Dritter Weg nach nirgendwo

Verdrängtes Kapitel der "Wende" Hans Modrows Wirtschaftsreformen waren Makulatur, als Helmut Kohls Währungsunion auf der Tagesordnung stand

Lebens-Wende
1989-2004
Im Bruch der Zeiten wandelte sich Leben in Davor und Danach. Träume wurden wahr oder zu Albträumen. Die Wende-Zeit ließ für einen kurzen Augenblick Utopie und Wirklichkeit aufeinander treffen. Im Herbst ´89 war das besonders beim Bemühen um einen reformierten Sozialismus in der DDR der Fall.
Heute: 7. Teil

Wer sich der "Wendezeit" erinnert, rekapituliert in der Regel politische Parolen und keine wirtschaftlichen Programme. Im Rückblick zerfällt der Untergang der DDR 1989/90 nach der geltenden Lesart in die "Wir sind das Volk"-Phase, die bald nach dem Mauerfall vom 9. November 1989 von der "Wir sind ein Volk"-Phase verdrängt wird. Dabei gilt Phase I inzwischen mehr als Präludium, das schon von der "eigentlichen" Bestimmung der "Herbstrevolution" durchdrungen ist, wie sie sich mit dem 3. Oktober 1990 erfüllen sollte. Was die ohnehin selten erinnerte ökonomische Wende in der DDR angeht, haben sich die vorherrschenden Deutungsmuster auf das Modell Zeitraffer verständigt - demnach folgt auf den Abschnitt "Fall der Mauer" sofort das Kapitel "Währungsunion". Diese Art von Retrospektive blendet aus, dass der Zustand der DDR-Ökonomie und die Sorge, wie und ob es mit ihr weitergehen könnte, für den Wende-Herbst vor 15 Jahren von erheblichem Gewicht waren.

Das vom damaligen SED-Generalsekretär Egon Krenz beim Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission in Auftrag gegebene "Schürer-Papier" (s. Dokumentation), das am 27. Oktober 1989 vorlag, analysierte Fehlentwicklungen, wie sie seit dem VIII. SED-Parteitag von 1971 eingetreten waren, sprach von einer international nicht wettbewerbsfähigen Arbeitsproduktivität sowie einem drastischen Anstieg der Auslandsschulden. Dieses Papier, das keinen Zweifel ließ, wie prekär die Lage war, beschleunigte die Ablösung von Ministerpräsident Stoph und die Wahl Hans Modrows zu dessen Nachfolger. Als Letzterer seine Koalitionsregierung formierte, kam es zu einem Sakrileg: der SED-Parteiapparat hatte nicht mehr das alleinige Sagen über die Vergabe der Ressorts. Generalsekretär Krenz musste sich damit abfinden, dass mit Modrow ein Mann ins Amt kam, der nicht sein Wunschkandidat war.

Nicht länger Planung ohne Markt

In seiner Regierungserklärung vom 17. November wies der neue Ministerpräsident darauf hin, "dass politische Stabilität ohne ökonomische Stabilität undenkbar ist". Der Erfolg sämtlicher Reformen hänge davon ab, ob es gelinge, die DDR-Volkswirtschaft "aus den krisenhaften Prozessen herauszuführen". Insofern galt die Reform der Ökonomie als Kern des Regierungsprogramms. Allerdings stand dafür konzeptionell nur wenig zur Verfügung. Modrow stützte sich vorzugsweise auf Expertisen von Wirtschaftswissenschaftlern um Dieter Klein, den Prorektor der Berliner Humboldt-Universität, und von Christa Luft, der Rektorin der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst. Mit Vertretern der oppositionellen Bürgerbewegungen gab es zunächst seitens der Regierung keinen Kontakt, was sich nicht zuletzt aus dem Umstand ergab, dass der Wirtschaftssachverstand zunächst bei der SED konzentriert blieb. Im Unterschied zu ihren teils recht apodiktischen politischen Vorstellungen enthielten die wirtschaftlichen Konzepte des Neuen Forums oder des Demokratischer Aufbruchs eher allgemeine Forderungen nach einer "Reform der Preis- und Subventionspolitik", einer "Dezentralisierung der Finanzpolitik" und nach "Maßnahmen gegen die schleichende Inflation". Demokratie jetzt plädierte Mitte November 1989 dafür, "dem Staat die Entscheidung über die Wirtschaft zu entwinden".

Modrow selbst wollte den Staatsplan nicht abschaffen, aber nicht länger an einer "Planung ohne Markt" festhalten, die Formel "Marktwirtschaft statt Planwirtschaft" lehnte er ab. Seine Wirtschaftsministerin Christa Luft erhielt den Auftrag, eine neue ökonomische Plattform zu entwickeln, die auf Vorstellungen der von Wolfram Krause geleiteten "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" aufbauen sollte. Krause war 1978 bei DDR-Wirtschaftszar Günter Mittag in Ungnade gefallen und hatte am 3. November 1989 in einem Artikel für die Zeitung Neues Deutschland die Position vertreten, "ein funktionierender Marktmechanismus" für die DDR sei "unverzichtbar".

