Zeitgeschichte Bei den US-Kongresswahlen verfangen Angriffe auf die von Präsident Roosevelt ermöglichten Sozialreformen. Die Demokraten scheitern, weil sie viel zu halbherzig agieren
Vizepräsident Harry S. Truman (links) 1944 mit Franklin D. Roosevelt
Foto: Bettmann/Getty Images
Für dieses Votum vom November 1946 hatten sich die Republikaner ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: endlich die bereits anderthalb Jahrzehnte dauernde Vorherrschaft der Demokraten zu brechen. Tatsächlich hatten sie seit den Wahlen von 1930 sowohl im Senat wie im Abgeordnetenhaus keine Mehrheit mehr. 1933 konnte überdies mit Franklin D. Roosevelt ein Demokrat den republikanischen Präsidenten Herbert Hoover ablösen, um sich danach viermal hintereinander (bedingt durch die Kriegssituation in Europa und den US-Kriegseintritt 1941) wiederwählen zu lassen, zuletzt im November 1944. Seinen Rückhalt bei der Bevölkerung verdankte Roosevelt nicht zuletzt seinem New Deal, einem Paket von Wirtschafts- und Sozialreformen, mit dem es gelang, die USA aus der 1929 begonne
nnenen Weltwirtschaftskrise zu führen.Wer damit sympathisierte, entschied sich für mehr Staatseingriffe in die Ökonomie und mehr soziale Gerechtigkeit. Auch mit dem Kriegseintritt der USA Ende 1941 – nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor – galt der New Deal in seinen Grundzügen weiter. Sichtbar wurde das besonders an der sogenannten „GI-Bill“. Dabei handelte es sich um eine Verordnung, die Roosevelt im Juni 1944 in Kraft setzte, um in der Zeit nach dem Krieg staatlichen Beistand für die Rückkehr von US-Soldaten ins Zivilleben zu garantieren. Es ging um eine Art Überbrückungsgeld für die Dauer von einem Jahr nach der Entlassung aus der Armee, um günstige Kredite, wenn sich jemand wirtschaftlich selbstständig machen wollte, und den Zugang zur Universität für jeden Kriegsteilnehmer unabhängig von seiner bisherigen Schulbildung.Man konnte glauben, bei so viel Willen zur Wohlfahrt sei den Demokraten bei der ersten Nachkriegswahl der Sieg nicht zu nehmen. Doch im Vergleich zum Urnengang im November 1944 hatte sich in den Vereinigten Staaten viel verändert: Man war vorübergehend weltweit von Kampfhandlungen befreit. Es hatte ein Bewenden mit der Kriegsproduktion, die meisten Unternehmen konnten wieder auf den zivilen Bedarf umstellen, was eine Konversionskrise mit ausgeprägt inflationärer Tendenz zur Folge hatte. Die Löhne hinkten dem Preisschub hinterher.Die mit dem New Deal entstandenen und selbstbewusst gewordenen CIO-Gewerkschaften wollten durch Streiks eingetretene Einkommensverluste der Arbeiterschaft ausgleichen. Es gab Forderungen wie die des bei vielen Arbeitern beliebten Führers der Autogewerkschaft, Walter Reuther, der einen Lohnanstieg von 30 Prozent und von General Motors verlangte, die Preise für Automobile stabil zu halten, da der Konzern im Krieg genug Profit gemacht habe. Das rief den Unwillen der Konzernbosse wie gewerkschaftsfeindlicher mittelständischer Unternehmer hervor. Harry S. Truman, dem Nachfolger Roosevelts (dieser starb im April 1945), gelang es nicht, den Preisschub unter Kontrolle zu bringen. Er schwankte zwischen der Option, den Gewerkschaften ihren Willen zu lassen, und der Versuchung, das Streikrecht einzudämmen.Truman fehlte das Charisma von RooseveltHarry S. Truman war der Öffentlichkeit während des Krieges als Vorsitzender des Senatsausschusses für die Rüstungsproduktion bekannt geworden und seit November 1944 zum Vizepräsidenten aufgestiegen. Mit den 20er Jahren – nach einem misslungenen Einstieg ins Geschäftsleben – hatte sich Truman in der Politik etabliert, doch fehlte ihm Roosevelts Charisma. Darüber hinaus hatte er sich bei traditionellen Wählerschichten der Demokraten, vorrangig bei den Arbeitern, durch sein inkonsistentes Verhalten gegenüber den Gewerkschaften wie durch missglückte Anläufe, die Inflation zu bremsen, unbeliebt gemacht. Es kam hinzu: Das für die Zeit nach Kriegsende versprochene staatliche Förderprogramm für den Wohnungsbau brachte den ärmeren Schichten zu wenig Ertrag.Den Republikanern fiel es in dieser Lage nicht schwer, für die Nachkriegsmisere allein Roosevelts Wirtschafts- und Sozialreformen verantwortlich zu machen. Dieser Kurs habe zu hohe Steuern und zu viel Bürokratie bewirkt. Folglich wären die Kongresswahlen eine perfekte Chance, Roosevelts Vermächtnis anzugreifen und abzuschaffen. Es tauchten Wahlslogans auf wie „Jetzt reicht es aber!