Erich von Däniken

Lesen Was waren die Bestseller im Jahr 1968? Und was verraten sie uns über die damalige Zeit?
Ausgabe 11/2018
Erich von  Däniken

Illustration: Jonas Hasselmann für der Freitag, Material: Zocha_K + Ninell_ART/iStock

Der Siegeszug der Bestsellerlisten hat viel mit dem Jahr 1968 zu tun. Ein Impuls der Studentenbewegung lag darin, sich von der bürgerlichen Hochkultur zugunsten von Pop- und Massenphänomenen zu verabschieden. Als die Zeit 1957 so etwas wie ein Interesse an Marktvorgängen demonstrierte und einen „Seller-Teller“ einrichtete – fünf Spitzentitel, die eher auf Empfehlungen von ausgesuchten Buchhändlern denn auf Verkaufszahlen beruhten –, war die Empörung groß. Eine Bestsellerliste galt als Sündenfall des Geistes in den Markt, als Teufelszeug.

Die Bestsellerliste, die der Spiegel im Herbst 1961 etablierte, wirkte dann schon weniger skandalös und entwickelte sich rasch zu einer Institution. Jüngsten Meldungen zufolge hätte der Spiegel heute sogar gerne Geld für den Aufkleber „Spiegel-Bestseller“, mit dem Verlage ihre erfolgreichen Titel garnieren. Das Nachrichtenmagazin möchte also seine Erfolgsgratifikation. Ein Platz auf der Bestsellerliste ist schließlich nicht nur Abbildung des Bucherfolgs, sondern erzeugt ihn auch: Vorzugsweise wird gekauft, was auf der Liste und in den Bestsellerregalen der Buchhandlungen steht. Erfolg ist die Bedingung des Erfolgs.

Doch erst nach 1968 wurde aus den Bestsellerlisten so etwas wie ein Erkenntnisinstrument. Mit dem Interesse für Massenpsychologie und -konsum wurden sie zum Forschungsgegenstand der Germanistik. Am Geschmack der großen Leserschaft ließ sich die Stimmung im Land ablesen. Allerdings geschah das unter den Vorgaben der Ideologiekritik: oft schlecht gelaunt und besserwisserisch. 1968 hatte also durchaus Konsequenzen: Der Blick auf den Markt veränderte sich.

Erstaunlich, dass die Studentenbewegung auf den Bestsellerlisten selbst kaum Spuren hinterlassen hat. Sie war offenbar weit weniger massenwirksam, als im Nachhinein angenommen wurde. Lediglich das von Rudi Dutschke, Bernd Rabehl und anderen herausgegebene rororo-aktuell-Bändchen Rebellion der Studenten kam mit 170.000 Exemplaren auf Platz 7 der erfolgreichsten Sachbücher des Jahres. Ansonsten ist zum Ende des Jahrzehnts hin eher eine Entpolitisierung zu verzeichnen. In der ersten Hälfte der 60er Jahre dominierten noch Bücher von Politikern, die für Recht und Ordnung und Normalität standen, allen voran die Erinnerungen von Theodor Heuss und von Konrad Adenauer. Mit ihnen ging die Wirtschaftswunder-Ära zu Ende, ehe Karl Jaspers 1966 mit der Frage „Wohin treibt die Bundesrepublik?“ den Spitzenplatz unter den Sachbüchern eroberte und eine heftige Debatte um den Zustand der Demokratie auslöste.

Morgens um sieben

1968 war der englische Humorist Eric Malpass mit seinem harmlosen Familienidyll Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung der meistverkaufte Roman, während bei den Sachbüchern der Fantast Erich von Däniken zum Siegeszug ansetzte und 1969 den Spitzenplatz eroberte. Mitscherlichs Die Unfähigkeit zu trauern (Sachbuch, Platz 4) widmete sich der deutschen Psyche nach Auschwitz, fürs Gemüt war Johannes Mario Simmel (Belletristik, Platz 4) zuständig, für sexuelle Freizügigkeit Henry Miller (Belletristik, Platz, 9). Amerika war in Thornton Wilders Familiensaga Der achte Schöpfungstag aufgehoben (Belletristik, Platz 2), während Jean-Jacques Servan-Schreiber Die amerikanische Herausforderung beschwor – oder vielmehr die europäische Lethargie beklagte (Sachbuch, Platz 1). Ergibt sich aus all dem eine spezifische 68er-Mischung? Durchaus. Aber eben nicht studentenbewegt, sondern stimmungsgetragen. Libertinage, Amerika-Skepsis und deutsche Vergangenheitspolitik waren die virulenten Elemente.

Wenn die 68er von ihren Vätern forderten, das Schweigen über die Zeit des Nationalsozialismus zu brechen (ein Schweigen, das es von Kogons SS-Staat 1946 über Grass’ Blechtrommel von 1959 bis zu Peter Weiss’ Dokumentarstück Die Ermittlung 1965 nie gegeben hat), schien jetzt ausgerechnet Hitlers Stellvertreter Albert Speer dem Imperativ des Erinnerns Folge zu leisten, der die Entlassung aus der Haft in Spandau mit seinen dort entstandenen Erinnerungen zelebrierte. Und Siegfried Lenz legte mit der Deutschstunde einen epochalen Roman vor (1968 Platz 5, 1969 Platz 1). Es war die Generation der Väter, die sich in Sachen Vergangenheit zu Wort meldete. Dass Speer weniger der biografischen Wahrheit als der Selbstverschönerung verpflichtet war, stellte sich erst später heraus.

