Wahrscheinlich sind Pink Floyd schuld, wie an so vielem, was man an Rockmusik seit den Siebzigern zu hassen gelernt hat: das Pompöse, der Kitsch, das selbstverliebte Gegniedel, das bombastische Geschäft, der Größenwahn, das Höherschnellerweiterteurer. Pink Floyd nach Syd Barrett, versteht sich, das ist ja der allgemeine Konsens in allen Pink-Floyd-Diskussionen. Ganz schlimm wurde es – auch da ist die Meinung ziemlich einhellig – mit „The Dark Side Of The Moon“, jenem monströs erfolgreichen Album, das bekanntermaßen unendlich lange in den einschlägigen Charts verweilte und in so ziemlich jedem Plattenregal der westlichen Welt gestanden haben muss. Sogar in der ansonsten mit Devisen-verschlingenden und ideologisch per se zweifelhaften Import-Kulturgütern eher knauserigen DDR war es nur sechs Jahre nach Veröffentlichung als Amiga-Pressung mehr oder weniger erhältlich. (Nur am Rande sei angemerkt, dass sich ein „DSOTM“-Shirt noch 2012 wie blöd verkaufte – bei H&M!)
1994 kamen Pink Floyd im Rahmen ihrer Division Bell Tour auf die Idee, „The Dark Side Of The Moon“ einfach nochmal in Gänze aufzuführen. Nichts wirklich Neues war das für die Band und nicht erst mit „The Wall“ hatte sie das Genre „Konzeptkonzert“ quasi erfunden. Nur, dass sich das Spektakel diesmal ohne den immensen Aufwand machen ließ, der zum Beispiel „The Wall“ zum extraordinär kostspieligen Risiko-Event machte. Nun darf man nicht annehmen, dass Pink Floyd die Tour kleinklein bestritten hätten, eher so im Gegenteil. Die Kosten-Nutzen-Rechnung allerdings ging deutlich besser auf. Das hat Nachahmer gefunden. Gerade heute, in Zeiten, in denen man aus neuer Musik nur mehr wenig – im Wortsinn – Kapital schlagen kann. Denn das Publikum rennt angejahrten Bands die Bude ein – am meisten sogar, wenn sie denn nur einfach ihr altes Zeug spielen. Und zwar am Besten ganz genau so, wie man es von den angejahrten Platten kennt.
„Retromania“ wird der permanente Rückgriff auf die ja gar nicht so große popmusikalische Vergangenheit genannt. Das meint den Mangel an Innovation und den immer wieder aufs Neue aufgearbeiteten Bezug auf den Pool des stilistisch schon Vorhandenen. Man kann das aber eben auch ganz wörtlich nehmen. Metallica und die Pixies läuteten den Trend 2006 und 2009 ein, als sie „Master Of Puppets“ beziehungsweise „Doolittle“ auf die Bühne brachten. Seitdem wächst die Liste der Bands, die ihre alten Alben live präsentieren, rasant: Sonic Youth, Primal Scream, Muse, The Notwist, Therapy? … Im letzten Jahr konnte man unter anderem The Wedding Presents „The Hit Parade“, Happy Mondays’ „Bummed“ und Violent Femmes’ „Violent Femmes“ live erleben. Kraftwerk führten in Düsseldorf gar acht Alben auf, also praktisch die gesamte Discografie – hatten aber wenigstens noch brandneue 3D-Visuals dabei und wurden ohnehin in einem eher umfassenden Kunst-Kontext einsortiert.
Als künstlerisches orientiertes Unterfangen wird all das selbstredend sowieso verkauft oder als angemessene Würdigung von Jubiläen. Und von denen gibt es 20 oder 30 Jahre nach den Releases wegweisender Alben gerade eine Menge. „Superunknown“ zum Beispiel, Soundgardens Mega-Erfolg, der vor wenigen Tagen in New York auf die Bühne gebracht wurde. Helmet gehen im September mit ihrem 94er Album „Betty“ auf Tour. Und soeben kündigten The Jesus And Mary Chain an, im November den 30. Geburtstag von „Psychocandy“ zu feiern – mit dem Spielen desselben. Nicht ganz so genau nehmen es die amerikanischen Punkrocker X, die im Juli in Los Angeles ihre ersten vier Alben zu Gehör bringen, darunter „Wild Gift“, 1981 vom amerikanischen Rolling Stone zum „Album des Jahres“ gekürt. Den Vogel schießt allerdings das Chicagoer Riot Fest ab: Nicht weniger als zehn Bands des „Alternative“-Spektrums lassen sich im September bitten: darunter Weezer mit dem „Blue Album“, Slayer mit „Reign In Blood“, Offspring mit „Smash“, NOFX mit „Punk In Drublic“, Jane’s Addiction mit „Nothing’s Shocking“ oder Glenn Danzigs Post-Misfits-Projekt Samhain mit „Initium“.
Das Modell „play album entirely live“ ist offensichtlich attraktiv für alle Beteiligten. Aber natürlich ist es zuvörderst eine musikalische Bankrotterklärung, der künstlerische Offenbarungseid, bei dem das kreative Tafelsilber über den Tisch geht. Denn was sonst sollte der Rückgriff auf die eigenen, besseren Zeiten sein, als pure Nostalgie? Von Band und Publikum gleichermaßen als Hohefest der Vergangenheit zelebriert und mit dem ständigen Hintergedanken des „früher war aber alles besser“. Nacherlebt oder nachgeholt werden soll so, was man in jüngeren, vermeintlich wilderen Zeiten erlebt oder eben verpasst hat. Oder was man – dazu passt die verstärkte Rückorientierung der Musikszene ohnehin – noch gar nicht erleben konnte, weil man schlicht zu jung war, um die erste Inkarnation vieler Bands mitzubekommen, die heute als wichtig gelten. Ganz ohne Risiko.
Der ganz entscheidende Vorteil solcher Konzerte ist denn auch, dass es eine Hitgarantie gibt, dass man jeden einzelnen Song im Zweifelsfall in- und auswendig kennt, dass sogar die Anschlüsse mit denen, die man im Gedächtnis gespeichert hat, übereinstimmen. Bewertet werden muss nur noch die Aufführungspraxis, die Fähigkeit der getreuen Reproduktion des konservierten Tonträger-Original einerseits, ebenso aber die Fähigkeit, davon – in engen Grenzen – abzuweichen. Das passt zum generellen Bemühen vieler ihrer Veteranen, Popmusik immer weiter in einen eher klassisch geprägten Kulturkanon einzuordnen, immer weiter dem Status anzunähern, den die so genannte „Hochkultur“ mit ihrer reinen Konzentration auf die Interpretation eines im Prinzip abgeschlossenen Werk-Katalogs ganz selbstverständlich darin einnimmt.
Dass derlei Interpretations-Fetisch ganz offensichtlich mit einem grundsätzlichen kreativen Stillstand verbunden ist, juckt dabei wenig – der ist ja in der Regel der Grund für das Alben-Reenactment. Und so, wie sich alt gewordene Rocker gern am Great American Songbook, an Swing oder an Cover-Alben versuchen, kann man sich doch gleich auf absolut sicherem Terrain bewegen: als Coverband des eigenen Werks. Selten war der gern inflationär verwendete Schmähbegriff „Ausverkauf“ angebrachter.
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