You Can’t Fix This

Ton & Text Mit „Sound City“ dokumentiert Dave Grohl die Geschichte eines legendären Studios – und eine fast unwiederbringliche Ära der „handgemachten“ Analog-Musik
Chris Goss, James Brown, Dave Grohl, Taylor Hawkins
Chris Goss, James Brown, Dave Grohl, Taylor Hawkins

Foto: Sami Ansari

„That board totally changed my life!“, sagt Dave Grohl irgendwann und er meint das wirklich ernst. „That board“ ist ein Neve 8028 Mischpult, ein meterlanges Analog-Monstrum mit schier unendlich vielen Knöpfen, Schaltern und Schiebereglern, eine gute halbe Tonne schwer. Seit gut einem Jahr steht es in Grohls eigenem Studio 606, es ist das Stammstudio seiner Band Foo Fighters. 1991 war dieses Mischpult das Herz des Sound City-Studios in Los Angeles, gut zwei Wochen haben dort Nirvana gebraucht, um ihr Album „Nevermind“ aufzunehmen.

„Real To Reel“ heißt das Album zu Dave Grohls erstem Film „Sound City“, „das Echte auf’s Band“ also, und man merkt dieser Dokumentation in jeder Minute an, wie viel Herzblut nicht nur Dave Grohl an dieses Stück Aufnahmetechnik vergossen hat. Es ist frappierend, wie viele Alben mit diesem Pult aufgenommen wurden, die Meilensteine der Rockgeschichte sind. Man kommt gar nicht hinterher bei all den großen Namen. Zack, zack, zack, sitzen sie da und erzählen aus einer Rock’n’Roll-Welt, die es heute so nicht mehr gibt – Neil Young, Mick Fleetwood, Stevie Nicks, REO Speedwagon, Lee Ving von Fear, Tom Petty, Rick Springfield, Rage Against The Machine, Josh Homme, Rick Rubin, Trent Reznor … Und natürlich immer wieder Dave Grohl. Wie ein Kind zu Weihnachten sitzt er da, mit leuchtenden Augen und verklärtem Lächeln, als der legendäre Audiotechnik-Bauer Rupert Neve ihm von Transistoren und Verdrahtungen seines Mischpultes erzählt.

„Es war ein Drecksloch“, sagt Kevin Cronin von REO Speedwagon gleich am Anfang zum Sound City Studio. Das ist in einem unscheinbaren Gebäude in Van Nuys untergebracht, einem dieser Teile von Los Angeles mit unendlich vielen billigen Einfamilienhäusern. Gleich nebenan liegt die Budweiser-Brauerei, oft stinkt es bestialisch nach Maische. „Ass ugly“ nennt Rick Springfield diesen Ort, in dem er zum amerikanischen Superstar gemacht wurde. So richtig begonnen hat die nach heutigen Zyklen-Maßstäben unglaubliche 40-Jahre-Geschichte des Studios am 28. Juni 1972, als Studiobesitzer Joe Gottfried das Neve-Pult bestellt. 75.175 Dollar kostet es, ungefähr das Doppelte eines kleinen Hauses; seine Frau hätte ihn umgebracht, hätte sie das gewusst, erzählt er später. Die noch bettelarmen Stevie Nicks und Lindsey Buckingham hängen in diesen Tagen oft dort herum. Wenn Luft ist, nehmen sie ihr gemeinsames Album auf, es erntet gute Kritiken und verkauft sich praktisch gar nicht. Die Aufnahmen spielt man Leuten vor, die sich das Studio mal anschauen wollen. Leuten wie Mick Fleetwood, der sich später an Buckinghams exzellentes Gitarrenspiel erinnert, als seine Band Fleetwood Mac einen neuen Gitarristen braucht. Buckingham aber gibt’s nur im Doppelpack mit Freundin Nicks. Das Album, das diese neuen Fleetwood Mac 1975 aufnehmen, ändert alles. Für die Band und das Studio. Irgendwann kommt der Millionen-Scheck von der Plattenfirma und die Telefone hören nicht mehr auf zu klingeln. Es ist einer dieser Sound City-Schlüsselmomente, von dem es aller paar Jahre einen gibt. Der letzte ist eben Nirvanas „Nevermind“.

