Wahnsinn mit Methode

Ton & Text Unerhört, brillant, wegweisend – und das vertonte Borderline-Syndrom: Vor 25 Jahren erschien „Surfer Rosa“, das erste Album der Pixies
Wahnsinn mit Methode

Es braucht nicht viel, nur ein paar Sekunden dieses magischen, schaurig-schönen, hinter einem akustischen Gitarrenakkord versteckten „uhuuu“ – es ist ein ebenso betörender wie gefährlich anmutender Sirenengesang, der heute noch reicht, um absolute Aufmerksamkeit zu erzwingen; in jeder beliebigen Indie-Disco der Welt oder wenn der Random-Modus des eigenen MP3-Players mal wieder drüber stolpert. Es gibt gar nicht so viele Songs der Rockgeschichte, die ein derartiges Innehalten provozieren können, die ein Vierteljahrhundert nach Veröffentlichung noch immer so klingen, als wären sie gerade eben im Studio des hippesten Produzenten mit der hippesten Band des Planeten aufgenommen worden. „Where Is My Mind“ ist unter diesen raren alterslosen Über-Hits vielleicht sogar der eindrücklichste.

Vor 25 Jahren erschien „Surfer Rosa“, das erste reguläre Album der Pixies und es ist gewiss keine Übertreibung, zu sagen, dass dieses Album (gemeinsam mit dem ein halbes Jahr später folgenden „Daydream Nation“ der Sonic Youth) die heute gängige Vorstellung von „Alternative Rock“ definierte. 1988 war diese – in sich ja eigentlich gar nicht so neue – Musik im Wortsinn unerhört. Genau in der historischen Mitte zwischen der Gegenwart und dem ersten Beatles-Album steht „Surfer Rosa“ und es gab schlicht kein Beispiel für diese Anwendung des bis dato in der Popmusik Gelernten. Es war die oftmals frappierende Kürze der Songs, die kryptischen Texte, deren tieferem Verständnis man heute noch chancenlos gegenüber steht, die aufreizend willkürlichen Tempi-Wechsel, das eigenartige Gebräu aus treibenden akustischen und schneidenden elektrischen Gitarren. Die Atemlosigkeit einerseits und eben diese ganz großen Momente des Unwirklich-Erhabenen, des Überirdischen, wie sie mit „Gigantic“ oder „Where Is My Mind“ inszeniert wurden.

Es gibt nicht so viele bekannte Anekdoten über die Pixies. Die berühmteste stammt schon aus der Zeit vor der eigentlichen Gründung und viel aussagefähiger könnte sie eigentlich nicht sein. Gesucht sei ein Bassist, der gleichzeitig Hüsker Dü und Peter, Paul And Mary gut finden müsse. Die Hardcore-Punks mit dem hohen Glasscherben-Gurgel-Faktor also und die lupenreine Folk-Supergroup mit ihren Wurzeln im Greenwich Village der Pre-Dylan-Ära. In einer Zeit, wohlgemerkt, in der vom lässigen „anything goes“ heutiger Prägung noch lange keine Rede war.

Gerade mal fünf Jahre dauerte die eigentliche Bandgeschichte der Pixies letztendlich an. Die wirklich wichtige Band-Historie umfasst das immer noch ebenso atemberaubende EP-Debüt "Come On Pilgrim" ein halbes Jahr vor „Surfer Rosa“ und den im Jahr darauf veröffentlichten Alben-Glanzpunkt der Indie-Musik überhaupt: „Doolittle“. So richtig erfolgreich nach Maßstäben von Album-Verkäufen waren die Pixies nie, auch wenn sie gegen Ende ihrer ersten Karriere als Headliner renommierter Festivals gebucht wurden. Die Luft war aber hörbar raus, „Bossanova“ und „Trompe Le Monde“ hatten nicht mehr die Magie ihrer Vorgänger, die stetig präsenten Stänkereien zwischen Frank Black und Bassistin Kim Deal – sie war neben Black die unersetzliche Stimme der Pixies – nahmen überhand. 1991 löste Black die Band auf – und teilte das seinen Kollegen per Fax mit. Deal hatte mit ihrer neuen Band Breeders zwei Jahre später dann immerhin noch einen echten Szene-Smashhit: „Cannonball“ gehört heute noch zum Grundinventar jeder anständigen Indie-Playlist. Black hingegen etablierte sich als ebenso arbeitswütiger wie unberechenbarer Individualist, galt mit seinen Catholics eine Zeit lang als die besseren neuen Stones, veröffentlichte unter immer neuen Namen unablässig kleine, dreckige Rock’n’Roll-Alben, über die auch Liebhaber schnell den Überblick verlieren konnten.

Wie wahnsinnig die klassischen Pixies-Songs auch hätten werden können, zeigt 2004 das Doppelalbum „FrankBlackFrancis“. Das versammelt Blacks Soundskizzen für die ersten Studiosessions der Pixies, mit akustischer Gitarre auf einem Walkman aufgenommen, und stellt sie schier wahnwitzigen „Reworks“ der Pixies-Songs durch die Two Pale Boys gegenüber, der Band des nicht minder musikirren Pere Ubu-Masterminds David Thomas. Die Reunion war da schon in vollem Gang und Black belastete sie gar nicht erst mit irgendwelchem Gefasel von künstlerischem Drang oder musikalischer Weiterentwicklung. Es ging ihm ums Geld. Die Retromania-Maschine begann gerade heiß zu laufen, auf Tour konnten die Pixies jetzt endlich die Gagen verlangen, die fünfzehn Jahre vorher utopisch gewesen wären. Konsequent denn auch, dass sie auf neues Material verzichteten. Immerhin äußerst gutlaunig muten die Konzerte seitdem an, keine Spur vom früher üblichen Zoff auf der Bühne, dafür eine entspannte Gelassenheit, die aus den immer noch unglaublich zeitgemäß klingenden Songs ein großes Hörvergnügen machen. Es ist – und das schaffen die wenigsten der alten Helden – Abzocke mit Stil.

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