Am 1. Juli 1983 unterzeichnen Ludwig Huber, Vorstandschef der Bayerischen Landesbank, und Werner Polze, Präsident der DDR-Außenhandelsbank, einen Vertrag über einen Kredit von einer Milliarde DM. Gewährt wird er von einem Konsortium westdeutscher Banken, allen voran die Bayernbank. Auf den ersten Blick handelt es sich um einen ganz normalen Kredit von Bank zu Bank. Auch ist seine Höhe im internationalen Finanzgeschäft keineswegs ungewöhnlich, das Gleiche gilt für die vereinbarten Sicherheiten, etwa die Höhe der Zinsen. Zustande gekommen ist diese Transaktion indes auf höchst ungewöhnlichem Wege, worüber zunächst nur Insider informiert sind. Öffentliches Aufsehen erregt das Geschäft erst in dem Augenblick, da der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß am 16. Juli 1983 im Hausblatt Bayernkurier über die Kreditverhandlungen informiert und bekannt gibt, er sei es gewesen, der „dies alles eingefädelt“ habe.
Strauß lässt dabei jedoch keinen Zweifel daran, dass Kanzler Helmut Kohl von Anfang an über diesen kommerziellen Kontakt mit der DDR unterrichtet gewesen sei. Im Übrigen könne er den Bundesbürgern versichern, dass „niemals auch nur ein Pfennig Steuerzahlergeld auf dem Spiele stand“. Die bei derartigen Krediten üblichen Bürgschaften gegenüber den privaten Banken habe zwar die Bundesregierung übernommen. Haften aber würde – falls man in Ostberlin mit Zinszahlungen beziehungsweise beim Tilgen in Verzug geraten sollte – die DDR. Bonn dürfe in diesem Falle die an Ostberlin zu zahlende Transitpauschale – seinerzeit über eine halbe Milliarde DM pro Jahr – einbehalten.
Rivale Kohl
Ein erstaunlicher, um nicht zu sagen: spektakulärer Vorgang – Strauß als spiritus rector einer Hilfsaktion für den Osten. Als Finanzminister der großen Koalition hat er anderthalb Jahrzehnte zuvor noch lautstark verkündet: „Keinen Pfennig in die DDR!“. Mindestens ebenso überraschend ist aber auch, dass sich die SED-Führung auf Geheimverhandlungen mit Strauß eingelassen hat, den sie häufig genug als „ alten Kalten Krieger“ gegeißelt hat.
Was Strauß angeht, so muss über Motive nicht lange gerätselt werden. Er kann sich gegenüber seinem Rivalen Kohl als Deutschlandpolitiker mit Schneid und Courage in Szene setzen. Honeckers Plazet für Verhandlungen mit einem solchen Hardliner lässt sich nur damit erklären, dass die Finanzlage der DDR um jene Zeit immer dramatischer zu werden droht und im internationalen Finanzverkehr der Offenbarungseid einer Insolvenz näher rückt.
Gerade erst als Nachfolger Walter Ulbrichts zum SED-Chef gewählt, hat Erich Honecker 1971 einen Wohlfahrtsstaat auf den Weg bringen wollen, den die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik prägt. Letztere beruht auch auf Westimporten, die ab Mitte der siebziger Jahre immer weniger durch Ausfuhren konkurrenzfähiger DDR-Maschinenbauerzeugnisse zu kompensieren sind. Es müssen Kredite bei westlichen Banken aufgenommen werden. Die Nettoschulden der DDR steigen von neun Milliarden DM 1975 auf 25 Milliarden 1982. Fast die gesamten Gewinne im Westexport gehen durch Zinszahlungen wieder verloren – neue Kredite dienen dazu, alte Schulden zu begleichen.
Ähnlich ergeht es fast allen anderen osteuropäischen Partnerländern. Westliche Banken haben noch bis Ende der siebziger Jahre ihre Kunden im Osten in der Annahme bedient, die Sowjetunion werde bei Zahlungsschwierigkeiten ihrer Verbündeten notfalls einspringen. Doch braucht Moskau seine Devisen zusehends selbst, um Versorgungslücken zu schließen oder um dem Rüstungswettlauf mit den USA gewachsen zu sein.
