We were never being boring

Ton & Text Der erneute Erfolg der vormaligen Boyband Take That ist beeindruckend. Und ein nachträglicher Sieg des – nun ja – Bösen

1,6 Millionen Ticketkäufer können nicht irren. Gerade mal drei Dutzend Shows waren es, ziemlich ausverkauft allesamt, jeweils acht davon gab es an aufeinanderfolgenden Tagen im Manchester City Stadion und im Londoner Wembley. Zu den drei Auftritten in Deutschland kamen gut 150.000 Leute. Man kann das nur einen grandiosen Erfolg nennen, auch wenn Robbie Williams am Ende verlauten ließ, er würde das sicher nicht nochmal machen. Also mit Take That auf Tour gehen.

Fünf Jahre nach der Comeback-Tour folgte die Reunion-Tour – also die bis dato noch ausstehende Beteiligung von Robbie Williams, dessen anfangs so enorm überzeugende Solokarriere irgendwann ins Stocken geriet, nachdem er ohne seinen Top-Songschreiber Guy Chambers auskommen musste. Es war ein perfekt kalkulierter Moment, wenn auch nicht unbedingt aus künstlerischer Sicht. Die neueren Take-That-Songs sind zwar solide, aber selbst für Wohlmeinende nur Pro-forma-Material, das im Konzert gerade mal als Einleitung dient, als Anheizer für den Auftritt von Robbie Williams, der dann auch noch ein paar Solonummern zum Besten geben darf, bevor es ans Eingemachte geht. Das sind die gemeinsamen Hits aus den frühen Neunzigern, als Take That noch keine gestandenen Männer waren, sondern Jungs, die das Spitzenprodukt einer Industrie darstellten, die alle Naselang eine neue Boyband auf ihre Vermarktbarkeit testete. Der Kreischfaktor ist immer noch erstaunlich enorm.

Dem Prinzip Boyband spricht das Hohn

Ihr heutiges Publikum ist mit dem damaligen zu großen Teilen deckungsgleich, nur mit denselben 15 Jahren Altersunterschied, den auch die Band auf dem Buckel hat. Aus Teenagern, gegen deren Fan-Begeisterung man naturgemäß nicht ankommt, sind mehr oder weniger gut verdienende Frauen um die Dreißig geworden, die es sich auch mal leisten können, nach Hamburg, Düsseldorf oder München zu fahren, um Take That noch einmal zu sehen. Das Verblüffende und der eigentlich bemerkenswerte Effekt ist: Sie wollen es sich auch leisten. Take That haben es offensichtlich vermocht, die sonst auf die Vergangenheit begrenzte Teenager-Glückseligkeit aus ihrem temporären Käfig zu befreien, die sonst allfällige Distanzierung von den weniger coolen Sünden der Jugend unnötig zu machen. Normal ist das nicht. Kaum vorstellbar, dass eine Reunion der – sagen wir einfach mal beispielgebend – Kelly Family – etwas anderes als peinlich berührte Ignoranz auslösen könnte. Obwohl … drauf schwören sollte man vielleicht nicht. Zumindest nicht im Falle der Boybands. Denn ein Problem dieser erfolgreichen Take-That-Rückkehr ist die Rolle des Dammbrechers. Was man bei den fünf inzwischen smarten Typen noch mit Fassung trägt, könnte sich bald zur neuen Landplage ausweiten.

East 17 gibt es wieder, die Backstreet Boys ebenso, Blue verlagerten ihr Comeback gleich in den Eurovision Song Contest und sogar die Mutter aller aktuellen Boybands, New Kids On The Block, touren durch die Staaten. Eigentlich sprechen all diese Comebacks dem grundlegenden Funktionsprinzip einer Boyband Hohn, das ja nun mal darin besteht, junge knackige Boytypen optimal auf den Geschmack von zwölfjährigen Mädchen zu trimmen. Inzwischen präsentieren sich gereifte Männer gereiften Frauen. Musik ist dabei – sieht man mal vom Bedarf an emotionalen Schmachtfetzen und der taktgebenden Rolle für den choreografierten Bühnentanz ab – ohnehin eher notwendiges Begleit-Übel, als Hauptinhalt des jeweiligen Business-Projekts. In allen anderen Kreisen als dem pubertierender Mädchen (wir lassen die Gay-Aspekte hier mal außen vor) wurden Boybands denn auch als das Übel der Kulturindustrie schlechthin angesehen – natürlich zu Recht. Dass derlei heutzutage wieder anbietbar ist, scheint kein gutes Zeichen für die allgemeine Entwicklung des Mainstream-Popgeschmack.

Dass der schon mal weiter war, wird ausgerechnet an der Band deutlich, die Take That im Vorprogramm hatten: Pet Shop Boys. Deutlich gealtert sind auch die, so richtig weg waren sie allerdings nie, auch wenn ihre neueren Alben nicht mehr die Brillanz der vorherigen zwanzig Jahre haben. Sie jedenfalls waren Zeit ihres Bestehens die Bannerträger der Hoffnung, dass sich gute Popmusik und absolute Mehrheitsfähigkeit nicht ausschließen müssen – sich eigentlich sogar bedingen, zumindest im Idealfall. Im Vorprogramm einer Take That-Tour verheizt zu werden, ist eher das Gegenteil eines gehobenen Popmusik-Ideals. Das kann man durchaus deprimierend nennen.

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