Bernhard Hommels Buch gegen die Identitätspolitik: Angststörungen therapieren?
Sachbuch Psychologe Bernhard Hommel will vermeintliche Irrtümer der Identitätspolitik entlarven und ihnen mit den Methoden seines Fachs Kontra geben. Dabei steht er dem Gegenstand seiner Untersuchung allerdings alles andere als objektiv gegenüber
Der Westend-Verlag publiziert „Bücher für die Wirklichkeit“ – so lautet das Motto des Verlags. Diese Bücher werden u.a. von Ulrike Guérot, Oskar Lafontaine, Wolfgang Kubicki und Daniela Dahn oder auch von den Machern der Nachdenkseiten, Albrecht Müller und Jens Berger, geschrieben. Nimmt man ein neues Buch aus dem Verlag in die Hand, das sich um ein aktuelles politisches Streitthema dreht, erwartet man also einen Beitrag zu diesem Streit, eine scharfe Stellungnahme, eine starke Meinung.
Schaut man auf den Titel des Buchs von Bernhard Hommel Gut gemeint ist nicht gerecht und den Untertitel, der verspricht, dass es hier um die leeren Versprechen der Identitätspolitik geht, dann wird man meinen, dass das Buch sehr gut zum Verlag passt: Es handelt
sehr gut zum Verlag passt: Es handelt sich offenbar um einen Debattenbeitrag zum Thema Identität, man erwartet vielleicht eine Analyse und Bewertung der aktuellen Gender- und Rassismusdiskurse.Das Inhaltsverzeichnis klingt dann allerdings gar nicht nach Standpunkt und Streit, sondern eher nüchtern. Stichworte der Identitätspolitik kommen da gar nicht vor. Die Überschriften klingen eher nach einer Meta-Diskussion: Meinung, Argumente, Identität, Diskriminierung, Betroffenheit und Urteilskraft, Repräsentativität, Sprache, Klischee und Stereotyp, so lauten die Kapitelüberschriften, gefolgt von einem Abschnitt, der mit „Was nun?“ überschrieben ist, und einem Nachwort.Bernhard Hommel ist Psychologe, und aus der Sicht der Psychologie will er nachweisen, dass die Identitätspolitik alles falsch sieht, die falschen Vorstellungen von der Wirklichkeit hat, die falschen Schlüsse daraus zieht und damit auch die falschen Methoden zur Lösung der Probleme vorschlägt. Dass ausgerechnet die Psychologie die richtige Wissenschaft ist, um die gesellschaftlich geeigneten Lösungswege für die Beseitigung von Diskriminierungen zu finden, scheint für den Autor so selbstverständlich, dass er es nicht weiter begründen muss. Ökonomische, soziale, historische und politische Bedingungen von Diskriminierung scheinen für ihn schlicht nicht zu existieren – alles ist Psychologie.Taub für GegenargumenteAls Vertreter dieser Wissenschaft verfügt Hommel offenbar nicht nur über unbegrenzte Erklärungsautorität, er ist als Forscher dieser Disziplin augenscheinlich auch auf einzigartige Weise in der Lage, sich objektiv den Phänomenen gegenüberzustellen, die er beschreibt und einordnet. Trotz der exzessiven Verwendung des Pronomens „wir“ kommt es ihm nicht in den Sinn, dass das, was er da über „uns“ schreibt, doch auch auf ihn und auf sein Werk, das wir gerade lesen, zutreffen könnte.Wir, so erfahren wir, haben zumeist gar keine Meinung, die sich auf der Grundlage von Erfahrungen und Überlegungen herausbildet, wir würden vielmehr unsere Meinungen einfach spontan äußern und erst im Nachhinein rechtfertigen, wenn wir nach Begründungen gefragt werden, wobei wir dann wiederum natürlich für Gegenargumente taub sind, weil wir unsere Meinung ja verteidigen wollen. Da mag etwas dran sein, auch wenn es nicht erklärt, dass ich zu ähnlichen Fragen immer wieder ähnliche Meinungen habe, aber vor allem muss sich, wer so etwas äußert, doch fragen, ob gerade das, was er da schreibt, nicht ein wunderbares Beispiel für so ein Verhalten sein könnte.Und tatsächlich kann man Hommels Buch genau so lesen: Er hat vorab eine Meinung zur Identitätspolitik, er lehnt ihre Einschätzungen, Analysen und Schlussfolgerungen ab – und sein ganzes Buch ist eine Verteidigung dieser Meinung mit den Mitteln der Psychologie und mit den rhetorischen Möglichkeiten des Wissenschaftlers, der etwa behauptet, identitätspolitische Publikationen würden sich kaum zu der Frage äußern, wie die Struktur der Gesellschaft zu Diskriminierung führt, als ob er eine umfassende Literaturstudie durchgeführt hätte, dann aber nur, und selbst da ohne genaue nachvollziehbare Quellenangabe, gerade einmal zwei Autorinnen paraphrasiert wiedergibt.Dass es gesellschaftliche Strukturen geben könnte, die wirksam sind und die zu Diskriminierung bis zu tödlicher Gewalt führen, ist für Hommel offenbar unvorstellbar, und so wird dann auch die Ermordung von George Floyd zu einer „tragischen, im Video festgehaltenen und damit weltweit sichtbaren Tötung“. Nicht, dass ein Polizist den wehrlosen Menschen umgebracht hat, ist für Hommel ein Problem, sondern, dass es auf Video festgehalten wurde, was dann die Black-Lives-Matter-Bewegung mit ihrem Hommels Meinung nach verfehlten Wachsamkeitsansatz auf den Plan gerufen hat.Belohnung statt Strafe?!So einseitig und beschränkt die Analyse der Problemlage, so geradezu absurd naiv sind dann auch die Vorschläge, die Hommel am Ende macht. Sie sind entweder trivial selbstverständlich und allgemein akzeptiert, wie etwa die Unterstützung von Empowerment-Ansätzen, oder sie gehen an den gesellschaftlichen Realitäten weit vorbei. „Belohnung statt Strafe“ empfiehlt der Psychologe, die Beispiele dieses Abschnitts sprechen allerdings merkwürdigerweise nicht von Fällen von Rassismus oder Frauenfeindlichkeit – wie sollte man sich da das belohnungswürdige Verhalten auch vorstellen?„Gewöhnung statt Konfrontation“ ist ein anderer Abschnitt überschrieben, in dem aus der psychologischen Praxis allen Ernstes berichtet wird, wie man Spinnen-Phobien bekämpft – wie sich diese Erfahrungen auf Menschen anwenden lassen, die Menschen eines anderen Geschlechts oder einer anderen Hautfarbe ablehnen, bleibt unbeantwortet.Gut gemeint ist nicht gerecht – so heißt das Buch. Und so, wie sich seine Analyse gegen es selbst wenden lässt, kann der Titel auch als Fazit dieser kritischen Lektüre dienen. Womöglich ist es gut gemeint, dem Diskurs zu Diskriminierungen in der Gesellschaft weitere Perspektiven hinzuzufügen. Aber den vielfältigen Diskriminierungserfahrungen ein „Stimmt alles nicht“ entgegenzusetzen, dürfte nicht zu mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft beitragen.Placeholder infobox-1