Der Runde Tisch gibt grünes Licht

Da Hans Modrow bereits nach Öffnung der Mauer ins Amt kam, musste er bei allen Reformabsichten auch die Vorstellungen der Bundesregierung mit ins Kalkül ziehen, nicht zuletzt den von Kanzler Kohl am 27. November 1989 verkündeten "Zehn-Punkte-Plan", der einen "Abbau der bürokratischen Planwirtschaft" zugunsten von "marktwirtschaftlichen Bedingungen" in der DDR ebenso reklamierte wie eine Zulassung "privatwirtschaftlicher Betätigung", worüber es zunächst wenig Dissens mit der Regierung Modrow gab. Am 6. Dezember 1989 stellte der Regierungschef die bis dato vorliegenden Ergebnisse der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" in einer Runde mit Kombinatsdirektoren vor und warb um deren Mitarbeit - die Situation sei "äußerst ernst".

Als sich die DDR-Ökonomie auch im Januar nicht konsolidierte, nahm der Druck auf Wolfram Krause zu, das Reformkonzept zügig zu vollenden. Innerhalb von 14 Tagen wollte Hans Modrow nun das Reformpaket auf dem Tisch haben. Tatsächlich konnte der DDR-Ministerrat am 1. Februar die Vorlage Zielstellung, Grundrichtung, Etappen und unmittelbare Maßnahmen der Wirtschaftsreform verabschieden, die im Kern den "schnellen Übergang von der Kommandowirtschaft einer zentralistischen Direktiv-Planung zu einer sozial und ökologisch orientierten Marktwirtschaft" auf der Basis eines gemischten Eigentums (privat, genossenschaftlich, staatlich) vorsah. Unklar war, wie sich die seit Dezember 1989 am "Zentralen Runden Tisch" vereinten und seit Mitte Januar von der Regierung Modrow als Partner akzeptierten Bürgerbewegungen dazu verhalten würden. Auch durfte das Reformprogramm den Vorstellungen der Bundesregierung nicht prinzipiell widersprechen.

"Freiheit statt Sozialismus"

Schon am 5. Februar gab der "Runde Tisch" grünes Licht, indem er das Regierungskonzept "als Grundlage weiterer, notwendiger Entscheidungen" im Hinblick auf eine Wirtschaftreform wertete. Bonn - so glaubte Modrow - werde ebenfalls nicht prinzipiell widersprechen, hatte doch die bundesdeutsche Seite schon auf der Tagung der "deutsch-deutschen Wirtschaftskommission" am 23. Januar 1990 mit Befriedigung "eine klar politische Akzentverschiebung der DDR-Regierung zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmer" zu Kenntnis genommen. Auch hatte man die Vorarbeiten zu einem Joint-Venture-Gesetz sowie die Absicht begrüßt, sich vom staatlichen Außenhandelsmonopol zu verabschieden. Am 20. Januar veröffentlichten die "Wirtschaftsweisen" der Bundesrepublik ein Sondergutachten Zur Unterstützung der Wirtschaftsreform in DDR. Voraussetzungen und Möglichkeiten, in dem es zwar hieß, "einen erfolgversprechenden ›Dritten Weg‹ zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft" könne es nicht geben, aber zugleich die Auffassung vertreten wurde: "Wenn es zu einer lediglich partiellen Korrektur der Planwirtschaft durch einzelne marktwirtschaftliche Elemente kommen sollte, müsste das in der Bundesrepublik hingenommen werden." Diesen Rat schlug die Bundesregierung keine zwei Wochen später, als Kohl sicher sein konnte, Michail Gorbatschow würde eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten nicht blockieren, in den Wind.

Am 2. Februar 1990 sprach sich das Kabinett in Bonn für den "zügigen Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zu Sozialer Marktwirtschaft in der DDR" aus. "Freiheit statt Sozialismus" sei die Tagesforderung. "Freiheit zur wirtschaftlichen Entfaltung" beinhalte vor allem "Freiheit zum Erwerb von Eigentum". Eine Forderung, die kurze Zeit später in Artikel 1 des "Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion" in der Formulierung, "Grundlage der Wirtschaft ist die Soziale Marktwirtschaft ... Sie wird insbesondere bestimmt durch Privateigentum", Gesetz wurde.

Hans Modrow erfuhr am 3. Februar auf dem in Davos stattfindenden Weltwirtschaftsgipfel durch Helmut Kohl offiziell von der geplanten Währungsunion. Faktisch war damit ein eigenständiger Weg des Ostens vom Plan zum Markt beendet. Zwar wurden von der Regierung Modrow, der seit dem 5. Februar auch Minister aus den neuen Bewegungen und Parteien angehörten, während der verbleibenden sechs Wochen bis zur Abwahl am 18. März 1990 noch Gesetze im Sinne der Wirtschaftsreform beschlossen - das Joint Venture-Gesetz etwa oder das Gewerkschafts- und das Treuhandgesetz. Doch sollten diese Rechtsakte - darüber waren sich Modrow und seine Minister, die Volkskammer wie der Runde Tisch einig - vor allem Barrieren sein gegen den sich abzeichnenden Durchmarsch bundesdeutschen Rechts und bundesdeutscher Kapitalinteressen. Es ging nicht mehr um "Gestaltung" oder um eigene Wirtschaftsreformen, es ging nur noch um den - letztlich vergeblichen - Versuch, Bewahrenswertes aus der späten DDR in die erweiterte Bundesrepublik hinüber zu retten.


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