Diplomatische Verhandlungen erfolgen vertraulich, man führt sie nicht in den Medien“, schrieb der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, an seine Fraktionskollegen, nachdem unter den westlichen Partnern Einigkeit über die Panzerlieferungen an die Ukraine erzielt worden war. Das ist richtig und dennoch unbefriedigend.
Auch wenn über die konkreten Details der Gespräche und ihren aktuellen Stand Stillschweigen gewahrt werden muss, solange die Ergebnis-Pakete nicht fertig und abgestimmt sind, sollten demokratische Regierungen ihren jeweiligen Öffentlichkeiten jederzeit deutlich machen, von welcher Art die unterschiedlichen Argumente in den Verhandlungen sind, was abgewogen werden muss und auf welchen Gebieten Differenzen bestehen, die ausverhandelt
erhandelt werden müssen.In der Öffentlichkeit, zumal der deutschen, wird über die Frage der Unterstützung der Ukraine fast ausschließlich in der moralischen Dimension debattiert, nur selten wird wenigstens erwähnt, dass auch die Sicherheit an den NATO-Ostgrenzen eine Rolle spielt. Das moralische Argument ist einfach: Die Ukraine ist angegriffen worden von einem Aggressor, der über weit größere militärische Ressourcen verfügt. Zudem lassen sich in der Ukraine Elemente von Freiheit und Demokratie ausmachen, die es in Russland nicht gibt. Somit ist klar, dass die Ukraine aus moralischen Gründen unterstützt werden muss, und zwar in einem Umfang, dass sie in der Lage ist, den Aggressor hinter seine Landesgrenzen zurückzudrängen. Wenn dazu Waffen gebraucht werden, die das Land selbst nicht hat, die aber bei den Unterstützern vorhanden sind, ist es geboten, diese Waffen zur Verfügung zu stellen.Politische Entscheidungen sind aber nie nur moralisch begründet und können auch nicht ausschließlich aus einem ethischen Konsens heraus begründet werden. Es ist historisch unstrittig, dass selbst die Regierungen westlicher Demokratien nie nur aus solchen Prinzipien gehandelt haben. Regierungen sind dazu da, den sozialen Frieden im Innern und die Stabilität des internationalen Staatengefüges zu sichern, soweit das möglich ist.Das ist langfristig auch geboten, aber es ist nicht realisierbar, wenn man in konkreten Entscheidungssituationen Ethik und Gewissen als wichtigstes leitendes Prinzip ansetzt. Selbst wenn ein Land, etwa Deutschland, sich in Fragen der internationalen Politik ausschließlich von den moralischen Forderungen seiner Bevölkerung oder der in der Öffentlichkeit herrschenden Meinung leiten ließe, würde es niemals das Gebotene für das eigene Land und die eigenen Leute erreichen – es kann nämlich nicht davon ausgehen, dass die anderen Partner ebenfalls nur von diesen Werten getrieben sind. Mit der Moral mag man für den Moment ein gutes Gewissen haben, die langfristigen Folgen moralischer Entscheidungen in der Politik dürften aber auch unter ethischen Gesichtspunkten oft fatal sein. Es wäre besser, „unsere Werte“ bei den Debatten über politische Entscheidungen erst einmal zurückzustellen und die Dinge der internationalen Politik ganz aus den rationalen Erwägungen zu Interessen heraus zu verstehen. Das Interesse an politischer Stabilität im Innern ist dabei ein wichtiger Aspekt, über den auch die Bedürfnisse der Bevölkerung und die öffentlich herrschende Meinung wieder ins Spiel kommen.Deshalb ist es richtig, dass die Regierenden ihre Entscheidungen gegenüber der eigenen Bevölkerung auch als Gewissensentscheide rechtfertigen können. Ökonomische, militärische und machtpolitische Erwägungen, die Frage, welche Volkswirtschaften, welche Regionen und welche Unternehmen durch Entscheidungen über Waffenlieferungen am Ende gestärkt werden und welche Schwierigkeiten bekommen, die Frage, welche Länder und welche Bündnisse durch diese Entscheidungen ihre politischen und militärischen Machtpositionen – auch unter Partnern – ausbauen und wer an Einfluss verlieren wird, all das darf eine Regierung aber keinesfalls vernachlässigen, auch wenn die moralisch aufgeladene öffentliche Diskussion zum Handeln treibt.Was Olaf Scholz sagen sollteDer Bundeskanzler müsste solche Zusammenhänge wenigstens erwähnen und klarmachen, dass auch unter Bündnispartnern politische, militärische und wirtschaftliche Interessenkonflikte bestehen, die bei Waffenlieferungen großen Umfangs nicht vernachlässigt werden dürfen. Er muss sagen, welcher Art die guten Gründe sind, die ihn davon abhalten, sofort den Imperativen einer moralisch hoch sensibilisierten Öffentlichkeit zu folgen.Das wäre auch deshalb geboten, weil seine Verhandlungspartner es über die politischen Kräfte in der zweiten Reihe, über Experten und über vernetzte Akteure der Öffentlichkeit, durchaus schaffen, den moralischen Druck wiederum in politische Münze umzuwandeln.Wenn etwa amerikanische Medien und Militärexperten sowie polnische Politiker mit den Fingern auf Deutschland zeigen und die Öffentlichkeit in Deutschland dies wiederum aufnimmt, um Olaf Scholz unter Druck zu setzen, schränkt das den Handlungsspielraum des Bundeskanzlers ein, weil sich der Zeithorizont stark verengt, in dem eine Entscheidung herbeigeführt werden kann, ohne dass die politische Stabilität in Deutschland überbeansprucht wird.Nein, es ist nicht nötig, dass Details der Deals, die letztlich zwischen den Partnern ausgehandelt werden, in die Öffentlichkeit kommen. Aber es muss klargemacht werden, dass es eben auch Deals sind, politische, militärische und ökonomische, und nicht nur moralisch getriebene Hilfeleistungen.
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