Auf diese drei verkehrspolitischen Maßnahmen hat sich die Ampelkoalition Ende März geeinigt: 45 Milliarden für die Bahn bis 2027, Erhöhung der Lkw-Maut und eine Aufweichung der klimapolitischen Sektorenziele. Die ersten beiden Punkte sind nicht schlecht, aber letztlich Stückwerk. Der Investitionsstau bei der Bahn liegt je nach Expertenschätzung bei 50 bis 80 Milliarden. Der „Deutschlandtakt“ ist eine 40 Jahre alte Idee: 1982 führte die Schweiz mit einer Volksabstimmung einen landesweit integrierten Taktfahrplan ein. Das wurde zum Vorbild für Deutschland. Doch hier wird das wohl weitere 50 Jahre auf sich warten lassen, wenn man Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) glaubt. Beinahe ein Jahrhundertprojekt! Klimapolitisch völlig ko
Automobilbranche im Wandel: In China quietschen die Reifen
Verkehr In Deutschland pustet der Sektor mehr CO2 in die Luft als vom Klimaschutzgesetz vorgesehen. Dabei ist die hiesige Automobilbranche ins Hintertreffen geraten: Globale Marktführer sind VW und Co. längst nicht mehr
Jörn Boewe
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Hoppla, plötzlich drängen chinesische Marken wie Geely auf den E-Auto-Markt und hängen die Konkurrenz ab
Foto: VCG/Getty Images
kontraproduktiv ist hingegen die Abschaffung der sektorbezogenen Emissionsgrenzen. Alles in allem ist die Ampel weit entfernt von einer Verkehrswende.148 Millionen Tonnen CO₂ hat der Verkehrssektor im vergangenen Jahr in die Luft geblasen – neun Millionen Tonnen mehr, als es das Klimaschutzgesetz erlaubt. Und 1,1 Millionen Tonnen mehr als 2021. Rund drei Viertel davon machen Pkw- und Lkw-Verkehr aus. Verkehr ist der einzige Sektor, der sowohl seine Klimaschutzziele verfehlt als auch die absoluten Emissionen weiter steigert. Dabei sind die Fahrzeuge über die letzten zwei, drei Jahrzehnte tatsächlich deutlich sauberer und klimafreundlicher geworden. Dank besserer Lkw-Motoren ist der CO₂-Ausstoß je Tonnenkilometer seit Mitte der 1990er Jahre um ein Drittel zurückgegangen.Wo dann das Problem ist? Die Zahl der Lkw auf deutschen Straßen hat sich in der Zwischenzeit mehr als verdoppelt. Entsprechend wird mehr Fracht über mehr Kilometer gefahren. Und das hat natürlich Folgen für die Treibhausgasbilanz.2008 kippte die StimmungWährend die Politik in Deutschland weiterhin Mobilität nur rund um das Auto denkt, bleibt in der Autoindustrie gerade kein Stein auf dem anderen. Lange, zu lange haben die deutschen Hersteller auf den „sauberen Diesel“ gesetzt. Inzwischen bauen VW, Mercedes und BMW auf Elektromobilität – mit großen Versprechungen und mäßigem Erfolg. Digitalkonzerne und Batterieproduzenten machen den alten Automobilkonzernen die Kontrolle der Wertschöpfungsketten streitig. Neue Player wie Tesla, aber auch in Europa bislang weitgehend unbekannte Hersteller aus China geben den Takt vor.Überhaupt China: Die deutsche Industrie hat ihre Wende bei der Antriebstechnologie in der Öffentlichkeit als klimapolitische Maßnahme vermarktet. Ganz nach dem Motto: Schaut her, wir haben die Lehren aus dem Diesel-Skandal gelernt! Tatsächlich wurde die Richtungsentscheidung ganz woanders getroffen. Zwei Drittel aller Autos weltweit werden heute in Asien produziert. China ist der größte und am schnellsten wachsende Verbrauchermarkt für Pkw und die führende Herstellernation geworden. Um dem seit den 1990ern ausufernden Smog in Megacitys wie Peking und Shanghai zu begegnen, aber auch um die Wettbewerbsposition seiner Hersteller auf dem Weltmarkt entscheidend zu verbessern, setzte die Volksrepublik frühzeitig auf Förderung der Elektromobilität.China, niemand sonst, hat entschieden, dass die Zukunft des Automobils batterieelektrisch ist. Eine Richtungsentscheidung, die die globale Autoindustrie – immerhin Leitbranche der letzten hundert Jahre Kapitalismus – komplett durchrüttelt.Schaut man sich den weltweiten Automobilabsatz nach Herstellern an, sieht es auf den ersten Blick so aus, als habe sich nicht viel getan. Toyota und Volkswagen liegen seit Jahrzehnten Kopf an Kopf an der Spitze, wobei Toyota meist nach Stückzahlen und VW meist nach Umsatz die Nummer eins ist.Blickt man aber auf den Trend bei Produktion und Verkauf von