Gedenken an Robert Katzenstein

Beitrag zur Erklärung des "joblosen" Wachstums Der technische Fortschritt setzt nicht bloß lebendige Arbeit, sondern auch Investitionskapital frei

Der am 30. Juli im 79. Lebensjahr verstorbene marxistische Wirtschaftswissenschaftler hinterlässt ein schmales, aber inhaltsreiches Lebenswerk. In Westberlin lebend, arbeitete er zunächst (bis 1970) an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Nach 1970 war er als Lehrbeauftragter an der FU Berlin tätig. Der in Kreisen linker und marxistischer Ökonomen durchaus bekannte Forscher ließ sich in kein Schema einordnen. Seine Arbeiten wurden sowohl in der DDR als auch in Westdeutschland rezipiert, wobei er im Westen unter anderem durch seine Interventionen in der "Stamokap-Debatte" der siebziger Jahre bekannt wurde. Seine öffentlichen und publizistischen Aktivitäten blieben leider zunehmend begrenzt, musste er sich doch jeden Artikel, jeden Vortrag, jede Konferenzteilnahme gegen eine schwere Krankheit und Behinderung erkämpfen. Das tat er wie selbstverständlich, mit einer ungeheuren Energie und Lebenskraft.

Im Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit standen lebenslang die Wirkungen des technischen Fortschritts. In einem Aufsatz aus dem Jahr 1997 (Utopie konkret, Heft 83) vertritt er die Ansicht, dass "die mit dem technischen Fortschritt verbundenen sozialen Probleme ... eine der wesentlichen Ursachen für das Scheitern des Frühsozialismus" gewesen seien. Weder Kapitalismus noch "Frühsozialismus" hätten die Fähgkeit besessen, die Möglichkeiten des technischen Fortschritts auszuschöpfen, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Als Beitrag zur aktuellen Sozialismusdebatte kann folgende Feststellung gelten: "Die frühsozialistischen Erfahrungen legen nahe, dass die Zielstellung gesellschaftlicher Veränderungen nur die soziale Gestaltung der Entwicklung sein kann und muss, nicht die Veränderung der Eigentumsverhältnisse." Deren Veränderung könne als "abhängige Variable" erst am Ende dieses Prozesses stehen.

Seine wichtigste wissenschaftliche Leistung aber ist ein originärer Beitrag zur Erklärung von Dauerarbeitslosigkeit und Stagnation im entwickelten Kapitalismus. Ausgehend von der Rolle profitgesteuerter Investitionen als Triebkraft von Wirtschaftswachstum hat er als einer der Ersten gesehen, dass der auf Informationsverarbeitung basierende Typ des technischen Fortschritts nicht bloß lebendige Arbeit, sondern auch fixes Kapital (Investitionskapital) freisetzt. Hier ist seine Arbeit Technischer Fortschritt - Kapitalbewegung - Kapitalfixierung aus dem Jahre 1970 wegweisend. Damals war erst in Ansätzen sichtbar, dass der technische Fortschritt eben nicht mehr quasi automatisch dafür sorgt, dass die in alten Industrien "freigesetzten" Arbeitskräfte in neue Sektoren integriert werden. In Anknüpfung an Überlegungen der Marx´schen Grundrisse befasste sich Katzenstein mit der "Ökonomie des fixen Kapitals", die er als eine der wichtigsten Folgen des neuen Typs des technischen Fortschritts erkannt hatte. Dieser führe nicht nur zur Einsparung von lebendiger Arbeit, sondern auch von fixem Kapital, das heißt, es steigen sowohl Arbeitsproduktivität als auch Kapitalproduktivität.

Diesen Prozess können wir heute anhand täglicher Unternehmensmeldungen verfolgen - selbst die modernsten Industriezweige bauen Arbeitsplätze ab ohne eine Erhöhung der Investitionsquoten; hohe und steigende Gewinne werden nicht mehr zur Finanzierung von Realinvestitionen benötigt, sondern suchen und finden Anlagemöglichkeiten an den expandierenden Finanzmärkten, die nur sehr lose mit der Produktion verbunden sind. Dieses Missverhältnis zwischen Unternehmensgewinnen und Investitionen (Ausdruck der von Katzenstein analysierten Ökonomie des fixen Kapitals) wurde jüngst sogar vom Internationalen Währungsfonds als wichtiger Risikofaktor der Weltwirtschaft erkannt.

Katzenstein war damit einer der ersten kapitalismuskritischen Ökonomen, der die Ursachen des "joblosen" Wachstums in den neuen, arbeits- und kapitalsparenden Eigenschaften des technischen Fortschritts der Gegenwart offen gelegt hat. Dies war und bleibt seine große wissenschaftliche Leistung.


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