiertes Booking zuzugestehen. Aber wer am Ende konkret auf der Bühne steht, weiß sowieso kaum jemand, der sich ein Ticket kauft. Viel zu früh liegt der Vorverkaufsstart oder gar die Gefahr eines frühzeitigen „Ausverkauft!“, um wirklich in der Breite der Künstler aussagefähig zu sein.

Gerade mal ein paar wichtige Headliner haben die großen Rockfestivals zu bieten, die als grobe Zielgruppen-Ansprache funktionieren müssen. Beim Branchenprimus Rock am Ring/Rock im Park zum Beispiel sind das im nächsten Jahr Iron Maiden und vor allem Metallica, einer jener wenigen Festival-Mega-Acts die letztendlich die Headliner-Slots auf den großen Bühnen im Jahresturnus-Wechsel unter sich ausmachen. Spannend geht natürlich anders. Metallica immerhin haben sich da was überlegt: Sie lassen einfach die Ticketkäufer abstimmen, welche Songs gespielt werden sollen. Das kann man Fan-Nähe nennen – oder künstlerische Bankrotterklärung.

Wie Festival-Betreiber ticken, lässt sich sehr schön an den Headlinern des anderen großen Doppel-Events auslesen, das gemeinhin als etwas mehr „alternative“ angesehen wird. Beim Hurricane/Southside stehen die ehemaligen Indie-Heroen Arcade Fire, die dänischen Volbeat mit ihrem mehrheitstauglich geschliffenen Metal-Rock sowie mit Macklemore & Ryan Lewis noch ein paar ausgemachte Charts-Knaller ganz oben auf dem Plakat. Eine musikalische Linie lässt sich da beim besten Willen nicht ausmachen, dafür ein knallhartes Kalkül auf einen breitestmöglichen – und demzufolge auch kleinsten gemeinsamen – Nenner. Dieses Prinzip der musikalischen Beliebigkeit verstärkt sich noch bei den zahlreichen Mainstream-Mittelklasse-Festivals, die eher regional verortet sind und im Einzugsbereich um jeden Besucher buhlen müssen. Denn die Entwicklung ist durchaus disparat.

Der Boom der Festivals neigt sich dem Ende zu, zumindest in der Breite. Newcomer haben es schwer, wer hier übermütig agiert, steht ganz schnell mit ein paar Millionen Miesen da. So ging es dem – allerdings wahrlich dilettantisch geplanten – Seenland Festival im mit „strukturschwach“ nur unzureichend beschriebenen Niemandsland bei Hoyerswerda. Dass hier sogar noch die Kommune ins veranstalterische Hochrisiko gekracht ist, hätte eigentlich einen Eintrag im diesjährigen Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler verdient. Wer in dieser Liga neu einsteigen will, sollte einen langen Atem haben, jede Menge Kapital und noch viel mehr Knowhow. Und am Besten Marek Lieberberg heißen. Dessen Firma steht hinter Rock am Ring/Rock im Park im Frühjahr und hat sich nun mit dem Rock ’n’ Heim noch ein Spätsommer-Pendant zugelegt, das selbstverständlich mit dicker Hose daherkommt und es für alle anderen dazwischen noch ein bisschen schwerer macht.

Besucher langfristig an sich zu binden, hat dabei eine immer höhere Priorität. Punkten können da natürlich vor allem die Kleinen wie das Haldern Pop oder Nachtdigital, die mit dem Charme des Herzlichen punkten, oder die Genre-Spezialisten à la Splash, mit konstant kompetentem Booking für eine recht genau abgezirkelte Zielgruppen agieren. Wie das im ganz Großen funktioniert, zeigen allerdings vor allem die Kollegen der elektronischen Sparte. Zukunftsmaßstab schlechthin ist im Moment das Tomorrowland im belgischen Boom. Geboten wird eine komplett vom normalen Leben abgeschlossene, auch logistisch perfektionierte „Märchenwelt“, in der es – auch wenn es die großen Namen fürs Image schon noch braucht – nahezu völlig irrelevant ist, wer da am Ende auf der Bühne Platten dreht. Die Bühne selbst hingegen ist der Star, mit irrem Aufwand gestaltet und damit Markenzeichen des Giga-Events. Über 180.000 Besucher kauften in diesem Jahr die Tickets buchstäblich in Minuten weg. Dass in diesen Größenordnungen Wachstum irgendwann nicht mehr machbar ist, liegt auf der Hand.

Das lässt sich auch an der mit 60.000 zahlenden Besuchern im Vergleich zwar immer noch bescheidenen, aber in der deutschen Liga auch ganz oben mitspielenden Fusion feststellen. Die gilt als eine Blaupause des Prinzips des Wochenend-Komplettausstiegs aus der Realität. Die konsequente Medienverweigerung gehört da genau so zur Image-Bildung wie der immer noch sehr elitär anmutende Gute-Party-für-gute-Menschen-Grundanspruch. Nur, dass man in dieser Größenordnung eben auch ein Opfer des eigenen Erfolgs wird. Die Stimmen, es sei eben nicht mehr „wie früher“ mehren sich. Das ist einigermaßen fatal für ein Festival, das vor allem sich selbst gegenüber zu einem untadeligen Ruf verpflichtet ist. 10.000 ungeladene Gäste sollen es nach Schätzungen der Veranstalter 2013 auf das Gelände geschafft haben. Das hat jetzt Konsequenzen: bessere Sicherheitsmaßnahmen, eine Null-Toleranz-Politik und damit verbundene höhere Ticketpreise. Den Run auf die Ticketverlosung wird das nicht mindern, eher im Gegenteil. Ein paar Tage sind noch dafür noch Zeit.

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