Fundevogel geht es gut

Hommage Der große Verleger Klaus Wagenbach lehnt sich zurück und genießt. Wir lesen sein Buch und genießen ein wenig mit

Er ist schwer zu fassen. Klaus Wagenbach, der unlängst 80 Jahre alt wurde, kommt noch immer so gelenkig an den einfachen Kategorisierungen vorbei, wie ein Fisch durch den Tegeler See. Dort, im Nordwesten Berlins, nahm die Geschichte auch ihren Anfang: Wagenbach ist in Berlin-Tegel geboren, unweit des damals schon touristisch erschlossenen Sees und unweit des großen Gefängnisses. Beide, das schöne Leben und der autoritäre Staat, sollten von da an eine große Rolle für ihn spielen.

Klaus Wagenbach ist vieles: Buchhändler, Hersteller, Herausgeber, Lektor, Übersetzer, Schriftsteller, Literaturwissenschaftler, Kunstkenner, Trüffelschwein, Genießer, Antifaschist, Cavaliere des Ordine al Merito della Repubblica Italiana, Träger des Deutschen Kritikerpreises, der Rahel-Varnhagen-von-Ense-Medaille, des Kurt-Wolff-Preises und des Großen Bundesverdienstkreuzes (und einiger kleiner), er ist Ritter der französischen Ehrenlegion und „alter Lachsack“ (sagt er selbst). Er trägt stets rote Socken, weil er eine rote Socke ist – links von der SPD und als Gegner der DDR. Er ist bürgerlicher Anarchist und notorischer Spießerhasser, Liebhaber Italiens, und – Autorinnen und Autoren gegenüber – sehr treu. So schenkte er sich selbst zum Geburtstag Bücher von drei heute leider kaum mehr populären Lieblingsautoren: Johannes Bobrowski, Christa Reinig und Kurt Bartsch.

Mit Begeisterung vor den Kadi

Bekannt geworden ist Klaus Wagenbach zum einen wegen seiner vielfach aufgelegten Bücher über Kafka, zum anderen wegen seiner vielen Prozesse, von denen er nicht wenige verlor. Doch ließ er sich immer wieder gern vor den Kadi schleppen, und den Titel „des am häufigsten vorbestraften lebenden“ Verlegers trägt er mit Begeisterung. Berühmt jedoch wurde Wagenbach durch seinen Verlag, den Wagenbach Verlag.

In dem Buch Die Freiheit des Verlegers, das seine Frau Susanne Schüssler herausgegeben hat, das „Erinnerungen, Festreden, Seitenhiebe“ des Verlegers aus fünf Jahrzehnten enthält und soeben aus Anlass des Jubiläums erschienen ist, findet man diesen ganzen schillernden „Fundevogel“ Wagenbach – „Fundevogel“ ist ein klassischer Wagenbachscher Begriff.

Der schreibende Verleger ist dabei im guten Sinne parteiisch. Allerdings steht er stets auf seiner Seite, von Zweifeln nicht berührt, das macht die Lektüre des Buches mitunter etwas unangenehm. Doch sind die meisten Texte auch Festreden und Verteidigungsschriften; dass in ihnen der Zweifler keinen Platz findet, versteht sich von selbst.

Im ersten Teil des Buches findet man persönliche Erinnerungen, an Kindheit und Jugend, an die buchhändlerische Ausbildung und die erste Reise nach Italien, an den merkwürdigen Entritt in die SPD – die Genossen in Frankfurt am Main konnten es nicht fassen, dass er ausgerechnet am Tag nach Adenauers größtem Wahlsieg Sozialdemokrat werden wollte – und an den Aufbruch nach Berlin und die Gründung des Verlages. In dieser Zeit hatte Wagenbach schon einiges hinter sich, er war junger Lektor des Fischer Verlags gewesen, aus dem er aus politischen Erwägungen entlassen wurde, er war auf Tagungen der Gruppe 47 eingeladen, wurde aufgrund seines jugendlichen Aussehens beinahe wieder hinausgeworfen, er kannte Günter Grass, dessen Hundejahre er lektoriert hatte, und Bobrowski und die westberliner Lebenskünstler Günter Bruno Fuchs und Robert Wolfgang Schnell. Er war etabliert, aber noch nicht bekannt.

Das änderte sich 1964, als er den Wagenbach Verlag gründete. Das Gründungskapital bekam er zusammen, indem er eine Wiese im Taunus, die ihm sein Vater zu diesem Zweck überließ, in Bargeld verwandelte. Diese Wiese ist innerhalb des Literaturbetriebs schon sprichwörtlich geworden, junge Verlegerinnen und Verleger werden heute in Interviews oft gefragt, was denn ihre „Wiese“ gewesen sei.

Ingeborg Bachmann und Grass überließen Wagenbach Texte, Grass ging sogar auf eine Vertreterreise mit Wagenbach, so dass der Verlag schnell zu einer kleinen Legende wurde. Seine Liebe zur Literatur der DDR drückte Wagenbach darin aus, dass er Bobrowski oder Stephan Hermlin verlegte, und schließlich sogar das erste Buch von Wolf Biermann, der in der DDR keinen Verleger fand und zunächst auch in der Bundesrepublik ungern gesehen war. Das brachte Wagenbach ein mehrjähriges Einreiseverbot in die DDR ein, der von Flugangst geplagte Verleger konnte in dieser Zeit Westberlin nur auf dem Luftweg verlassen.