Als den Kreditgebern klar wird, dass die verschuldete osteuropäische Klientel nicht länger auf ihre „Schutzmacht“ zählen darf, versiegt der Kreditfluss. Es ist zudem der 1980 zum US-Präsidenten gewählte Republikaner Ronald Reagan, der westliche Finanzinstitute nachdrücklich auffordert, die Kreditvergabe einzustellen. So gerät 1980 als erster Ostblock-Staat Polen in Zahlungsnot, im Frühjahr 1981 folgt Rumänien, dessen Staatschef Nicolae Ceauşescu keinen anderen Ausweg sieht, als ein Hilfeersuchen an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu richten. Der macht eine strikte Sparpolitik zur Bedingung der Kreditvergabe. Um diese Auflage zu erfüllen, werden in Rumänien Lebensmittelimporte auf ein Minimum zurückgefahren, Lebensmittelexporte dagegen verdoppelt. Die 1954 abgeschaffte Rationierung von Öl, Milch, Butter und Zucker kehrt 1981 zurück. „Luxusgüter“ wie Kaffee und Zigaretten verschwinden ganz aus den staatlichen Läden.
Sondieren auf Gut Spöck
Wie Bukarest muss auch Ostberlin 1980 erfahren, dass auf sowjetische Finanzhilfe zur Begleichung von Devisenschulden nicht zu rechnen ist. Sich ebenfalls an den IWF zu wenden, lehnt Honecker kategorisch ab, „weil das den Lebensstandard senken würde“. Es bleibt noch die Bundesregierung. Man fühlt bei der Regierung von SPD-Kanzler Helmut Schmidt vor, der darauf besteht, dass ein staatlicher Kredit an vertraglich festgelegte „menschliche Erleichterungen“ geknüpft sein müsse. Die DDR würde sich damit Souveränität abkaufen lassen, argumentiert Honecker, ein Junktim zwischen einer möglichen Kreditaufnahme und einem veränderten Grenzregime bzw. Reiseerleichterungen kämen nicht in Betracht. „Die Lage schien aussichtslos“, erinnerte sich Jahre danach der damalige Staatssekretär Alexander Schalck-Golodkowski.
Nachdem im Oktober 1982 Helmut Kohl Kanzler Schmidt abgelöst hat, bemüht sich Schalck erneut um einen Kredit der Bundesregierung. Als Mittelsmann bietet sich Josef März an, ein geschäftlich mit der DDR verbundener bayerischer Unternehmer aus dem Fleischhandel, außerdem ein Vertrauter des bayerischen Ministerpräsidenten Strauß. Der trifft Schalck zum ersten Mal am 5. Mai 1983 auf Märzens Gut Spöck in Oberbayern. Zwei weitere Begegnungen folgen Mitte Mai und Anfang Juni. Über bestimmte Modalitäten ist man sich bald einig: Der von der DDR gewünschte Kredit soll kein staatlicher Kredit der Bundesrepublik sein. Sich über politische Gegenleistungen zu verständigen, erweist sich als schwieriger. Kohl hält zunächst am Schmidtschen Junktim fest, Honecker bleibt bei seinem Veto. Schalck und SED-Wirtschaftssekretär Günter Mittag drängen zum Kompromiss. Letzten Endes wird ein Forderungskatalog des CSU-Vorsitzenden angenommen, der es in sich hat: Die DDR soll Selbstschussanlagen an ihrer Westgrenze abbauen, die Art und den Ton der Grenzabfertigung ändern, mehr Häftlings-Freikauf zulassen, Familienzusammenführungen und den Reiseverkehr wesentlich erleichtern. Honecker erreicht aber, dass die politischen Konditionen für den finanziellen Beistand vertraulich behandelt werden. Mit anderen Worten, das Junktim wird offiziell nicht verkündet und später öffentlich kaum zur Sprache gebracht. Keine Frage, die DDR will in ihren Entscheidungen nach außen hin souverän bleiben.
Die von Strauß gegenüber Schalck gerügte „Praxis der Grenzabfertigung, das Gebrüll und Geschrei, die Schikanen“, wird bereits zwischen dem zweiten und dritten Treffen der beiden Emissäre korrigiert. Ende September 1983 – die erste Kredittranche ist bereits ausgezahlt – übergibt Schalck an Strauß eine Karte, in der die Selbstschussanlagen verzeichnet sind, deren Abbau bereits erfolgt ist oder eingeleitet wurde. Noch 1984 erhöht sich die Zahl derjenigen, die aus der DDR in die Bundesrepublik ausreisen dürfen, auf 35.000 Personen gegenüber 7.700 im Vorjahr. Zuvor schon, Ende 1983, ist die zweite Kredittranche geflossen. Zufrieden mit dem Milliardengeschäft ist man auf beiden Seiten. Die DDR-Führung hat ihr Gesicht wahren können, die Bundesregierung ist im Sinne des von Egon Bahr 1963 angeregten „Wandels durch Annäherung“ ein gutes Stück vorangekommen.
Jörg Rösler schrieb in dieser Rubrik zuletzt über den 17. Juni 1953
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.