Das Maß aller Dinge ist für Schröder die persönliche Zufriedenheit
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Worauf kommt es im Leben an, wenn nicht darauf, dass man zufrieden ist? In seinem Buch Wann sind Frauen wirklich zufrieden? zeigt der empirische Sozialforscher Martin Schröder vor allem eins: Frauen sind mit ihrem Leben ungefähr genauso zufrieden wie Männer. Also alles in Ordnung mit der Gleichberechtigung? Zweifellos liefert Schröder mit vielen fundierten Fakten, was der Untertitel verspricht: Überraschende Erkenntnisse zu Partnerschaft, Karriere, Kindern, Haushalt.
Gerade deshalb ist es notwendig, nach seinen Grenzen und Irrtümern zu schauen. Dabei steht es dem Rezensenten nicht zu, nach Fehlern in der empirischen Arbeit zu fahnden. Das sollen die Leute tun, die an ähnlichem forschen wie Schröder und die Methoden hinsichtlich ihrer korrekten Anwendu
lich ihrer korrekten Anwendung und Resultate und ihrer korrekten Herleitung besser beurteilen können. Der Schreiber dieser Zeilen vermutet, dass da alles mit rechten Dingen zugegangen ist und die Daten so stimmen, wie sie dastehen.Und dennoch schleichen sich beim Lesen nach ein paar Dutzend Seiten gewisse grundsätzliche Zweifel ein. Das Maß aller Dinge ist für Schröder die persönliche Zufriedenheit. Wenn die Menschen mit ihrer Situation so, wie sie ist, zufrieden sind, dann ist alles in Ordnung. Dem möchte man angesichts der vielen aktivistischen Welt- und Menschenretter, die darauf beharren, dass es auf das persönliche Wohlergehen gar nicht ankäme, solange die Welt eben noch ungerecht sei, gern zustimmen. Sicher müssen sich die, die die Welt verbessern wollen, fragen, für wen sie das tun, und ob die ihre Situation überhaupt verbessert haben möchten.Diese Fragen thematisiert Schröder allerdings nicht. Gleich in der ersten Grafik sieht man stattdessen, dass die Leute in China fast genauso zufrieden seien wie in Deutschland. In Nicaragua, von dem Schröder selbst schreibt, dass es von einem autoritären Präsidenten reagiert werde und dass die Wahrscheinlichkeit, eines gewaltsamen Todes zu sterben, zehnmal höher sei als bei uns, seien die Leute im Schnitt mit ihrer Lebenssituation alles in allem zufriedener als in Deutschland.Gendertheoretiker und Marxisten – agitieren sie am Willen und Wünschen der Leute vorbei?Nun müsste man nach Schröders Logik sagen: na und? Die Leute sind zufrieden, und das zeigt doch nur, dass unsere Maßstäbe eines guten Lebens eben nicht universell sind, dass man in einer Diktatur genauso zufrieden leben kann wie in der Demokratie. Und wer in einem solchen Land gar versucht, die Diktatur zu beseitigen und für Freiheit und Demokratie wirken will, den müsste Schröder eigentlich in die gleiche Ecke stellen wie Gendertheoretiker und Marxisten – die agitieren einfach am Willen und den Wünschen der Leute vorbei.Aber das, so sagt einem die Intuition, kann irgendwie auch nicht richtig sein. Zu allen Zeiten haben sich wohl die meisten Leute im Bestehenden eingerichtet und waren alles in allem mit ihrem Leben zufrieden. Es brauchte immer ein paar Aktive, die auf die Missstände hingewiesen und gegen sie gekämpft haben, sonst gäbe es heute noch kein Frauenwahlrecht und die Mauer stünde womöglich auch noch. Dass es einem vielleicht doch nicht ganz so zufriedenstellend geht, merkt man oft erst, wenn Alternativen aufgezeigt werden.Das bestreitet Schröder auch nicht, er hält es aber nicht für seine Aufgabe, über Alternativen zur bestehenden Welt nachzudenken. Als empirischer Sozialforscher will er nur zeigen, wie die Welt ist. Es sollte ihm aber klar sein, dass seine Ergebnisse so, wie er sie zeigt, zum Argument im politischen Kampf werden, und dass er in dieser Auseinandersetzung auch Position bezieht, kann er nicht verstecken, wenn er über Marxisten und Gendertheoretikerinnen spricht.Martin Schröder fokussiert in „Wann sind Frauen wirklich zufrieden?“ ausschließlich auf MittelwerteAber auch, wenn man ihm die Rolle des objektiven Forschers zubilligen würde, kann man schnell unzufrieden werden. Denn Schröder fokussiert ausschließlich auf Mittelwerte. Fast kann man den Eindruck gewinnen, in Deutschland etwa gäbe es nur ziemlich zufriedene Leute. Vielleicht gibt es aber auch ein paar extrem zufriedene und ein paar sehr unglückliche? Und käme es nicht vielleicht mehr darauf an, dazu beizutragen, dass die Unglücklichen ein bisschen zufriedener sein können? Was ist denn beruhigend in einer Gesellschaft, in der vielleicht sogar 90 Prozent der Frauen mit ihrem Leben in der Ehe mit einem Mann, der viel arbeitet und ihnen die Kinderbetreuung überlässt, sehr zufrieden sind, aber fünf Prozent extrem unglücklich? Daten zu solchen Fragen, die doch auch empirisch zu klären wären, sucht man jedoch bei Schröder vergeblich.Eine andere Frage, die auch ein empirischer Sozialforscher beantworten könnte, wäre, wie sich die Zufriedenheit einer Person ändert, wenn sich ihre Lebenssituation drastisch verändert. Was ist mit der Zufriedenheit der Ehefrau und Mutter, wenn die Kinder aus dem Haus sind, was, wenn die Ehe geschieden wird? Wie entwickeln sich die Zufriedenheiten von Männern und Frauen nach solchen Einschnitten?Wohl jeder, der sich in den letzten Jahren mit Fragen der Chancengleichheit oder der Gleichberechtigung, mit Unterschieden und Diskriminierungen zwischen den Geschlechtern beschäftigt hat, dürfte in diesem Buch interessante Daten und Ergebnisse empirischer Untersuchungen zum Thema finden, die erhellend sind und Grund zum Nachdenken und wohl auch zu erhitzter Debatte geben. Manche werden sich in seinen Ansichten und Vermutungen bestätigt finden, andere werden sich provoziert fühlen, wieder andere schlicht überrascht und verwundert sein.Jedenfalls hat das Buch das Potenzial, die Debatte um den Stand von Gleichberechtigung und Benachteiligung in unserer Gesellschaft zu beleben und mit zuverlässigen Erkenntnissen auszustatten, was die tatsächliche Zufriedenheit von Frauen und Männern in dieser Welt betrifft und was Gründe für bestehende Unterschiede, etwa bei der Berufswahl, bei den Einkommen und bei den erreichten Stufen in sozialen Rangordnungen betrifft. Zudem ist das Buch auch noch gut und verständlich, fast unterhaltsam geschrieben, ohne ins Triviale oder Komödiantische abzudriften. Ja, Schröders Buch liefert viele interessante Einsichten, viel Stoff für die Debatte, die wir führen. Aber interessant sind auch die Lücken, die es offenlässt. Man freut sich auf den zweiten Teil.