Ein gutes Ergebnis für Brandenburg, für die Lausitz, für den Klimaschutz, für die Energiesicherheit und akzeptable Strompreise, lobte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Auch für Reiner Haseloff (CDU), dem Landeschef von Sachsen-Anhalt, hat sich Kompromiss zum Ausstieg aus der Braunkohle gelohnt: "Wir haben ein klares Raster für die nächsten 20 Jahre". Und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) forderte die Bundesregierung auf, nun schnell die nötigen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen.
Eitel Sonnenschein herrschte bei den Ministerpräsidenten der Ost-Kohleländer – vor einem Jahr. Die Zitate stammen allesamt von dem Tag, als die Kohlekommission nach einer ewig langen Nachtsitzung am 26. Januar 2019 weißen Rauch aufsteigen ließ.
Vor Jahresfrist hatten sich Politik, Verbände, Wissenschaft und die berühmte Zivilgesellschaft auf den Abschlussbericht der Kohlekommission geeinigt und diesen einstimmig angenommen – nein, nicht ganz. Die Vertreterin der Lausitzer Tagebaubetroffenen, Hannelore Wodtke, trug den Bericht nicht mit, weil es keine Sicherheit gab, dass in ihrer Heimat nicht noch weitere Orte abgebaggert würden.
Was Ost-Ministerpräsidenten wünschen
Die Ost-Ministerpräsidenten konnten sich dagegen über ein Füllhorn freuen: 40 Milliarden Euro sollte es für ihre Kohle-Regionen geben, ihre Wünsch-Dir-Irgendwas-Listen mit hunderten von Projekten wurden Teil des Abschlussberichts, ihre Braunkohle blieb bis weit in die 2020er Jahre von Abschaltungen verschont - die ersten 3000 Megawatt Kohle sollen allein im Westen vom Netz.
Und das alles sollte schnell Eins-zu-Eins umgesetzt werden, lautete der Herzenswunsch der Ost-Kohleländer.
In der Rückschau fragt man sich: Was ist da in den letzten zwölf Monaten passiert, dass die Kanzlerin in diesem Januar am Ende eingreifen musste, um den Kohleausstieg noch am Leben zu erhalten.
Eine Möglichkeit: Haseloff, Kretschmer und Woidke hatten von Anfang vor, in Ruhe zuzuschauen, wie sich die Kohlekommission die Nächte um die Ohren schlug - im sicheren Wissen machtbewusster Ministerpräsidenten, dass man den zivilgesellschaftlichen Klimbim wieder einkassiert, wenn er nicht passt.
Für diesen Verdacht spricht, dass sich die drei Ost-Kohleländer bei der Kanzlerin als erstes ihrer Verpflichtung zur sogenannten 10-Millionen-Tonnen-Einsparung Mitte der 2020er Jahre entledigten. Die dafür in der großen Einigungsnacht zusammengezimmerte "innovative Lösung" war von Anfang an unglaubwürdig, aber auch die Umweltverbände schluckten die Kröte um des Kompromisses willen.
Zusammen mit den nunmehr verlängerten Laufzeiten der Braunkohle, dem stärkeren Einsatz von Erdgas und dem schleppenden Ausbau der Erneuerbaren werden in den kommenden Jahren durch die Energiewirtschaft zwischen 40 bis 140 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich emittiert.
Bund und Kohle-Länder machen sich darum keine großen Sorgen. 2030, das Jahr der verbindlichen Klimaziele, scheint noch weit weg. Und wenn die Grünen 2021 in die Bundesregierung kommen sollten, dürfen sie dann die Kohlen im Sinne des Wortes aus dem Feuer holen. Der jetzige Kohleausstieg ist einer, der die eigentliche Arbeit einer kommenden Regierung überlässt, sagen Beobachter ziemlich einhellig.
Viel einschneidender gerade für Kretschmer und Woidke war, dass sie bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen trotz des 40-Milliarden-Füllhorns ihre Macht nur mit Mühe und nur unter Mithilfe der Grünen, verteidigen konnten - gegen die Rechtspopulisten von der AfD.
Auch wenn Wahlanalysen zeigten, dass die Regionen, die vom Kohleausstieg stärker betroffen sind, keineswegs zu den AfD-Hochburgen zählen - mit der anhaltenden Angst vor dem wegen Kohleausstieg und Klimaschutz drohenden Machtverlust in den Ländern ließ sich in Berlin weiter bestens Druck machen.
