Da sage noch einer, Popmusik wäre kein Businessmodell mit Zukunft. Diesmal geht es um immerhin 13 Millionen Euro. So viel soll die Berlin Music Week einspielen, es ist das erhoffte Geld, das die Besucher in Berlin lassen sollen, zumindest nach Vorstellung der zuständigen Wirtschaftssenatorin. Und weil von Nichts nichts kommt, investiert der Senat in diesem Jahr immerhin 700.000 Euro in das Spektakel. Schon im vierten Jahr seiner Existenz gibt sich das deutlich breitbrüstiger und – es fällt einem schlicht kein passenderer Begriff ein – großmäuliger als seine Konkurrenten im deutschen Musikbusiness-Kalender, die Kölner c/o Pop und das Hamburger Reeperbahnfestival. Das kommt nicht von ungefähr und wer die Sache etwas zynischer sieht, hat schnell die Metapher vom Pfeifen im Walde parat. Denn natürlich ist das Musikbusiness immer noch ein eher undankbares Geschäftsfeld, also alles andere als ein Wachstumsmodell. Und wer die 13 Millionen einordnen will, findet die Vergleichszahl auch in Berlin: Die Fashion Week spielt ungefähr das Zehnfache ein. Aber – und das ist der Unterschied zu Köln und Hamburg – Berlin braucht Popmusik.
Um jährlich gut sieben Prozent steigt die Zahl der Beschäftigten im Berliner Discotheken-Bereich seit 2009. Das hat die Investitionsbank Berlin ausgerechnet und beziffert noch ein bisschen mehr im wahrscheinlich so ziemlich einzigen Wachstumssegment, das Berlins Wirtschaft im Großen und Ganzen vorzuweisen hat. Dass die Politik sich dessen durchaus bewusst ist, hat sie mit ihrer beflissentlichen Unterstützung der Berliner Clubs im Streit um die neuen GEMA-Tarife für Tanzveranstalter schon bewiesen. Zwar macht die Musikwirtschaft nur ungefähr 0,3 Prozent das Gesamt-Regionalumsatzes aus – das ist aber einerseits immer noch ein deutlich höherer Anteil als in den Konkurrenzmetropolen. Andererseits ist Popmusik eben auch abseits der bescheidenen Zahlen offensichtlich immer noch wirkmächtig genug, um nüchterne betriebswirtschaftliche Faktoren als nebenrangig erscheinen zu lassen.
Dieser Berliner Hang zum Glamour schlägt jetzt folgerichtig endgültig durch. Gleich drei verschiedene Award-Shows gibt es diese Woche bei der Berlin Music Week, von denen immerhin eine denn doch eine gute Nachricht ist: die VUT Indie Awards. VUT bedeutet „Verband unabhängiger Tonträgerunternehmen“, das ist noch kurz ausgeführt, es ist der Dachverband der unabhängigen also Nicht-Major-Plattenfirmen. Die machen – auch hier scheint eine abkühlende Relation sinnvoll – zwar gerade mal 20 Prozent des Musikmarktes aus, gelten in einer zugegebenermaßen etwas idealisierten Sichtweise aber selbstredend als die Guten, als jene, die Musik zuallererst als Herzensangelegenheit betrachten und bei denen das Monetäre danach, an zweiter Stelle kommt. Schon bei seiner Premiere dürfte der mit einiger Spannung erwartete Preis die beiden anderen in Sachen Relevanz locker auf die Plätze verweisen. Wozu es einen nicht mal im lokalen Maßstab repräsentativen „Berliner Music Award“ überhaupt braucht, erschließt sich wahrscheinlich eh nur dem veranstaltenden Hauptsponsor. Und wie einflussreich der „New Music Award“ der schön euphemistisch immer noch „junge Radiosender der ARD“ genannten öffentlich rechtlichen Hitradios ist, zeigt der Status des Vorjahressiegers, der Band Tonbandgerät, im allgemeinen Bewusstsein. Noch nie gehört? Keine Sorge, das geht auch Branchenkennern so.
„Mit der Berlin Music Week hat die Hauptstadt eine Plattform für Musikwirtschaft, die Aktivitäten, Engagement, Vielfalt, Leidenschaft und Synergien bündelt. Diese breite und kooperative Aufstellung stärkt das Standing Berlins als internationaler Musik-Hotspot.“ So heißt es im bundesweit typischen Hülsen-Speak der Pressemitteilungen. Gemeint ist, dass im Konferenzteil der Berlin Music Week viele Referenten geladen sind, die über das reden sollen, worüber man bei allen vergleichbaren Musikbusiness-Veranstaltungen derzeit auch so redet: Musikstreaming, Social Media, Crowdfunding, GEMA. Und weil es Berlin ist, geht es natürlich auch explizit um Startups und Apps, eine dieser Domänen, die zwar erstmal wenig mit Musik aber viel mit Hype und vermeintlicher Zukunftsfähigkeit zu tun haben. Um Gotteswillen keine Messe sei das, lässt man sicherheitshalber noch verlauten, der unrühmliche Abgang der ehemals bedeutenden Popkomm vor zwei Jahren sitzt wohl immer noch tief in den Knochen, sondern eine „Networking-Plattform“. Ah ja.
Musik an sich gibt es immerhin auch. Flaggschiff ist das Berlin Festival auf dem zwar eher ungastlichen aber eben verfügbaren und günstig gelegenen Flughafen-Tempelhof-Areal. Mit seinen ungefähr 20.000 Besuchern hat es dem Melt!-Festival in den letzten beiden Jahren mühelos den Rang als Weltfestspiele der Jutebeutelträger abgelaufen. Wer mag, kann jedoch tatsächlich die eine oder andere über Hipster-Tagesbefindlichkeiten hinaus wirkende Band entdecken. Spannender ist selbstredend das neue Showcase-Konzept des „First We Take Berlin“-Festivals, mit dem die Berlin Music Week das hierzulande vor allem beim Reeperbahn Festival bestens bewährte und gerade bei Musikliebhabern und Branchenbesuchern beliebte Clubkonzert-Prinzip adaptiert. Nur, dass die eigentlichen Berliner Clubs, also jene, die Berlins Ruf als Musikstadt im Kern ausmachen, praktisch komplett außen vor bleiben. Das liegt sicher am sowieso glänzend laufenden Tagesgeschäft, das sich ein Watergate oder gar Berghain nicht von irgendwelchen Berlin-offiziösen Festival-Veranstaltern ruinieren lässt. Aber es zeigt auch, welchen Stellenwert die Berlin Music Week in der Berliner Veranstalter-Szene hat. Eine sehr bescheidene. Es ist der Effekt, an dem schon die Popkomm verzweifelt ist. Im schwarzen Loch der Metropole Berlin verschwindet auch die größtmögliche Anstrengung mehr oder weniger spurlos. In Köln und Hamburg ist das deutlich anders. Da verkehrt sich der beschworene Standortvorteil Berlins glatt ins Negative.
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