Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Fußball findet ab sofort ohne mich statt. Samstags zumindest. Wenn ran läuft jedenfalls. Nicht genug damit, dass ran sich aus der Sommerpause mit vier Werbeblöcken zurückgemeldet hat und nicht davor zurückschreckt, noch die kürzeste Zusammenfassung in der sogenannten Halbzeitpause für Werbung zu unterbrechen. Das wäre man ja schon fast gewohnt gewesen, und die Gewohnheit Jahr für Jahr ein Stück tiefer ins Unerträgliche hineingetrieben zu haben, darin besteht ja die Kunst dieser eigentlich schon immer unerträglichen Sendung.
Dass nun aber auch während eines Spielberichts Werbung von rechts ins Bild hineinflutscht und den eigentlichen Bericht beiseite drängt, das geht nun doch zu weit. Da war der Punkt erreicht, an dem ich mir schwor, dass die Kirchsche Fußballrechtevermarktungsindustrie in Zukunft auf mich nicht mehr zählen könne. Ich bin doch kein Trottel, der alles mit sich machen lässt, sagte ich mir, sollen sie ihre aberwitzige Bundesligadarstellung 34 fernsehprogrammgemäß hochspannend zu sein habende Spieltage lang sonstwo abziehen. Ich komme auch ohne diesen Quatsch aus, der mein bisheriges, nicht mehr ganz kurzes Leben Saison für Saison in Spieltage, in gute und schlechte Zeiten gliederte. Es war schön, jetzt ist es vorbei, und tschüss. Keine Sentimentalitäten
Dass jetzt niemand sagt: Kauf dir doch einen Premiere-Decoder. Alle neun Spiele live! Wenn ich das schon höre. Und wenn Samstag nachmittags fünf Spiele gleichzeitig laufen, baut man sich - die TV-Produzenten wird's freuen - fünf Bildschirme auf, um nichts zu verpassen. Oder hockt in der Kneipe und betrinkt sich vorfristig. Aber ist das noch schön? Wollen die denn aus ihrem Publikum haltlose Junkies machen? Man kann ja auch nicht neun Puddings gleichzeitig essen. Die irrsinnigen Summen, die mittlerweile für die Fernsehübertragungsrechte des Fußball bezahlt werden, müssen jedoch wenigstens ansatzweise wieder eingespielt werden. Das gelingt nicht, indem man einfache Bedürfnisse befriedigt, sondern indem vorhandene Gelüste pervertiert werden. Die Geschichte der Fußballübertragung im Fernsehen ist die Geschichte der Zurichtung des Publikums bei gleichzeitiger allmählichen Zerstörung des Gebrauchswerts durch den Tauschwert. Sie zeigt, was passiert, wenn eine eigentlich harmlose Sache zur Ware wird und schließlich nur noch zum Werbeträger. Je kostbarer, umso kaputter. Das ist vermutlich Dialektik, und wenn die Spielberichte am sensationellsten dauertönen, ist der Punkt erreicht, an dem alles egal geworden ist.
Ein gelingendes Fußballspiel ist ein soziales Aktions-Kunstwerk, das im Augenblick, in dem es zelebriert wird, bereits wieder zerfällt. Seine Schönheit ist nur momentweise in gelungenen Kombinationen zu erahnen, eine virtuelle, eine soziale Kategorie und viel zu leicht zerstörbar, um in den auf Torschuss und Traineremotionen spezialisierten ran-Bildern auch nur vorscheinsmäßig eine Chance zu haben. ran verhält sich zu Fußball etwa so wie ein Porno zu Erotik: Nur der Vollzug zählt, und jede Nummer ist die ewig geilste. Auch wenn's mal wieder 0:0 endet: geil, geil, geil, und dann noch mal in Superzeitlupe schräg von unten.
Fußball ist reine Gegenwart. Das macht es so erholsam, ein Fußballspiel zu betrachten. Was zählt, ist auf dem Platz, sagen die Trainer, und Rudi Völler will jetzt nur noch nach vorne schauen. "Vergangenheit ist Vergangenheit", sagt er, man soll sie ruhen lassen, und nur so funktioniert das System. Falls man sich noch an die letzte Spielzeit erinnern würde, hätte man eine Ahnung, was in den kommenden 34 Spieltagen auf uns zukommen wird. Spannend war's schon, aber eigentlich ist es auch ganz egal, wie die Bayern am Ende Meister werden. Und wenn nicht: dann eben nicht. Dann wird es an Christoph Daums neuem Design gelegen haben. In hellblauem Anzug, mit weißem Hemd und Krawatte saß er am Samstag auf der Bank. Das Blau sollte an den Erfolgs-Pullover Udo Latteks erinnern, eine Farbe, "die was Positives, Energiereiches ausströmt" (Daum). Und wo war Pagelsdorfs Wunder-Jackett? Wo war Lienens Sieger-Hemd? Wie blöd ist man eigentlich schon geworden nach 37 Spielzeiten? Wiederkehr des Immergleichen: Das neue Studio-Design mit einem "touch-screen", auf dem der Moderator verzweifelt herumdrücken muss, um die Bilder in Gang zu setzen, demonstriert das hilflose Bemühen, eine bekannte Ware als Neuheit zu präsentieren. Die Schriften, die ins Bild eingeblendet werden, haben sich ein wenig dem Techno-Design angenähert, weil man das bei Sat1 wohl für modern hält. Das ändert aber nichts am Überdrussgefühl, das der erste Spieltag produzierte. Die nächsten 33 werden von der Hoffnung leben, dass sich daran etwas ändern könnte. Es wird Überraschungen geben und tolle Spiele ("bleiben Sie dran!"), die für vieles entschädigen. Ohne mich. Ich bin nicht mehr dabei. Und wenn ihr alle, ihr Abhängigen, wieder einmal "Super Q" oder irgendeinen anderen, unzumutbaren Schwachsinn durchleidet, werde ich tief durchatmen und mich meiner neu gewonnenen Freiheit erfreuen.
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