"La Paloma" in Lahore

SPORTPLATZ Körperertüchtigung hat sehr viel mit Tugendhaftigkeit zu tun. Der Sport ist eine Anstalt zur moralischen Erziehung des Volkes. Das wusste man im ...

Körperertüchtigung hat sehr viel mit Tugendhaftigkeit zu tun. Der Sport ist eine Anstalt zur moralischen Erziehung des Volkes. Das wusste man im alten Rom so gut wie früher noch in Sparta, das wusste Turnvater Jahn, und man weiß es erneut nach dem vergangenen Wochenende. Wer gegen Disziplin und Ordnung verstößt, ist zu suspendieren (Mario Basler mit Gefährte Sven Scheuer), wer gegen das Reglement verstößt, ist zu disqualifizieren (Michael Schumacher mit Gefährte Eddie Irvine und Gefährt Ferrari). Es gibt eben Regeln im Leben, an die sich alle Mitspieler zu halten haben, wo kämen wir sonst hin.

In Baslers Fall applaudierten sogar die Fans der nach dem Spiel verkündeten kaiserlichen Bann-Bulle. Fans haben es gut: Mit der Bierdose in der Hand fordern sie vom Profi Weißbierenthaltsamkeit und sind, dumpf und dickbäuchig, immer im Recht. Schließlich verdient Basler geschätzte drei Millionen Mark jährlich, ein Gehalt, in dem auch ein wenig Tugendhaftigkeit und Leistungsbereitschaft inbegriffen sein sollte. Der Fußballprofi ist ja nicht nur Spieler, sondern Vorbild und Gegenbild eines besseren, asketischen und athletischen Lebens, zu dem der Fan selbst niemals in der Lage sein wird. Wer nachts um drei in Kneipen angetroffen wird, darf zwar im Fanclub sein, hat beim FC Bayern aber nichts verloren. So sprechen Kaiser und Volk unisono. Die Mannschaftskollegen haben den Sünder angeblich schon gar nicht mehr anschauen wollen, denn "der Mario hat sein Privatleben ja nie so im Griff gehabt, wie es sich für einen Profispieler gehört" (Uli Hoeneß). Fußball ist eben nicht nur auf dem Platz. Dazu gehört auch der mentale Bereich, der sich irgendwo "zwischen den Ohren" ereignet, der aber ausgreift und schließlich "das Leben" in gänze umfasst, das weite Feld der Moral, die Bereitschaft zur Unterordnung unter die militärische Befehlsgewalt der Wachhabenden. Erst dann wird aus dem Menschen der Profi, dessen körperliche Unversehrtheit durch den Trainer, dessen ökonomische Unversehrtheit durch den Manager zu überwachen ist.

Das ist eine sehr ernste Angelegenheit, denn Tugend hat auch etwas mit Geld zu tun. Im Fall Basler steht nicht nur die schlichte Rechnung Lohn gegen Leistung zur Disposition, sondern stattliche Ablösemillionen. Eine Verlängerung seines Vertrages beim FC Bayern, der bis Sommer 2000 läuft, hatte Basler abgelehnt und aus seiner Absicht, sich bis dahin einen neuen Verein zu suchen, kein Geheimnis gemacht. Basler könnte dann ablösefrei gehen. Die Suspendierung hat nun zur Folge, dass er entweder die verbleibende Zeit auf der Tribüne absitzen muss, oder aber jetzt schon gehen muss - vorausgesetzt er findet einen neuen Arbeitgeber, der bereit ist, ihn aus dem laufenden Vertrag herauszukaufen. Für den FC Bayern steckt in der Suspendierung also auch Kalkül. Basler hat allerdings postwendend angekündigt, lieber die verbleibende Zeit beleidigt abzusitzen. Sein Gehalt muss ihm der Verein ja weiter bezahlen, und Ablösegeld will er, der vor kurzem noch der "Super-Mario" war, den Bayern auf keinen Fall gönnen. In kindlichem Trotz reagiert er auf die väterliche Abstrafung und Verstoßung. So ähnlich geht es in jeder guten deutschen Familie zu, wenn Sohnemann der jugendliche Leichtsinn ausgetrieben werden muss. Da kann er bocken wie er will, am Ende wird doch aus jedem Söhnchen irgendwann einmal ein strafender Vater, der selbst auf Recht und Ordnung dringt.

Michael Schumacher wirkt neben Mario Basler wie ein frisch gekürter Heiliger. Vor wenigen Wochen küsste er dem Papst die Hände. Nun folgte in Malaysia, wo man scheinbar nichts anderes zu tun hat, als Rennstrecken zu bauen, die Wiederauferstehung als der Schnellste, "der Beste", als "unser Schumi". In Malaysia erlebte man die Wandlung des rabaukischen Egomaniak der Rennstrecke zum selbstlosen "Teamplayer", der Eddie Irvine den Sieg und damit vielleicht die Weltmeisterschaft schenkt, auf die er doch selbst so lange hingearbeitet hat. Dann aber "stürzte er aus dem siebten Himmel senkrecht ab" (FAZ) und wurde ans Kreuz der Disqualifikation geschlagen: Sogar den zugehörigen Nagel trägt Schumacher im Bein mit sich herum. Ergebnis des "größten Skandals" in der Geschichte der Formel 1: "Corinna tröstet Schumi auf der Insel" (BZ). Wenn das keine Geschichte ist, die einmal biblisch werden wird!

Dabei muss man, bei Lichte betrachtet, eigentlich zu dem Ergebnis kommen, dass es für "den Kerpener" besser gar nicht hätte laufen können. Jetzt ist er der Edelmann und Irvine trotzdem nicht erster Ferrari-Weltmeister seit über zwanzig Jahren. Verbockt haben es die Mechaniker, die entweder nicht bemerkten oder wissentlich in Kauf nahmen, dass ein seitliches Leitblech, das der Verbesserung der Aerodynamik dient, etwa einen Zentimeter zu weit vorstand. Der Vorteil, der daraus resultiert, ist zwar gering. Aber Regel ist Regel und Schlampigkeit ist Schlampigkeit. In diesem seltsamen Sport, bei dem man von Menschen nur Helm und Handschuhe, viel dagegen von Maschinen und Werbeaufschriften zu sehen bekommt, entspricht ein zu langes Blech einer Art unerlaubtem Doping. Schumachers edle Selbstlosigkeit hat damit einen Haken: Sie ist Makulatur, und das Rennen hätte man sich eigentlich sparen können. Aber Tugenddemonstrationen verfallen nicht wie Wertungspunkte nach der Disqualifikation. Manchmal gibt es eben doch das Richtige im Falschen.

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