Ein Thema wird einmal mehr zum Spielball zwischen Regierung, Justiz und Medien. Im Jahr nach dem spektakulären Prozess gegen Kardinal George Pell, den höchsten Vertreter des katholischen Klerus in Australien, der in dubio pro reo endete, wird nun einem prominenten Politiker vorgeworfen, der Vergewaltigung schuldig zu sein. Eine nicht eben seltene Straftat in Down Under, zu der es in Australien pro Einwohner fast viermal häufiger kommt als beispielsweise in Deutschland. Mit erstickter Stimme musste Justizminister und Generalstaatsanwalt Christian Porter bei einer Pressekonferenz einräumen, ein Beschuldigter zu sein. Doch weist er alles von sich – trotz belastender Zeugenaussagen. Bis vor kurzem galt Porter als aussichtsreicher Kandidat für das Amts des Premierministers. Er besitzt mit der Aufsicht über den Justizapparat wie die Gesetzgebung eine nicht zu unterschätzende Machtfülle.
Beurlaubt bis Ende März
Beim Presseauftritt behauptete ein weinerlich wirkender Porter: Sollte er wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs zurücktreten müssen, wären viele Karrieren in Gefahr. Kein überzeugendes Argument. Dass Vergewaltigungsopfer Täter anzeigen oder öffentlich beschuldigen, kommt in Australien nach wie vor selten vor. Stattdessen meiden sie die Öffentlichkeit, schämen sich für die erlittene Tat und suchen die Schuld nicht selten gar bei sich selbst. Auch im Fall Porter könnte es so gewesen sein. Er war 17, sie 16, als es zu einer strafbaren Handlung gekommen sein soll. Das Opfer – Angaben zur Person sind dabei in Australien verboten – hat sich erst einem späteren Lebenspartner anvertraut, der heute sagt, er habe mit Porter über die Tat geredet. Als sich die Frau schließlich dazu durchrang, bei der Polizei Anzeige zu erstatten, merkte sie offenbar, dass ihr für alles, was daraus folgen würde, die Kraft fehlte. Sie nahm sich das Leben.
Ex officio hatte Christian Porter alle Möglichkeiten, gerichtliche Untersuchungen gegen sich selbst zu veranlassen. Er unterließ es, obwohl ihm als Jurist klar sein musste, dass sich sein angeschlagener Ruf am besten in einem Gerichtsverfahren wiederherstellen ließe. Nach dem Freitod des mutmaßlichen Opfers hat sich eine juristische Aufarbeitung indes weitgehend erledigt. Ohnehin hat Regierungschef Scott Morrison bereits erklärt, er glaube Porter. Es brauche keine unabhängige gerichtliche Untersuchung. Bis zum 31. März wurde der Minister beurlaubt, um sich seiner „mentalen Gesundheit“ zu widmen.
Regenerieren durfte sich auch Verteidigungsministerin Linda Reynolds, nachdem eine Mitarbeiterin ausgesagt hatte, sie sei in deren Parlamentsbüro von einem Kollegen vergewaltigt worden. Reynolds nannte Brittany Higgins daraufhin „eine lügnerische Kuh“. Als deshalb viele Australierinnen nicht nur empört waren, sondern Mitte März für mehr Rechte auf die Straße gingen, bekamen sie von Premier Morrison zu hören: Sie hätten das Glück, in Australien zu leben, in Ländern wie Myanmar würde man auf sie schießen. Es hat den Anschein, als wollte Morrison mit seiner Regierung eine Bastion verteidigen. Ein solches machohaftes und diskriminierendes Verhalten ist in Australien, der früheren britischen Strafkolonie und Männergesellschaft, nach wie vor weit verbreitet. Und das, obwohl in Sportvereinen, an Schulen und Universitäten sexuelle Gewalt an der Tagesordnung ist und im System des „hire and fire“ der australischen Wirtschaft ihren Lauf nehmen kann.
Im elitären Canberra gilt Morrisons wirtschaftsfreundliche Liberal Party als besonders frauenfeindlich und wird deutlich weniger von Frauen als Männern gewählt. Nur wenige sitzen im Parlament, noch weniger in Morrisons Kabinett. Mit einer ziemlich geschmacklosen, misogynen Kampagne gelang der Partei 2013 der Regierungswechsel. Wie die damalige Regierungschefin Julia Gillard von der Labor Party verächtlich gemacht wurde, gelangte bis auf die Speisekarte eines Spenden-Dinners. „Julia Gillard: Wachtel mit kleinen Brüsten und fetten Schenkeln“ war dort zu lesen und die bis dahin einzige Premierministerin des Landes umso mehr erledigt. Immerhin gelang es Gillard, während ihrer kurzen Amtszeit, mit einer vielbeachteten Parlamentsrede gegen frauenfeindliche Umtriebe ein Zeichen zu setzen.
Die Vorwürfe gegen Pell und Porter weisen viele Gemeinsamkeiten auf: Beide sehen sich als Opfer der Medien. Dabei wurde Pell gar nicht übermäßig hart angegangen, wie dies katholisch-konservative Kreise behaupten. Ungeachtet dessen stellt sich der Kardinal inzwischen als Justizopfer dar, auch wenn seine Anwälte eine Gefängnisstrafe vor dem Jury-Spruch als angemessen bezeichneten. Immerhin hatten die Geschworenen Pell erstinstanzlich schuldig gesprochen, bevor ihn die Revision nach der Maxime freisprach: „im Zweifel für den Angeklagten“.
Porter verklagt die Medien
Und was tut Porter? Am Tag der Märsche für mehr Frauenrechte ist dem Justizminister nichts Besseres eingefallen, als den Sender ABC wegen gegen ihn erhobener Vorwürfe zu verklagen. Nach Australiens archaisch anmutendem Beleidigungsgesetz muss der Kanal nun womöglich die Vergewaltigung, über die er ohne Namensnennung Porters berichtet hatte, juristisch beweisen – oder Strafe zahlen.
Immer wenn es in den vergangenen Jahren zu einer Machtprobe zwischen der Regierung beziehungsweise Justiz und den Medien kam, waren Letztere die Verlierer. Schnell wurde besonders die Presse, etwa die des Medienunternehmers Rupert Murdoch, als zwielichtig dargestellt und gar in die Nähe eines zu allem bereiten Mobs gerückt. Das scharfe Beleidigungsgesetz wollte Justizminister Porter längst entschärfen. Nun nutzt er es in eigener Sache, um einen juristischen Sieg gegen kritische Medien zu landen. Seine Beleidigungsklage liefert einen weiteren Beleg dafür, wie die Regierung in Canberra versucht, kritische Berichte zu verhindern und Medien einzuschüchtern. Nicht zuletzt deshalb ist man in Australien weit davon entfernt, Frauen vor sexuellen Übergriffen wirksam zu schützen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.