Vielleicht hätte Emilia Roig zwei Bücher schreiben sollen. Material genug hat sie zusammengeschrieben in ihrem Buch, das den Titel Das Ende der Ehe trägt und im Untertitel zudem eine Revolution der Liebe verspricht. Das eine Buch hätte dann den Titel „Das Ende der Männlichkeit“ getragen, während das andere vielleicht „Warum ich gegen die Ehe bin“ geheißen hätte. Wobei ein Titel, der das Ende von irgendwas verspricht, ja häufig in die Irre führt. Denn ein Ende der Ehe ist, wenn es nach den Argumenten von Emilia Roig geht, gar nicht abzusehen, am Ende meint sie gar, dieses Ende schiene noch eine „utopische Vorstellung zu sein“. Ihr geht es nicht darum, einen empirischen Sachverhalt zu beschreiben, der eigentlich angesichts der großen Zahl der Menschen, die heute faktisch Single bleiben oder sich scheiden lassen, unübersehbar ist, vielmehr behauptet die Autorin, dass das Ende der Ehe noch längst nicht in Sicht, aber unbedingt zu fordern wäre.
Das ist einigermaßen verwirrend, und zu dieser Verwirrung trägt bei, dass Roig über weite Strecken ihres Buchs gar nicht über die Ehe schreibt, sondern über die Männlichkeit der Männer, wobei Männer und Frauen natürlich, nach Überzeugung der Autorin, so wenig existieren wie menschliche Rassen. Was auch wieder überraschend ist, weil es über viele Seiten eben um Dinge geht, die nur sinnvoll beschreibbar sind, wenn es reale Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt – heterosexueller Geschlechtsverkehr etwa.
Das fällt der Autorin auch auf, weshalb sie wortreich und mit vielen Triggerwarnungen erklärt, dass sie im Kapitel 7 ausführlich und detailliert menschliche Verhaltensweisen beschreibt, kritisiert und als Machtbeweis von Männern gegenüber Frauen zu enttarnen meint, die zwischen Männern und Frauen stattfinden können, um dann im Kapitel 8 zu erläutern, dass Mann und Frau Kategorien sind, die ausschließlich sozial konstruiert seien. Dabei wird ihr in den empirischen Befunden niemand widersprechen wollen, ja, es gibt sicherlich eine große phänotypische und genetische Breite unter den Menschen, das ist nun heute wirklich keine revolutionäre Feststellung mehr.
Damit ist ein Problem angesprochen, das das ganze Buch durchzieht. Man wird einfach das Gefühl nicht los, man läse in einem Text aus den 1970ern, der irgendwie vergessen worden, nun wieder ausgegraben und notdürftig überarbeitet worden ist. Erst seit den 1970ern sind Frauen in Deutschland den Männern rechtlich vollständig gleichgestellt. Wer würde das abstreiten? Aber das ist eben ein halbes Jahrhundert her. Die ersten Disney-Märchenfilme reproduzieren Geschlechterklischees. Was für eine Erkenntnis! Roig fügt in einer Fußnote an, dass die letzten Filme dieser Gattung tatsächlich auch andere Darstellungen enthalten – allerdings ohne daraus irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen. Andauernd muss die Autorin den aktuellen gesetzlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherlaufen, etwa im Namensrecht oder in der Frage, welche Bedingungen an Personen gestellt werden, die ihr Geschlecht neu festlegen wollen – an dieser Stelle dürfte das Buch, wenn es in die Läden kommt, wahrscheinlich schon veraltet sein.
Eine Erfindung zur Unterdrückung der Frau
Die Argumentation geht immer wieder so: Es wird ein Beispiel aus vergangenen Jahrzehnten hergenommen, das ein Beleg für die faktische Benachteiligung der Frau ist, dann wird mehr oder weniger zähneknirschend zugestanden, dass sich das seitdem verbessert oder ganz verändert hat. Darauf folgt die überraschende Wendung, dass das aber gar nichts nützt, weil das Grundprinzip nun mal patriarchalisch ist und sich im Wesen nicht geändert hat.
So ist es auch mit der Ehe: Ja, inzwischen sind alle möglichen Lebenspartnerschaften der heterosexuellen Ehe gleichgestellt. Das rettet die Ehe aber nach Ansicht von Emilia Roig nicht, weil die Ehe im Wesen nun mal eine Erfindung zur Unterdrückung der Frau ist, eine Institution, die dafür sorgt, dass Männer Frauen besitzen und über deren Körper herrschen. Wie gesagt, es ist unbestritten und wird wahrscheinlich heute von kaum jemandem in Abrede gestellt, dass das über Jahrhunderte so war.
Aber daraus abzuleiten, dass auch lesbische, schwule und queere Paare aufs Heiraten verzichten müssen, weil damit das Patriarchat und die Macht der Männlichkeit weiterbesteht, ist wenigstens gewagt. Überhaupt ist jede Person, die mit ihrem Leben in der derzeitigen Konstellation zufrieden ist, eine – vermutlich ahnungslose – Unterstützerin des Patriarchats. Ob Sie heterosexuellen Sex mögen oder als lesbische Frau für immer mit ihrer Liebsten zusammenbleiben möchten, Sie bleiben im Patriarchat gefangen und stützen die Macht der Männer, auch wenn die nur eine soziale Kategorie sind, der eigentlich nichts Reales entspricht – außer die soziale Kategorie, die dann doch wieder real ist.
Es ist schade, dass sich das Buch Kapitel für Kapitel wie eine Karikatur eines gesellschaftskritischen Essays liest. Denn tatsächlich wäre es ja bedenkenswert, über die reale Kraft von Kategorien, die an physische Realitäten anschließen und diese verabsolutieren und dadurch normative Kraft zur Festigung dieser Kategorien entwickeln, ernsthaft nachzudenken. Ob die Männlichkeit am Ende ganz fragwürdig wird, und was dann aus der Weiblichkeit wird, wäre tiefes Nachdenken wert. Was aus der Ehe werden kann, wenn ihr heteronormativer Anfang erst mal ganz verschüttet ist, ist eine spannende Frage. Aber wenn das Ganze als Echo von Gleichberechtigungskämpfen vergangener Jahrhunderte daherkommt, fällt es schwer, die nachdenkenswerten Sätze im Schlachtgetümmel zu entdecken.
Das Ende der Ehe. Für eine Revolution der Liebe Emilia Roig Ullstein 2023, 384 S., 22,99€
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