Am Ende sitzt Llewyn Davis in der Gasse hinter dem Club, in dem er eben aufgetreten ist, zusammengeschlagen und blutend, während drin ein junger Sänger eben jenen Song singt, mit dem er sich gerade vom Publikum verabschiedet hat. Er sei ein Freund von ihm, hatte der erzählt, um den Auftritt zu bekommen. Es ist unverkennbar Bob Dylan. New York City, Greenwich Village, die Sechziger haben gerade begonnen.
„Fare thee well, my honey, fare thee well“ heißt es in „Dink’s Song“, er ist das musikalische Leitmotiv des jüngsten Films der Coen Brothers, die schon immer besonderen Wert auf ihre erlesenen Soundtracks legten und mit T Bone Burnett jenen Mann dafür verpflichteten, der den Sinn und das Händchen dafür hat. Ausgetobt hat Burnett sich gerade auch bei der spektakulär guten Musikauswahl der eben gestarteten Louisiana-Hillbilly-Höllen-Krimiserie „True Detective“. Man kommt schnell ins Abschweifen, wenn man anfängt über amerikanischen Folk nachzudenken. Llewyn Davis jedenfalls ist das filmische Alter Ego von Dave Van Ronk, jenem legendären Loser der Greenwich-Village-Szene, der eben auch für seine Interpretation von „Fare Thee Well“ zumindest Eingeweihten bekannt ist. Mit Pete Seeger hat das erstmal nichts zu tun. Und doch alles.
Es sind gute Zeiten für Folk. Am eher zufällig agierenden Prinzip des zyklischen Trends in der Popmusik mag das liegen. Vielleicht auch, weil vielen während der grassierenden Retromania Folk noch als am meisten „authentisch“ gilt. Oder daran, dass es in Musiker-Krisenzeiten deutlich billiger ist, mit einer Gitarre allein auf der Bühne zu stehen und einfache Songs zu singen, als mit einer ganzen Band. Oder auch daran, dass 25 Jahre nach Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus tatsächlich alles noch viel schlimmer geworden ist. Viel deprimierender, viel auswegloser. Gute Zeiten für traurige Songs, könnte man meinen. Für Pete Seeger galt das nie.
„You're never too old to change the world“ heißt es am Ende seiner Version von „Forever Young“, eingespielt hat Seeger dieses Bob Dylan-Cover vor zwei Jahren für einen Sampler zum 50. Geburtstag von Amnesty International. Über 90 war er da schon und immer noch auf der Straße zu treffen, bei denen, die protestierten, diesmal bei den „Occupy Wall Street“-Aktivisten. 2009 sang er mit Bruce Springsteen auf der Feier zur ersten Amtseinführung von Barack Obama vor einer halben Million Menschen „This Land Is Your Land“, jenen zweitberühmtesten Song der Folkgeschichte, der für immer mit dem Namen Woody Guthrie verbunden bleibt. Den berühmtesten hat er selbst geschrieben: „Where Have All The Flowers Gone“, 1955 war das, während der McCarthy-Ära. Seeger stand als vormaliges Mitglied der Kommunistischen Partei auf der Schwarzen Liste des Ausschusses für unamerikanische Aktivitäten, einem Berufsverbot kam das gleich. Unzählige Versionen gibt es davon, natürlich auch eine mit Bob Dylan, mit dem ihn ganz eigene Geschichten verbinden. Am berühmtesten ist jene vom Newport Folk Festival 1965, als Bob Dylan seine elektrische Gitarre einstöpselte. Ein Tabubruch, den der wutschnaubende Seeger am liebsten mit einer Axt beendet hätte.
Dabei war er seit den Tagen Woody Guthries, dessen Zeitgenosse er ist. Man kann sich das kaum noch vergegenwärtigen heute. 1967 erschien sein erstes Best-Of-Album, natürlich auf Columbia Records, jenem Label, das auch Dylan veröffentlichte. Selbst da war er fast schon 50, im selben Jahr fand mit Monterey Pop das erste der großen Flower-Power-Festivals statt, starb Woody Guthrie – und fiel Seeger erstmals jenseits des Eisernen Vorhangs in Ungnade, weil das 11. Plenum die führende Rolle der Arbeiter- und Bauernpartei ab sofort ohne kulturelle Schützenhilfe aus dem Westen durchzusetzen gedachte. Es war der Beginn der Rock’n’Roll-Eiszeit in der DDR. Seeger allerdings wurde bald wieder begnadigt, immerhin kam er ohne die von Ulbricht angeprangerte „Monotonie des Yeah Yeah Yeah und wie das alles heißt“ aus. „Guantanamera“ sang Seeger gar gemeinsam mit dem Oktoberklub. Der war die musikalisch bis heute beeindruckende aber ideologisch beinhart gefestigte Speerspitze der neuen Linie, die sich später ausführlich beim Festival des Politischen Liedes begutachten ließ. Auf Solidarität mit den – vom Imperialismus, versteht sich – Unterdrückten konnte man sich einigen. Nur ein kleiner Schritt war es für die Singegruppe in der Hootenanny-Tradition von „Which Side Are You On“, dem Bergarbeiterstreik-Klassiker der Dreißiger, denn auch bis zur gnadenlosen Klassenstandpunkts-Gewissensfrage „Sag mir wo du stehst“. Wie man aber den offiziellen Bann eines politischen Systems aushebeln kann, zeigten Seeger während der McCarthy-Zeit und die DDR-Undergroundszene auf verblüffend vergleichbare Art: durch Auftritte in Kirchen oder auf „Privatfeiern“.
Nicht viel mehr als ein Banjo und ein Mikrofon hat Pete Seeger Zeit seines Lebens benötigt, um buchstäblich die Massen mitzureißen. Gemeinsam mit Woody Guthrie zählt er zu den wichtigsten Einflüssen eben jener Greenwich-Village-Musiker-Generation, die wiederum vielleicht wichtigster Ausgangspunkt der heute geltenden Populärmusik-Kultur der USA sind, eine Verkörperung der besten Seiten eines tief gespaltenen Landes. Entdeckt wurde „Dink’s Song“ vom Folk-Ethnologen Alan Lomax. So richtig bekannt gemacht hat ihn Pete Seeger. Am 27. Januar, mit 94 Jahren, ist er in New York City gestorben. Fare thee well, my honey, fare thee well.
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