Und da Wagenbach die 68er Bewegung mit großer Beteiligung verfolgte, wurde der Verlag schnell zum Verlag der Bewegung. Wagenbach verlegte Dutschke und Ulrike Meinhof, auch erste Schriften der RAF erschienen bei Wagenbach. Andere linke Verlage, wie der schon geradezu mythenumwobene März Verlag oder der Verlag Roter Stern (der heute, nach einem Konkurs, Stroemfeld heißt), der Merve Verlag oder die Edition Nautilus kamen erst später, in gewisser Weise hat Wagenbach also den linken Verlag erfunden und das Bild vom ­linken Verleger wesentlich geprägt. Nach einem misslungenen Versuch der Kollektivierung gründete sich aus dem Wagenbach Verlag heraus der Rotbuch Verlag, der ebenfalls lange Jahre die linken Debatten mitbestimmte. Wagenbach freut sich noch immer über seine Gründervaterrolle, wenngleich er heute an den linken Debatten kaum mehr teilnimmt und den erzkonservativ gewordenen Ex-RAF-Anwalt Schily weiterhin zu seinen Freunden zählt.

Einigen vergibt er nicht

Das Buch lässt für die Jahre nach 1970, in denen Wagenbach zur öffentlichen Person geworden war, kaum mehr persönliche Erinnerungen zu, nun wendet er sich ganz allgemein Freunden und Weggefährten zu, bietet noch einmal die großen Verteidigungsreden des Linksverlegers auf, die Auslassungen zu Usancen des Buchhandels und endet schließlich mit Texten zum Lob Italiens, das der deutsche Großstädter ganz und gar als Genussmensch wahrnimmt. Einigen vergibt er nicht, seinem ehemaligen Autor Wolf Biermann etwa, der den Verlag verließ und aussagte, er wollte nunmehr in einem „weniger politischen Verlag“ veröffentlichen. Oder Friedrich Christian Delius, dem ehemaligen Lektor und Kollektivisten, der sehr linksradikal in den Rotbuch Verlag wechselte, es von dort aber schnell in die Bürgerlichkeit schaffte. Dem Großverleger Siegfried Unseld, der seinen Suhrkamp Verlag nicht selbst begründete, der den Kollektivierungsideen seiner Lektoren nicht nachgab und dessen Verlag dennoch lange Jahre allen Wagenbachs zum Trotz die ganz großen linken Schriftsteller und Theoretiker veröffentliche, mag der Westberliner Kollege den Erfolg nicht nachsehen – Wagenbach muss Unseld beinahe zwanghaft zum intellektuellen Aufschneider degradieren. Und höhnt dem verstorbenen Kollegen nach, dass er, Wagenbach, seinen Verlag rechtzeitig an seine Ehefrau abgegeben hat – was Unseld allerdings ebenso getan hat, wenn auch spät. Auch dass sich Max Brod nach einigen Freundschaftsgesten von ihm distanzierte, verübelt Wagenbach, der sich selbst als „dienstälteste Witwe Kafkas“ bezeichnete, dem Jugendfreund und Nachlassverwalter Kafkas scheinbar noch immer. Der sonst so freigeistige und lebenslustige Geschäftsmann sieht oftmals Konkurrenten am Werk.

Man kann viel lernen aus diesem Buch, als Kritiker, als Buchhändler, als Leser und als Verleger. Wagenbach ist in vielerlei Hinsicht als Vorbild zu bezeichnen. Deutlich wird allerdings auch, dass Wagenbach, der nichts bereut, seit zirka 1990 seinen Frieden gemacht hat mit den deutschen Verhältnissen. Er sich aus der Verlagsleitung und dem Schreibgeschäft weitgehend zurückgezogen, schaut zu, wie der Verlag in erster Linie schöne – wirklich schöne – Bücher macht, und sich nur noch sehr wenig Politik leistet. Klaus Wagenbach hat seine Kämpfe ausgefochten, seine Gegner überlebt, sich mit seinem Freund Grass versöhnt, es geht ihm gut. Die derzeitige Regierung ist ihm so piepegal wie das E-Book.

Das alles zeigt das Buch auch. Wagenbach ist fröhlicher Pensionär, sein Buch ist eines über die Geschichte, nicht eines über die Gegenwart. Wagenbach hat seinen Teil zur Geschichte des Landes und seiner Literatur beigetragen, nun lehnt er sich zurück. Wohlverdient ist das allemal, doch ein Homo politicus würde anders handeln. In erster Linie ist der Verleger eben doch ein Genießer. Allerdings einer mit erlesenem Geschmack.


Die Freiheit des Verlegers. Erinnerungen, Festreden, Seitenhiebe Klaus Wagenbach, Wagenbach, Berlin 2010, 320 Seiten, 19,90

Jörg Sundermeier ist Programmleiter des Verbrecher-Verlags und Autor von Der letzte linke Student (2004)

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