Statt der 40 Milliarden schlugen die Ost-Kohleländer bei der Kanzlerin nun 50 Milliarden und noch ein paar Vorzeigeprojekte mehr heraus – und glauben, dass sie mit zehn versprochenen Milliarden mehr bei den Bürgern nun die Zustimmung einwerben können, die sich bisher nicht einstellte.
Das Schwächeln der Kohlebranche
Aber nur am Geld liegt es eben nicht. In der Kohlebranche erleben wir derzeit eine Zeitenwende. Das jahrzehntealte Prinzip des deutschen (Braun-)Kohleindustriellen Komplexes - Politik und Gerichte sorgen für ein ungestörtes Baggern und die Stromkonzerne für Vorzeige-Regionen, wo Politiker rote Bänder durchschneiden können - funktioniert nicht mehr. Inzwischen ist sich auch in der Branche jeder selbst der Nächste. Global gesprochen: Auch in Deutschland funktioniert das extraktive Modell nicht mehr.
So schwächelte die bisher so unangreifbare Braunkohle 2019 zum ersten Mal. Um ein Viertel ging ihre Stromerzeugung im Vergleich zum Vorjahr zurück – zum einem ist das der so genannten Sicherheitsbereitschaft geschuldet, mit der inzwischen nahezu 2.000 Megawatt Braunkohle aus dem Markt genommen sind.
Zum anderen liegt es aber auch an steigenden Preisen im europäischen Emissionshandel und der immer härteren Konkurrenz von Wind- und Sonnenstrom. Und dabei hatte die Braunkohle in den letzten Jahren einiges getan, um konkurrenzfähiger zu werden: Jedes Jahr fallen bei ihr zwei bis drei Prozent der Arbeitsplätze weg. Die großen, früher unflexiblen Blöcke können inzwischen ihre Leistung bis zur Hälfte drosseln. Aber am Markt nützt das alles nicht mehr viel.
Vor allem die Ost-Länder, deren Braunkohle praktisch zwei tschechischen Milliardären und Finanzinvestoren gehört, müssen befürchten, dass diese die Lust an dem schwieriger werdenden Geschäft verlieren - und dann würden die Länder mit finanziell entblößten Unternehmen und Milliarden-Altlasten für die Rekultivierung dastehen.
Dieses Szenario zu verhindern – das ist letztlich der eigentliche Sinn der neuerlichen Milliarden-Entschädigungen für die Braunkohle-Unternehmen. Extra kam dazu ins Kohleausstiegsgesetz auch ein Passus, dass die Entschädigungen für die „Deckung der Kosten der Rekultivierung und Wiedernutzbarmachung der Tagebaue und aller Tagebaufolgekosten“ verwendet werden dürfen, wie es im Gesetz heißt.
Im Westen was Neues
Bei solchen Zugeständnissen an den Osten konnte der Westen natürlich nicht leer ausgehen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) kann sich gegenüber dem, was die Kohlekommission beschloss, vor allem die Inbetriebnahme von Datteln 4 als Erfolg anrechnen sowie die „Lex Garzweiler“, dass also der Tagebau per Bundesgesetz gegen alle Widerständen vor Ort bis zu Ende ausgekohlt wird.
Die Auflösungserscheinungen des bisher so festgefügten Machtblockes bieten aber auch neue Chancen. Bundes- und Landespolitik sind ob der offensichtlichen Aufkündigung des Kohlekompromisses moralisch mehr denn je in der Defensive. Ohne Not haben sie die Einigung, die die Umweltbewegung nur mit blankem Entsetzen und größten Bauchschmerzen akzeptierte, recht brachial einseitig verändert.
Gegen so viel Undemokratie hilft wirklich nur noch ziviler Ungehorsam, argumentieren Anti-Kohle-Aktivisten und Klimabewegung zu Recht. Sie müssen nun nicht mehr auf einem Kohle-Konsens Rücksicht nehmen, der in diesem Land ein Jahr lang möglich schien. Die Fronten scheinen wieder die alten zu sein, aber längerfristig werden sich die Machtverhältnisse verschieben – zugunsten der Kohleaussteiger.
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