Volkes Stimme

Ton & Text Ästhetische Einfalt, simple Weltsichten und reaktionärer Rollback – der neue Schlager-Boom ist das „Pop“ im Populismus
Als besonders „authentisch“ verkauft sich Andreas Gabalier
Als besonders „authentisch“ verkauft sich Andreas Gabalier

Foto: Philipp Guelland

Gut 30.000 haben ihn sich schon angeschaut, auf YouTube. Herzallerliebst ist dieser Davigi Amore, wenn er seinen „Hashtag Liebe“ losschickt, ein adretter Hipster in Lederhosen und mit einem Song, dessen Grundidee tatsächlich so clever ist, dass man am zukünftigen Erfolg der neuen Nische „Hipster-Schlager“ gar nicht zweifeln mag. Vor allem natürlich, weil man diesen Hipstern ja alles Schlimme der Welt zutraut, sogar, dass sie Schlager mögen; irgendwie ironisch, versteht sich, aber eigentlich auch so ein bisschen wirklich. Die Ironie ist überwunden, sie wird nicht mehr benötigt, um sich zu rechtfertigen.

Dass Davigi Amore nicht „echt“ ist, ein „Fake“, lässt sich kaum verkennen. Nur, was an dieser „volkstümlichen“ Musik ist schon nicht künstlich, reines Imagebuilding? Es ist ja gerade diese Losgelöstheit von einer in der Rockmusik gern gepredigten „Authentizität“, die der als Abgrenzungsmerkmal diente. Das funktionierte schon immer mehr schlecht als recht, inzwischen ist es ganz offensichtlich obsolet.

Als besonders „authentisch“ verkauft sich Andreas Gabalier. Gut 70 Euro soll es seinen Fans wert sein, wenn ihr Star nächstes Jahr die ganz großen österreichischen und deutschen Arenen bespielt. Der Vorverkauf hat – man könnte sagen: standesgemäß – soeben begonnen, also ein gutes Jahr im Voraus. So wird das heute gehandhabt bei den ganz großen Acts. Und ein solcher ist Gabalier zweifelsfrei. Genau genommen der größte Popstar aus Österreich seit, nun ja, Falco. 2014 war er omnipräsent, durfte sich über Wochen mit Sangeskollegen auf der Sing meinen Song-Couch austauschen und bekam ausgerechnet von der ARD eine eigene Samstagabend-Show spendiert; ziemlich gut getimet zum Vorverkaufsstart. Da stimmt also auch der Marketingplan.

„Volks-Rock’n’Roll“ nennt Gabalier seinen einfach ein bisschen hochgetourten volkstümlichen Schlager und der Erfolg gibt ihm sogar Recht. 9,93 Prozent Marktanteil in der Gruppe der 14- bis 49-jährigen schaffte das Erste mit der Andreas Gabalier Megashow, gegen Joko und Klaas immerhin und das neue, heftig beworbene RTL-Castingformat Rising Star. 10 Prozent? Da klingelt doch was. So viel schaffte auch die AfD in den letzten drei, soeben gelaufenen Landtagswahlen. Wer glaubt, diese Parallelsetzung wäre komplett an den Haaren herbei gezogen, hat sicher nicht ganz Unrecht. Oder?

„Weißt was mir auffällt? Die Politiker im Parlament wissen oft nicht mehr, wie die Menschen draußen ticken.“ Oder: „Ich bin sehr für Frauenrechte. Aber dieser Gender-Wahnsinn, der in den letzten Jahren entstanden ist, muss wieder aufhören.“ Könnte AfD sein, ist aber Gabalier. Dass das Konzept Erfolg verspricht, hat Gabalier schnell erkannt, nachdem er im Juni in der größtmöglichen Öffentlichkeit eines Formel-1-Rennens die österreichische Nationalhymne ohne die seit einigen Jahren neben den „Söhnen“ gewürdigten „großen Töchter“ gesungen hatte. 50.000 neue Facebook-Fans hätte er damit gewonnen. Dass ihm prompt FPÖ-Rechtsaußen Heinz-Christian Strache gratulierte, stört ihn nicht. Den Programmverantwortlichen der ARD gab all das scheinbar nicht zu denken. Was wiederum daran liegen könnte, dass man selbst noch ein wenig zu sehr im WM-Taumel war, wo man ein paar Traditions-Ressentiments nicht auf die Goldwaage legen mochte. Schon gar nicht, wenn alle Welt eh gerade ein Problem mit Political Correctness hat. Und wenn Schlager gerade jenes Ding überhaupt ist, das man nicht verpassen darf. Siehe Helene Fischer. Sie ist die andere – noch größere – Gewinnerin des Musikjahres. Sogar wer im bestbehüteten Elfenbeinturm des kulturbürgerlichen Feuilletons lebt, musste eines Tages völlig überrascht feststellen, dass ganz Deutschland Helene Fischer singt. Und zwar bei jeder Gelegenheit. Vorzugsweise aber, wenn sie mit der Fußballnationalmannschaft auf der Bühne der Siegesfeier steht.

Es gibt eine ziemlich einleuchtende musikalische Linie, die die Fußballweltmeisterschafts-Rezeption in Deutschland seit 2006 dominiert, jenem „Sommermärchen“-Jahr, in dem ganz offiziell der unverkrampfte Patriotismus Einzug hielt. Vom unbedarften Schunkelpop der Sportfreunde Stiller über den verquasten Erweckungsruf eines Xavier Naidoo (wir erinnern uns: immer mal wieder als homophob gegeißelt und inzwischen auch in der neurechten Montagsdemo-Szene zu Hause) bis zur „Atemlos durch die Nacht“-Partystimmung gibt es keine Brüche. Der Konsens all dieser Künstler und Songs ist, dass sie einen ästhetischen Populismus bedienen, der das grundlegende Eskapismus-Versprechen der Popmusik einfältig und reaktionär umdeutet. Zehn Prozent sind dabei erst der Anfang. Denn natürlich wird alles noch viel schlimmer werden, zumindest auf absehbare Zeit. Schlager ist erfolgreich, also wird auch er bedenkenlos ausgemolken werden. So handhabt das die Kulturindustrie Zeit ihres Bestehens, bitter stieß einem das immer nur auf, wenn es – sagen wir mal – Grunge oder Deutschrap erwischte.

Leute, die liebend gern auf diesen Zug aufspringen gibt es genügend, die Verlockung ist groß. Wundern sollte man sich jedenfalls nicht, wenn David Würtemberger, derzeit Redakteur beim Jugendradio des Bayerischen Rundfunks und die Person hinter Davigi Amore, demnächst alles hinschmeißt und den ironisch gemeinten Schlagerspaß zum Beruf macht. Das Konzept stimmt, die Chancen stehen gerade bestens.

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