Weird As F@*$

Ton & Text Das fängt ja gut an: 2013 liefert den Comeback-Overkill. Musikalisch ist der vor allem mittelmäßig und auch ansonsten eher mit zweifelhaften Chancen
Weird As F@*$

Foto: Screenshot/ myspace.com

Im „klassischen MySpace“ merkt man vom ganzen Hype noch gar nichts. Der letzte Song stammt von vor gut einem Jahr, eine schon damals alles andere als neue Nummer. Und wenn da nicht diese automatisch von Twitter eingespielte Nachricht wäre, könnte man meinen, es hätte sich nicht viel getan. „Thank you, thank you, thank you!“ vermeldet Justin Timberlake und meint seinen neuen Song, der seit Montag erhältlich ist, nur eben nicht hier. Allerdings kommt man an Justin Timberlake natürlich trotzdem nicht vorbei, wenn man MySpace dieser Tage aufruft. Denn es gibt jetzt auch das „neue MySpace“, wo man auf den ersten Blick nicht viel mehr sieht als einen sehr schicken jungen Herrn in Anzug und Fliege – Justin Timberlake – und das man erst mal wegklicken muss, um seinen angestammten Account zu erreichen.

Anderthalb Jahre ist es her, dass der smarte Megastar mit Sinn für’s Geschäftliche seinen Einstieg bei MySpace bekannt gab. Viel wert – zumindest nach Maßstäben des nicht selten irre anmutenden Dotcom-Business – war das ehemals weltweit führende „social network“ nicht. Für den Bruchteil des früheren Kaufpreises ging es über den Tisch. Seitdem hätte man spekulieren können, was ein Justin Timberlake denn nun hinter den Kulissen so treiben würde – nur: wen hat das schon noch wirklich interessiert? MySpace war noch so spannend wie ein alter Socken, den man irgendwann leicht angewidert hinter dem Wäschekorb findet und bei dem man sich zwei mal überlegt, ob es die Waschmaschine noch lohnt. Aber manchmal kommen sie wieder und viel cleverer als Justin Timberlake kann man es wohl wirklich nicht anfangen.

„I’m ready“ hieß es noch vor wenigen Tagen verheißungsvoll, ein Ein-Minuten-Video zeigte Timberlake im Studio, eben bereit für … ja was wohl? Sicher für neue Musik, viel Ermessensspielraum blieb da nicht übrig. Fünf Jahre ist seine letzte Single her, Zeit genug für eine komplett neue Führungs-Generation der amerikanischen Megastar-Industrie: der Aufstieg von Katy Perry, Lady Gaga oder Justin Bieber fällt exakt in diesen Rahmen. Braucht es da noch einen Timberlake? Immerhin war der nicht nur enorm erfolgreich, sondern auch bei Kritikern gut gelitten. Verbunden war seine musikalische Solokarriere auch mit den Produzententeams von Timbaland und den Neptunes. Auch deren damals schier allumfassende Sounddominanz ist vor allem eins: vorbei.

Es ging dann noch schneller als man vermuten durfte, gerade drei Tage blieben zum Spekulieren und das „Comeback“ ist vor allem abseits der eigentlichen Musik deutlich größer und umfassender ausgefallen als man sich das gedacht hatte. Denn zurück meldet sich auch MySpace – in einer Symbiose mit dem Popstar, deren Radikalität denn doch verblüffend ist. Optisch gelungen scheint sie auf jeden Fall – was bei Timberlake nie eine Frage gewesen ist, bei MySpace hingegen die alles entscheidende. Das liegt am bis dato schier unerträglichen Chaosdesign der Plattform, bis zum Niedergang gern genutzter Tummelplatz für Musiker mit deutlich mangelhaftem ästhetischem Gefühl und sowieso kaum durchschaubar in seiner wild wuchernden Mixtur aus dem größten Bandpool der Welt und der Nichtigkeiten-Austausch-Zentrale in Zeiten vor Facebook. Das neue MySpace sieht also tatsächlich gut aus und scheint – so sagen die, die sich die Mühe gemacht haben, das zu testen – auch ganz gut zu funktionieren. Ob das etwas nützt, steht auf einem anderen Blatt. Nimmt man den Vorzeigestar als Maßstab, darf man zweifeln.

Zwar erregte „Suit & Tie“, so heißt die neue Single, massive Aufmerksamkeit. Die Neugier reichte für einen enormen Schub, eine halbe Million Downloads sollen schon angepeilt sein. Aber überzeugen kann das mediocre Werk nun mal gar nicht, nicht mal im Vergleich mit den eigenen Hits der Vergangenheit. Schon gar nicht im aktuellen Popszene-Kräftemessen. Denn – und das passt dann wieder zum MySpace-Engagement – dieser Timberlake ist nur der schwache Nachhall einer ehemals gloriosen musikalischen Vergangenheit: erneut produziert von Timbaland und begleitet von Rap-Superstar Jay-Z, dessen eigenes Comeback nun auch schon wieder ein paar Jahre zurück liegt und der seitdem auch nicht mehr durch besonders bemerkenswerte Musik auffiel.

Mittelmaß bestimmt den Jahresauftakt, begonnen hat es vor einigen Tagen mit einem gänzlich anderen Comeback: „Weird as f@*$“ fiel der neuen MySpace-Redaktion in – trotz gewohnter amerikanischer Verschlüsselung – ungewohnt drastischer Wortwahl zum neuen David-Bowie-Song ein, auch der durch und durch langweilig und kein gutes Vorzeichen für alles, was da noch kommen mag. Und weil es gerade um Comebacks geht: „Similar Artists“ – ähnliche Künstler – ist eine der Standardkategorien der neuen Künstlerprofile bei MySpace. Nach deren Algorithmen ganz besonders ähnlich zu Justin Timberlake: Destiny’s Child. Die waren noch vor den Hochzeiten Timberlakes die übercredible Girl-R’n’B-Band der höheren Preisklasse, den Erfolg in vergleichbarer Dimension auch solo fortführen konnte nur Beyoncé Knowles. Auch das Trio hat soeben verkündet, sich wieder zusammen zu schließen und so genau will man eigentlich gar nicht wissen, was das noch soll, außer den eigenen exzellenten Ruf noch im Nachhinein zu ruinieren. Verheiratet ist Beyoncé übrigens mit Jay-Z. Die Welt ist halt klein. Ob trotzdem groß genug für die Comebacks von Timberlake, MySpace und dem ganzen verdammten Rest – es sollte einem fast egal sein.

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