„I got into the game because it felt good to play and it felt like being free.“ Iggy Pop zuzuhören, ist ein wirkliches Vergnügen. Man kann das gerade jeden Sonntag tun, er hostet eine Show auf BBC 6, jenem Sender für erwachsene Musikfans, wie er hierzulande nicht zu finden ist. Weil deutsches Radio immer noch mehr oder weniger hilflos auf Quote zielt. Weil Popmusik hier nie den gesellschaftlichen Stellenwert hatte wie auf der Insel und eine gute Quote mit konsequent guter Popmusik für nicht machbar erklärt wird. Man kann aber auch nachhören, was Iggy Pop dieser Tage über „Free Music in a Capitalist Society“ denkt. Eine Stunde redet der Altvater des Punkrock über Apple und U2, über die Lust am Musikmachen, den Kreislauf von Geld gerade mal haben und es besorgen müssen, nicht zuletzt über seine eigenen Werbeverträge. Und über „value“, den Wert den Iggy Pop seiner Musik immer mitgeben wollte und den er natürlich ganz anders versteht als die Business-Strategen von Apple, Spotify oder Universal Music. Es ist – und das erstaunt dann doch ein bisschen – sein erstes Referat, gehalten im Rahmen der von der BBC alljährlich organisierten John Peel Lecture.
Vor zehn Jahren starb John Peel, der wohl berühmteste Popradio DJ der Welt, und heute – mit etwas Abstand – scheint sein Ruhm ungebrochen, seine Aura eher zu wachsen als zu verblassen. Man kann das ganz schnöde auf eben jenen „value“ zurückführen, den er hinterlassen hat. Ein monströs großes, per Karteikärtchen im Griff behaltenes Plattenarchiv zum Beispiel, dessen Erschließung gerade erst begonnen hat und das schon in diesen ersten Momenten irre viele Erkenntnismomente, Déjà-vus und Überraschungen bereithält. Oder eine schier unüberschaubare Zahl von Peel Sessions, Zeit ihres Bestehens legendär und mit jedem Jahr immer noch ein Stück wertvoller – musikhistorisch aber auch ganz praktisch; vor allem für die BBC, klar, die einfach im Fundus wühlen könnte, um jahrelang fantastische Musik zu spielen. Nun ja, sie tut es natürlich auch quer durch ihre Wellen und Programme. Die Bandbreite reicht vom „King Of Skiffle“ Lonnie Donegan über den ganz frühen Bob-Marley zur Intelligenzia-Elektronik eines Richie Hawtin. Eine Vielfalt ist das, die auch im behaupteten „anything goes“-Zeitalter Wirkmächtigkeit besitzt und ein mächtiges Manifest gegen die ausgeklügelten Empfehlungsalgorithmen der Online-Welt darstellt, die dem Gedanken des universellen Verständnis von Popmusik nur eine notgedrungen armselig anmutende „Gefällt dir dies, dann magst du sicher auch jenes“-Brotkrumenspur entgegenzusetzen hat. Die Grundbedingung für den Umgang mit der überbordenden Vielfalt ist allerdings die Neugier.
John Peel war immer neugierig und er forderte das auch von seinen Hörern ein. Oft genug überraschte er sich und sie gleichermaßen, indem er einfach irgendeine bisher ungehörte Platte auflegte. Spannendes ließ sich noch in den abseitigsten Veröffentlichungen entdecken, die ihm von überall in der Welt zugesandt wurden und die er im unaufgeregt sonoren Tonfall präsentierte. In seiner Sendung mal gespielt worden zu sein, davon zehrten viele Bands außerhalb Großbritanniens jahrelang, war ausreichender inhaltlicher Grundstock unzähliger Bandinfos. Funktionieren konnte das nur, weil er so etwas wie ein Universalgenie des Musikhörens war, das einerseits Genregrenzen schlicht nicht akzeptierte und andererseits jede neue Entwicklung mit Begeisterung Ernst nahm. Schon das macht seine Geschichte einzigartig. Der historische Glücksfall, die große Blütezeit der Popmusik fast von Beginn an praktisch lückenlos begleiten zu dürfen, ist heute nicht mehr gegeben – weil Popmusik endgültig ausentwickelt scheint. Grundsätzliche Neuentdeckungen sind damit – nach derzeitigem menschlichem Ermessen – nahezu ausgeschlossen. Das liegt jedoch auch daran, dass sich die medialen Rahmenbedingungen drastisch verändert haben.
Sogar das beste Radio ist kein unangefochtenes Popmusik-Leitmedium mehr. Gestalterische Handlungsfreiheit in Sachen Programm ist ein Luxus, den sich kaum noch ein Sender erlauben mag – zumindest außerhalb der Nischen. Die zu finden ist auch in Zeiten grenzenlos verfügbarer Streams nicht einfach und setzt eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema voraus. Die allgemeine Verfügbarkeit von Neuveröffentlichungen hat das Musikhören zwar radikal demokratisiert und die Dominanz eines einzelnen Moderators, einer einzelnen Show obsolet gemacht. Bequemer, effektiver oder auch nur umfassender, als das Entdecken neuer Musik durch einen kompetenten und musikalisch unerschrockenen Radio DJ ist es heute allerdings nicht. Viel vom dem, was am Stöbern durch die Blogs und Internetradios dieser Welt mühsam ist – das Durcharbeiten durch die schiere Masse, die erste Gut-schlecht-Vorkontrolle, das Auffinden der Perlen an sich, die Einordnung in den pophistorischen Kontext – dafür hätte man dann vielleicht doch gern wieder einen universell vertrauenswürdigen Gatekeeper. Zumindest so einen, wie John Peel einer war.
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