Wer heute an der Börse Geld verdienen will, für den sind Kenntnisse der Fusionsstrategien wichtiger als Marktentwicklung oder Gewinnprognosen. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht Megafusionen ganze Branchen verändern, neue Konzerne entstehen und traditionsreiche Namen verschwinden. Allein 1998 wurden weltweit Unternehmenskäufe im Wert von 2,1 Billionen Dollar getätigt, sechsmal mehr als 1992. Es besteht kein Zweifel: Wir befinden uns mitten in einer Fusionswelle, die völlig neue wirtschaftliche Strukturen schafft und dabei ist, die Entwicklungsbedingungen des Kapitalismus zu verändern.
Obwohl die Realität der Megafusionen unübersehbar ist, tun sich Beobachter und auch die Politik schwer, dies theoretisch einzuordnen und angemessene Antworten
Antworten zu finden. Während überall die Förderung des Mittelstandes als angeblich dynamisches Moment des Kapitalismus gefordert wird, haben die Fusionsstrategen praktisch freie Hand. Dabei sind es die Megakonzerne, welche den Mittelständlern die Konditionen diktieren. Fusionskontrolle und Wettbewerbsrecht - ehemals Säulen der Ordnungspolitik in der sozialen Marktwirtschaft - haben faktisch kapituliert.Den Ursachen und Folgen der Fusionen widmet sich ein gerade erschienenes Schwerpunktheft der Frankfurter sozialwissenschaftlichen Zeitschrift Z - Zeitschrift Marxistische Erneuerung. Die Beiträge zum Thema verdienen besondere Aufmerksamkeit, weil sowohl empirische Einzelfallanalysen (Automobil, Finanzsektor, Kommunikationstechnologien, Medienwirtschaft) als auch theoretische Einordnungen versucht werden.Schon bei der Beschreibung ist sehr genau hinzusehen. Unstrittig ist, dass die Internationalisierung der allgemeine Hintergrund der Fusionswelle ist. Dennoch fällt auf, dass sich die gro¯e Mehrheit der Unternehmenszusammenschlüsse nach wie vor im nationalen Rahmen vollzieht. Internationale Fusionen und die Herausbildung wirklich multinationaler Konzerne (nach dem Muster von Daimler-Chrysler) nehmen zweifellos an Bedeutung zu, sind aber noch nicht typisch für den aktuellen Konzentrationsprozess.Im übrigen werden die Wechselwirkung zwischen Ökonomie und Politik und damit die nach wie vor bestehende Gestaltungsmöglichkeit der Politik deutlich. Dem Argument, die Globalisierung lasse sich kaum noch steuern, muss entgegengehalten werden, dass die aktuell ablaufende Fusionswelle die Folge politischer Entscheidungen zur Marktöffnung und Deregulierung ist. Besonders deutlich kann dies auf dem Gebiet der Kommunikationstechnologien verfolgt werden: »Die Deregulierung war und ist also vor allem eine Chance für die Kapitale, die in anderen Branchen ... enorme Profite aufgehäuft haben und nun nach Anlagemöglichkeiten suchen«, betont die Fallstudie zur Telekommunikation (Wolfgang Müller). Und es ist die Entscheidung der Politik, den Fusionen freie Hand zu lassen.Dies führt zu einer weiteren Fragestellung des Heftes: Was sind die Motive und die Ziele beim Umbau der Konzernstrukturen, ein Prozess, der von einigen Autoren als qualitativer Einschnitt in der Entwicklung des Kapitalismus gesehen wird? Ein wichtiges Motiv ist zunächst das Vorhandensein eines relativen Kapitalüberschusses in den Konzernen, für den neue, profitable Anlagesphären gesucht werden. Die politisch gewünschte und geförderte Umverteilung ist ein aktiver Beitrag, um die nationalen Gro¯unternehmen fit für den Weltmarkt zu machen. So können die Fusionen heute ganz überwiegend ohne Rückgriff auf Kredite, aus angesammelten Reserven und aus mobilisiertem Eigenkapital, finanziert werden.Nur in einigen Fällen - besonders im Finanzsektor - ist die Steigerung des Aktienwerts des Unternehmens das unmittelbare Ziel von Zusammenschlüssen: »Die Orientierung auf schnelle Profite und shareholder-value, die durch institutionelle Anleger ausgegeben wird, kümmert sich nicht um solide Langfristperspektiven, sondern setzt auf schnelle Angriffe, Hochpuschen und schnellen Rückzug, ehe das Gebäude zusammenkracht.