„Sie haben mir eine Strafarbeit gegeben“, lautet der berühmte erste Satz der Deutschstunde, mit dem Siggi Jepsen in einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche seine Arbeit über die „Freuden der Pflicht“ beginnt. Das Thema schien ihm zu reichhaltig, um es in einem Aufsatz kurz abhandeln zu können. Keinen Anfang zu finden, ist jedoch ein strafwürdiges Delikt. Er wird eingesperrt, damit er Zeit und Muße hat zum Schreiben. So wächst sich im Lauf von Wochen zum Roman aus, was bloßer Aufsatz nicht hatte werden können. Es ist die Geschichte von Siggis Vater Jens Ole Jepsen, Dorfpolizist im schleswig-holsteinischen Örtchen Rugbüll, der 1943 dem Maler Max Nansen ein Malverbot überbringen und es dann auch überwachen muss.

Auffallend, dass der im September 1968 erschienene Roman den Generationenkonflikt in der Rahmenhandlung aufnimmt. Siggi Jepsen sitzt ja quasi stellvertretend in Haft und leistet schreibend die Erinnerungsarbeit, die die Studentenbewegung von der Vätergeneration einforderte. Lenz, Jahrgang 1926, gehörte zwar noch zur Generation der Kriegsteilnehmer, sympathisierte aber mit dem Blick des unschuldigen Kindes, als das Siggi die Geschichte miterlebt hat. Es ist die bewährte Kombination aus Rückschau und kindlichem Helden mit Vaterkonflikt, wie sie auch Günter Grass circa zehn Jahre vor Lenz in der Blechtrommel angewandt hat.

1968 muss die behäbige Schreibweise von Siegfried Lenz forciert unzeitgemäß gewirkt haben. Aber gerade diese konservativ anmutende, gepflegte Unaufgeregtheit mochte die große Lenz-Leserschaft. Die Deutschstunde verarbeitete die Themen der Zeit – die NS-Vergangenheit und den Generationenkonflikt – in einem zeitlosen Gewand. Das mochte konservativ erscheinen, doch Lenz war in seiner Urteilszurückhaltung seiner Zeit weit voraus, die in ideologischen Gewissheiten, destruktiver Kritik und Selbstüberhebung versackte. Lenz machte schweigende Menschen sprechend, machte ihre Konflikte deutlich und zeigte, wo das Verhängnis beginnt.

Die Zukunft aber begann 1968 mit dem Astronautiker Erich von Däniken und dessen Erinnerungen an die Zukunft. Seine Formel „Der Krieg der Sterne fand schon in der Steinzeit statt“ verklammerte Zukunft und Frühgeschichte und präsentierte uns das Altertum als Science-Fiction. Die Kulturgeschichte der Menschheit bestand aus lauter Skizzen von Raumstationen, Raumschiffen und Astronauten, die auf der Erde gelandet und zu Göttern erklärt worden waren. Kunstwerke verwandelten sich in technische Zeichnungen, Bauwerke in Bodenstationen, und die Religion war der Versuch, überlegene Zivilisationen aus anderen Welten in die eigene, unbegriffene Wirklichkeit einzubauen.

Däniken markierte einen Umschlagspunkt in unserem Denken und Empfinden. In Bonn regierte die sozialliberale Koalition mit Willy Brandt als Bundeskanzler und nährte die Hoffnung, dass die Bundesrepublik vielleicht doch zur Demokratie geworden war. Kontinuität und Aufbruch, Rückbesinnung und Fantasie: Aus dieser Stimmungslage heraus setzte Däniken zu seiner Landung an. Er erfüllte geradezu mustergültig das Bestsellergesetz, an frühere Erfolge und damit an Bekanntes anzuschließen, es in der Wiederholung aber in etwas Neues, Aktualitätsgebundes zu verwandeln. Däniken knüpfte an die 50er Jahre mit C. W. Cerams archäologischer Vergangenheitskunde (Götter, Gräber und Gelehrte) und Werner Kellers materialistischer Bibelforschung an(Und die Bibel hat doch recht), versorgte uns mit glänzenden, technischen Göttern der Gegenwart in ihren Astronautenanzügen und wies voraus in die 70er und 80er Jahre mit ihrem Bedarf an fantastischen Gegenwelten – von Tolkien, dessen Herr der Ringe in Deutschland zwar 1969 erschien, aber erst 1980 auf Platz 1 landete, über Michael Ende und Umberto Eco bis zu den magischen Realisten Lateinamerikas.

Von Jörg Magenau ist eben der bei Hoffmann und Campe erschienen Bestseller: Bücher, die wir liebten – und was sie über uns verraten

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