Da ist das analoge Aufnehmen schon eine Art Auslaufmodell. Aus dem anfangs noch obskur anmutenden Arbeiten mit Computern – dem unbeholfenen Interface, den unglaublich langen Rendering-Zeiten für jeden Effekt – wurde innerhalb von einer Dekade der Regelfall. Es ist eine Entwicklung, die unumkehrbar ist, vor allem, seit es Pro Tools gibt, bis heute das dominierende Standardprogramm für digitales Aufnehmen. Ab 700 Dollar ist es heute erhältlich, man braucht nicht viel mehr als diese Software auf einem gängigen Laptop, um nach heutigen Maßstäben professionelle Musikproduktionen abwickeln zu können. Die Kapitulation des mühsamen, experimentellen Analog-Systems mit seinem Handwerks-Ethos vor und hinter der Glasscheibe war nur eine Frage der Zeit. 2011 ist es dann soweit. Sound City wird aufgelöst, ein Mikrokosmos Musikgeschichte beendet.

„You can’t fix this“ singt Stevie Nicks denn auch später. Das Mischpult steht inzwischen bei Dave Grohl, der sich etliche der alten Helden eingeladen hat, um sein ganz persönliches Reenactment zu veranstalten. Auch das dokumentiert „Sound City“, es sind die zwiespältigen letzten 40 Minuten des Films, in denen die Zeit zurück gedreht wird in eine Ära der „handgemachten“ Musik, analog gemischt und auf irre nostalgisch anmutenden 2-Zoll-Bändern mit 24 Spuren mitgeschnitten. „Echte“ Musiker sind hier zu Gange, daran gibt es keinen Zweifel, sie werfen sich im Studio die Ideen zu, brauchen, so der Eindruck, nur ein paar Takes, um dann live die Stücke – nun ja – zu rocken. Es macht Spaß, diesen Musikern zuzuschauen und es ist wahrscheinlich auch für Beatles-Verehrer Grohl selbst ein unwirklich großartiger Moment, wenn er mit seinen Foo Fighters die Backing-Band für Paul McCartney gibt, der sich für ein bisschen Herumalberei in diesem Musiker-Männerbund nicht zu schade ist.

„Sound City“, das dabei eingespielte Album, ist eine deutlich gut gelaunte, allerdings in sich selbstverständlich melancholisch durchhauchte Reminiszenz an die „guten alten Tage“, als Musik noch von „Bands“ gemacht wurde, die in wochenlanger Studioarbeit aufeinander hockten. Musik, die nicht für Handylautsprecher soundoptimiert wurde und auch nichts ist für den Kopfhörer unterwegs. Zu rockistisch, zu dickeierig mutet das an. Es ist Musik, die – und das ist dann ja auch konsequent – tatsächlich nur über Körperlichkeit, über eine Anlage funktioniert. Wenn die Musik einen Raum füllt, wenn sie durch Lautsprecher läuft, so laut, wie es nur geht. Nur dann funktioniert diese Oldschool-Musik, die schon ihres Produktionsaufwandes wegen zum Aussterben verurteilt ist. Josh Homme fasst das Arbeits-Credo der Ära ganz gut zusammen: „Es war etwas, was du tun musstest, wenn du ein echter Musiker sein wolltest.“ Die Gegenwart gehört anderen. In einer kurzen Sequenz sieht man Skrillex. Der ist der amerikanische Erfolgs-Prototyp aktuellen Musikmachens. Dafür braucht es nur einen Laptop.

"Sound City", die DVD, erscheint am 22. März 2013.

"Sound City – Real To Reel", das Album, ist seit 8. März 2013 erhältlich.

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