« (Jörg Huffschmid)Bei den meisten Fusionen geht es allerdings durchaus um Langfristperspektiven, also um die umfassende Beherrschung jener Faktoren, welche die Position auf den jeweiligen Märkten bestimmen. So haben die Megafusionen in der Automobilindustrie das Ziel, Modellpaletten zu vervollständigen, Synergieeffekte in der Forschung zu erzeugen, Grö¯envorteile zu nutzen. Das Übernahmefieber im Automobilbereich folgt »produktionstechnischen« Absichten (Dietmar Düe). Ähnlich verhält es sich bei den Informations- und Kommunikationstechnologien, wo der »Zwang zur betriebswirtschaftlichen Grö¯e« und das Streben nach Monopolstellungen auf den Märkten Hauptmotive sind. Auch die vieldiskutierte Neugliederung des Hoechst-Konzerns ist Ausdruck des Bestrebens, auf den Wachstumsmärkten Pharma und Ernährung dominierende Positionen aufzubauen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die aktuelle Fusionswelle vor allem als produktions- und marktbestimmte Anpassungsstrategie der Unternehmen an die Internationalisierung, Deregulierung und Privatisierung der Märkte. Dabei ist Grö¯e durchaus kein Selbstzweck: Das in verschiedenen Branchen aktive Konglomerat ist vielmehr auf dem Rückzug - die Risikostreuung erfolgt heute über Aktienfonds und die Börse.Was kann Politik in diesem Umfeld bewirken? Die klassische Wettbewerbs- und Anti-Kartellpolitik spielt kaum noch eine Rolle. »Wenn also die Märkte gro¯ genug sind, und wir reden hier nicht mehr über nationale Märkte, muss man den Unternehmen Unternehmensgrö¯en zubilligen, die diesen Dimensionen entsprechen«, meint etwa der Leiter des Bundeskartellamtes Wolf. Einzugreifen sei erst dann, wenn auf den globalen Märkten marktbeherrschende Stellungen entstünden. Dies zeigt die Untauglichkeit eines Monopolbegriffs, der sich allein von den Absatzmärkten her definiert. Da es heute faktisch nur noch globale Märkte gibt, erscheint die Reduktion der Zahl der Anbieter auf weltweit weniger als ein Dutzend je Markt wettbewerbspolitisch unbedenklich. Das Problem ist nur: Während sich die Ökonomie internationalisiert, bleibt die Politik national. Die Zahl der Nationalstaaten nimmt eher zu, während die Zahl der dominierenden Konzerne sinkt.Illustriert wird dies durch den bekannten Vergleich zwischen dem Umsatz von Weltkonzernen und dem Sozialprodukt von Ländern: Der jüngste Bericht der UN über die menschliche Entwicklung weist darauf hin, dass die »Wirtschaftsmacht« zahlreicher Global Players inzwischen grö¯er ist als das Sozialprodukt selbst entwickelter Industrieländer. Einerseits ist die Politik weiterhin bestrebt, die Fusion der nationalen Unternehmen zu Global Players zu fördern (als Indikator für den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes), andererseits wird sie damit zum Spielball weniger Multis. Schon heute stehen weltweit circa 100 Länder als faktische oder potentielle Standorte einem runden Dutzend von Automobilkonzernen gegenüber: Es liegt auf der Hand, dass eine erfolgreiche nationale Standortpolitik (nur dies legitimiert Regierungen) unter diesen Bedingungen nicht gegen die Interessen der Autokonzerne funktioniert.Sicherlich ist heute die blo¯e Grö¯e nicht mehr das Hauptziel. Die Megafusionen müssen mit attraktiven Renditen einhergehen. Nur wenn der Shareholder Value stimmt, ist die Mobilisierung von neuem Eigenkapital möglich. Das hei¯t aber nicht, dass »die Frage der Machtzusammenballung eine untergeordnete Rolle spielt«, wie Joachim Bischoff in seinem Beitrag meint. Die gro¯e Mehrheit der Megafusionen ist motiviert durch das Ziel, produktions- und markttechnische Machtpositionen aufzubauen und die Gesamtheit der Reproduktionsbedingungen zu beherrschen. Dazu gehört selbstverständlich auch das gesamte Feld der Politik: Steuern und Infrastrukturen, Forschung und Qualifizierung, soziale und ökologische Standards. Hier mitzumischen, begreifen Gro¯konzerne längst als ihr natürliches Recht.Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Heft 39/1999, 236 Seiten
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