IPCC-Synthesebericht: Aktuelle Klimaziele führen in unvorstellbare Katastrophe

Meinung Die aktuellen Klimaziele begrenzen den Temperaturanstieg viel zu langsam. Der Weltklimarat warnt vor unabsehbaren Folgen, wenn die CO₂-Emissionen nicht drastisch reduziert werden. Doch die Transformation träger Systeme ist schwierig
Ausgabe 12/2023
Der Stausee Serre-Poncon in den französischen Alpen ist beinahe ausgetrocknet (16. März 2023)
Der Stausee Serre-Poncon in den französischen Alpen ist beinahe ausgetrocknet (16. März 2023)

Foto: Nicolas Tucat/AFP/Getty Images

Der Satz auf Seite 25 im Synthesebericht des Weltklimarats (IPCC), der Summary for Policymakers, fasst wie im Brennglas zusammen, wo wir uns befinden: „Die in diesem Jahrzehnt getroffenen Entscheidungen und durchgeführten Maßnahmen werden sich jetzt und für Tausende von Jahren auswirken“ (Hauptaussagen aus dem Synthesebericht). (im Original: „The choices and actions implemented in this decade will have impacts now and for thousands of years“.)

Gut 150 Jahre brauchte die Menschheit, um so viel Treibhausgase in die Atmosphäre zu pusten, dass wir jetzt bei 1,2 Grad Erwärmung angekommen sind. Selbst bei radikaler CO₂-Reduktion ab sofort würde die Erdtemperatur vorerst zwei Jahrzehnte weiter steigen. Das Weltklima ist ein träges System.

Das zeigt nun unumkehrbare Ewigkeitsfolgen. Wörtlich warnt der Synthesebericht: „In den nächsten 2.000 Jahren wird der mittlere globale Meeresspiegel um etwa 2 bis 3 Meter ansteigen, wenn die Erwärmung auf 1,5 Grad, und um 2 bis 6 Meter, wenn sie auf 2 Grad begrenzt wird.“

Würden alle Länder ihre aktuellen Klimaziele umsetzen, kämen wir im Jahr 2100 bei drei Grad heraus. Wie ein Leben in so einer Klimawelt aussieht, das kann man zwar ausrechnen, sagt die Klimawissenschaft, vorstellen aber können wir es uns nicht.

Klimaschutz ist eine soziale Frage

In einem Punkt hat sich die Klimawissenschaft im neuen Bericht korrigiert: Die menschliche Gesellschaft hat sich verletzlicher gezeigt, als die Klimaforscher ursprünglich angenommen hatten. Wir müssen mindestens auf den Zwei- oder – noch besser – auf den 1,5-Grad-Pfad kommen. Das ist alternativlos. Jedes Zehntelgrad weniger ist ein Stück Weltrettung.

Deswegen müssen, sagt der Synthesebericht, die globalen CO₂-Emissionen schnell runter: um knapp die Hälfte bis 2030, um zwei Drittel bis 2035 und um hundert Prozent bis zur Mitte des Jahrhunderts. Ob das gelingt, entscheiden wir – das Klimasystem ist träge – in den nächsten Jahren. Das Jetzt und die Jahrtausende fallen zusammen.

Die Klimawissenschaft versprüht hier weiter Hoffnung, ergeht sich im Möglichkeiten-Narrativ. Alles, was wir an Techniken benötigen, sei vorhanden, sagt sie.

Das ist richtig. Die letzten Jahre zeigten aber auch: Klimaschutz ist vor allem auch eine soziale Frage. Auch das findet sich im neuen Bericht wieder – Zitat: „Personen mit einem hohen sozioökonomischen Status tragen überproportional zu den Emissionen bei und haben das größte Potenzial für Emissionsminderungen.“

Reiche kaufen sich vom Klimaschutz frei

In einem Vorläuferbericht wurde der Weltklimarat da konkreter: Die zehn reichsten Prozent der Menschheit verursachen 36 bis 45 Prozent der weltweiten Emissionen. Das ist zehn Mal so viel wie der Beitrag der ärmsten zehn Prozent. Das ärmere Zehntel der Weltbevölkerung hat nur drei bis fünf Prozent der Emissionen zu verantworten.

Ab und zu ploppt nun auch in Deutschland die Frage auf: Kann man – oder muss man sogar – den Reichen ihre klimakillenden Spielzeuge wegnehmen, die Premium-SUV, die Privatflugzeuge, die Chalets und Megayachten?

Denn über höhere Klimasteuern oder teureren Sprit lächeln solche Einkommensklassen nur müde. Reiche werden sich vom Klimaschutz immer freikaufen können, lautet die einfache Wahrheit.

Also bleibt nur das Ordnungsrecht, bleiben Vorschriften und Verbote. Ein Tempolimit gilt für alle gleichermaßen. Wie träge hier die Transformation vor sich geht, kann jeder selbst überprüfen. Konsum- und Verhaltensmuster gründlich ändern? In tausend Jahren nicht.

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