When Will The Bass Drop?

Ton & Text Es ist keine Kunst und es geht um viel Geld: Pünktlich zur Festivalsaison erlebt EDM eine noch größere Welle an Geschäft, Hype und Hass als ohnehin schon
Hands up: David Guetta
Hands up: David Guetta

Foto: Charley Gallay/ AFP/ Getty Images

Es ist ein sehr lustiges Video, was die Comedy-Truppe The Lonely Island da für Saturday Night Live gedreht hat. „When Will The Bass Drop?“ zeigt einen gewissen DJ Davincii während seines Auftritts, der im Wesentlichen daraus besteht, das Publikum mit ein wenig theatralischem Knöpfchendrehen auf den erlösenden Bass-Ausbruch warten zu lassen – um unterdessen diversen anderen Beschäftigungen nachzugehen. „Davincii“, das ist ein sehr leicht zu entschlüsselnder Namensbastard der realen „DJ“s David Guetta und Avicii. Gnadenlos überhöht ist das alles – aber eben doch gar nicht soweit weg von den realen Verhältnissen, unter denen die Megastars der EDM-Szene mit praktisch absoluter Narrenfreiheit agieren. Gerade nicht von den Säcken an Geld, mit denen sie tatsächlich für jeden Auftritt überhäuft werden. Sie sind die Aushängeschilder einer Veranstaltungsindustrie, in der Geld in Hülle und Fülle vorhanden scheint. Denn EDM ist echtes Big Business geworden.

EDM, Electronic Dance Music, so wird jene im Prinzip DJ-orientierte Musik heutzutage genannt, die sich seit einigen Jahren im US-Mainstream durchgesetzt hat. Dort hatte Rave-Musik sehr lange nur eine Nischenrolle, zumindest bis die große Dubstep-Welle nicht nur durch die Clubs des Landes rollte, sondern auch durch die unzähligen Springbreak-Events. Seitdem ist EDM ein rasanter Wachstumsmarkt, dessen Epizentrum nicht umsonst Miami ist – jene Stadt, die für die alljährlichen Springbreak-Exzesse bekannt ist und dessen eh schon vergleichsweise gut bestückte Clubszene jetzt mit riesigen neuen Locations aufgebläht wurde, durch die Zehntausende zahlungs- und trinkstarke Gäste geschleust werden können. Parallel dazu gibt es eine Unmenge EDM-Festivals; neu aus dem Boden gestampft oder – vorwiegend in Europa – mehr oder weniger aus dem angestammten Rave-Festivalzirkus übernommen.

Dahinter steht oft die NASDAQ-notierte Firma SFX Entertainment, mit der der berühmt-berüchtigte Unternehmer Robert F. X. Sillerman gleich noch einmal macht, was Live Nation, ein Vorkonglomerat aus Sillermans illustren Aktivitäten-Portfolio, schon in der klassischen Rock- und Pop-Veranstaltungsindustrie durchexerziert hat: die Kontrolle über Livegeschäft, Artistbooking und Musikvertrieb gleichermaßen in den Griff zu bekommen und so in sich geschlossene Erlöskreisläufe zu erzeugen. Vereinfacht gesagt: Eigene Musiker spielen auf eigenen Konzerten in eigenen Clubs und Festivals und verkaufen dort eigene Getränke und eigenes Merchandise.

Wie man das durchzieht, lässt sich jetzt in Sachen EDM in Echtzeit beobachten. Direkt oder indirekt gehören SFX Entertainment ganz oder zumindest teilweise Clubs in Miami, Bookingagenturen, Festivals wie das australische Stereosonic, das deutsche Nature One und das belgische Tomorrowland. Mit aktuell 400.000 (!) verkauften Tickets ist es das europäische Flaggschiff des EDM-Hypes schlechthin. Die Musik dafür liefert SFX seit 2013 gleich noch mit. Da hatte man mit Beatport die führende Onlineplattform für elektronische Musik gekauft – nicht ohne in der Folge alle Firmenbereiche, die nicht direkt Gewinn machten, umgehend zu schließen und die entsprechenden Mitarbeiter zu entlassen.

Dem breiten Publikum – und das wächst immer noch – ist das natürlich herzlich egal, so lange ganz oben auf den Plakaten Namen wie David Guetta, Avicii, Tiësto, Steve Aoki, Deadmau5 oder Skrillex stehen. Der „Clubkultur“ gut tut all das selbstverständlich nicht. Dazu hat sich der in Berlin lebende amerikanische DJ und Produzent Seth Troxler soeben viel beachtet zu Wort gemeldet. Publikum und DJs im aktuellen EDM seien Idioten, die die Clubkultur zur Sau machen würden – so lässt sich Troxlers Tirade inhaltlich nur unwesentlich verkürzt zusammenfassen.

„DJ und Produzent“, das sollte man an dieser Stelle noch anmerken, ist die Standard-Berufsbezeichnung für alle, die im internationalen EDM-Geschäft als „Artist“ mitmischen. Gemeinhin bedeutet das, dass jemand, der sich als DJ ein paar Meriten verdient hat, nicht umhin kommt, selbst Musik zu produzieren. Das ist vielleicht sogar echtes künstlerisches Bedürfnis, immer jedoch auch eine geschäftliche Notwendigkeit. Eigene Stücke dienen als Relevanz-Nachweis und Bewerbungsmappe für Veranstalter. Wer keine vorweisen kann, wird außerhalb des eigenen Umfelds schlicht nicht wahrgenommen, also nicht gebucht. Wer es dagegen schafft, in seiner jeweiligen Liga einen echten Hit zu landen, hat den Jackpot gezogen und braucht sich über seine nähere Zukunft keine Sorgen mehr machen – weniger wegen der Erlöse des Tracks an sich, sondern der darauf basierenden DJ-Bookings und dem durch die Bekanntheit beim Publikum in Richtung „Headliner“ gepimpten Status.

Ein offenes Geheimnis dabei ist, dass sich etliche der ganz großen der Zunft ihre Tracks von Ghostproducer-Teams zimmern und nur noch den eigenen Namen draufkleben lassen. Wer genau hinschaut, kann das oft in den Urheber-Credits erkennen, die neben dem Star noch weitere, in der Regel nur Insidern bekannte, Komponisten ausweisen. Für Troxler gilt das nicht, er zählt zu den auch in ernsthafteren Szenekreisen geschätzten Musikern mit gewissem künstlerischen Grundanspruch. Auf den großen Festivals, wo die großen Schecks gereicht werden, ist er trotzdem unterwegs. Nur halt nicht so gern. Sagt er. Und zwar ausgerechnet in Vice, jenem Medium, das bekannt dafür ist, so etwas wie das Sprachrohr der EDM-Generation zu sein und gern jede noch so groteske Szene-Geschmacklosigkeit in dürftiger Sprache salonfähig zu machen. Sich dort zu beschweren, ist so ungefähr, als ob man sich im Rolling Stone über Alte-Männer-Musik aufregt oder in der Bild über den Niedergang der Persönlichkeitsrechte. Vor allem aber: News-Wert hat das schon seit 50 Jahren nicht mehr, es ist der altbekannte Kreislauf aus Underground und Mainstream-Ripoff, bei dem naturgemäß die „authentische“ Ursprungskultur auf der Strecke bleibt. Selbst in der Dance-Kultur gibt es schon mehrere Inkarnationen davon: von der Disco-Ära bis zum brutalen Love Parade-Ausverkauf. Die Lösung ist immer gleich und kommt immer von selbst: Irgendwann stirbt der Hype und damit das Geschäft. Dann kann es von vorn losgehen.

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