“ oder: „Ist es nicht längst genug?“ Was so viel meinte wie: Genug mit der Einmischung des Staates ins Leben der Amerikaner, aber auch genug mit der Inflation, den Streiks und dem Wohnraummangel. Man fing damit die Stimmung breiter Bevölkerungskreise auf, von den Farmern bis zu Mittelständlern in den Westküstenstädten. Die Republikaner intonierten ihre Kampfansage gegen „big government, big labor, big regulation“ (zu mächtige Regierung, zu einflussreiche Gewerkschaften, zu viel staatliche Regulierung). Angesichts dieser Angriffe waren Unternehmerverbände und andere Lobbyisten gern bereit, vor den Kongresswahlen kräftig für die republikanische Parteikasse zu spenden.„Roosevelt’scher Kriegskommunismus“Die Republikaner wiesen auch immer wieder gern auf die vermeintliche Nähe des New Deal zum sowjetischen Kommunismus hin, obwohl ausgesprochen sowjetfreundliche „New Dealer“ wie Roosevelts ehemaliger Vizepräsident Henry A. Wallace die Demokratische Partei entweder verlassen hatten oder auf Trumans Geheiß zusammen mit anderen Reformern ihre Kabinettsposten hatten räumen müssen. Mit provokanten Parolen wie „Schluss mit dem Roosevelt’schen Kriegskommunismus“ konnten die Republikaner im Wahlkampf, der in die Phase des beginnenden Kalten Krieges zwischen den USA und der UdSSR fiel, bei konservativen Wählern zweifellos punkten. Die Konsequenz bestand darin, dass die Republikaner beim Votum vom 4. November 1946 in beiden Häusern des Kongresse die Mehrheit errangen. Dies geschah auch deshalb, weil viele den Demokraten nahestehende Wähler in der Arbeiterschaft, verärgert über Trumans unentschlossene Politik, der Abstimmung fernblieben. Die Wahlbeteiligung sollte mit einem Drittel der Wahlberechtigten ein historisches Tief erreichen.Der neugewählte, von den Republikanern dominierte US-Kongress zögerte nicht, ab Januar 1947 Gesetzesvorlagen zur Demontage des New Deal einzubringen, darunter allein zwei Vorlagen zur Steuersenkung. Allerdings erwies sich der bis dahin farblos wirkende und zögerlich auftretende Präsident als hinderlich. Truman nutzte die ihm durch die US-Verfassung zuerkannten exekutiven Vollmachten, um 1947 per Veto 32 Gesetzesvorlagen seiner Gegenspieler abzuschmettern. Im Jahr darauf nutzte er diese Widerspruchsmacht sogar 43 Mal. Freilich gelang es zumeist nur, die Demontage der Sozialgesetzgebung des New Deal aufzuschieben – nicht aber, sie gänzlich zu verhindern.Die wohl weitreichendste Revision des Erbes aus der Zeit von Roosevelts Präsidentschaft gelang den Republikanern 1947 mit einem von Senator Robert A. Taft und dem Abgeordneten Fred Allan Hartley eingebrachten Gesetz, das die 1935 im Wagner Act den Gewerkschaften eingeräumten Rechte gegenüber der Betriebsführung substanziell reduzierte. Mit dem seinerzeit vom demokratischen Senator Robert Wagner lancierten Gesetzentwurf wurde erstmals in der amerikanischen Geschichte das Recht der Betriebsbelegschaften gesetzlich verankert, sich gewerkschaftlich zu organisieren, Tarife auszuhandeln und für ihre Forderungen notfalls zu streiken.Gegen dieses Gesetz richtete sich nun die Vorlage von Taft und Hartley. Erneut legte Truman ein Veto ein, doch diesmal wurde der Präsident vom Kongress überstimmt. Formal eine Ergänzung des Wagner Act, regelte das Taft-Hartley-Dekret das Verhältnis zwischen Betriebsführung und Belegschaften derart, dass sich – so urteilt der amerikanische Historiker Joshua B. Freeman – die Kräftebalance in der US-Wirtschaft zuungunsten der Gewerkschaften, hin zu Vorrechten der Firmeneigentümer verschob. Was der Arbeiterschaft in den 30er Jahren mit dem New Deal zugestanden wurde, war nur noch eine sozialpartnerschaftliche Erinnerung wert.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.