Elektrofahrzeugen, insbesondere rein batterieelektrischen Pkw, ergibt sich ein völlig anderes Bild: Neben Namen wie Tesla oder VW drängen sich Firmen an die Spitze, die bis vor Kurzem in Europa völlig unbekannt waren: BYD, SAIC, BAIC, Geely – chinesische Unternehmen, die dank jahrzehntelanger Erfahrung in Batterietechnik und Elektronik im Zuge des E-Auto-Booms plötzlich ernst zu nehmende Konkurrenten für die alten Automobilkonzerne geworden sind.Die Marktmacht hat sich verlagertDie deutsche und europäische Autoindustrie macht in diesem Szenario wachsender globaler Konkurrenz keine sehr glückliche Figur. Zwar lag VW im vergangenen Jahr beim weltweiten Absatz von Elektro-Pkw hinter Tesla und BYD immerhin auf Platz drei. Doch die großen Strategiepläne gehen nicht auf. Software und Antriebsbatterie sind die Schlüsselkomponenten des Elektroautos: Hier entstehen Wertschöpfung und Gewinn. Und auf beiden Zukunftsfeldern schwächeln die alten Autokonzerne.Das ambitionierte Vorhaben von VW und Mercedes-Benz, die Softwareentwicklung im Automobilbau zu dominieren, zumindest für ihre eigenen Flotten, ist gescheitert. Stattdessen setzen sie nun auf Kooperationen mit Google und Apple. Die Zeiten, in denen Automobilkonzerne „top down“ eine pyramidenförmige Zulieferstruktur kontrollierten, gehen damit zu Ende. Ähnliches gilt für die gewachsene Marktmacht der Chiphersteller und Batterieproduzenten. Zugleich kommt die Umsetzung der ambitionierten Pläne für europäische Batteriefabriken ins Stocken. Offiziell will Volkswagen immer noch sechs Batteriefabriken in Europa errichten, vielleicht baut man aber auch nur vier. Nachdem die Regierung von Joe Biden in den USA kürzlich den „Inflation Reduction Act“ für europäische Unternehmen aufgeweicht hat, locken Milliardensubventionen von der anderen Seite des Atlantiks. VW plant seine nächste Batteriefabrik nun in Kanada statt in Osteuropa.Dennoch bleibt Osteuropa für die deutsche Autoindustrie verlängerte Werkbank und strategischer Zielort für die Verlagerung arbeitsintensiver Produktion. Der Prozess läuft seit den 1990er Jahren, hat aber deutlich an Fahrt aufgenommen. Wurden 2012 noch 5,6 Millionen Pkw in Deutschland produziert, waren es zehn Jahre später nur noch 3,6 Millionen – das ist ein Rückgang von 36 Prozent, wie das Handelsblatt Ende März unter Berufung auf eine aktuelle Studie berichtete.Deutsche Hersteller produzieren mehr als doppelt so viele Fahrzeuge jenseits der Grenzen wie hierzulande. Der Kipppunkt, an dem mehr Fahrzeuge im Aus- als im Inland produziert wurden, fällt nicht ganz zufällig mit der Krise in den Jahren 2008/2009 zusammen. Nach Berechnungen des Wirtschaftsgeografen Petr Pavlínek haben westeuropäische Automobilhersteller zwischen 2005 und 2016 in Osteuropa 237.935 Arbeitsplätze geschaffen. Zeitgleich haben sie in Westeuropa 254.317 Stellen abgebaut.Orbán pfeift auf ArbeitsrechteDie Gründe hierfür liegen auf der Hand. Auch wenn bei der Lobbygruppe Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) blumig von „Schwächen des Industriestandorts Deutschland“ die Rede ist, geht es am Ende im Kern um die niedrigeren Löhne in den „best cost countries“ der Peripherie. Während die Arbeitsstunde in der Branche in Deutschland mit Lohnnebenkosten bei 59 Euro kalkuliert wird, sind es in Polen oder Ungarn nur 13 Euro.Hinzu kommen laxere Arbeitsschutzgesetze und unternehmerfreundliche Arbeitszeitvorschriften. Insbesondere Ungarn ist über die letzten zwanzig Jahre zum Experimentierfeld für ein neues Fabrikregime geworden. „Die deutschen Automobilkonzerne sitzen seit Jahren bei Orbán auf dem Schoß und bedrängen ihn, im Arbeitsrecht all das zuzulassen, was sie in Deutschland nicht dürfen“, sagt eine Gewerkschafterin, die lieber anonym bleiben will, gegenüber dem Freitag.Wer am Ende das globale Rennen um die Marktführerschaft auf dem E-Auto-Markt für sich entscheiden wird? Das ist zwar noch nicht ausgemacht, aber eins steht fest: Elektroautos sind keine Antwort auf Klimawandel und Verkehrsinfarkt. Derzeit gibt es rund 1,2 Milliarden Pkw weltweit. Die Internationale Energieagentur IEA rechnet damit, dass es 2040 etwa doppelt so viele sein werden. 40 bis 50 Prozent davon könnten batterieelektrisch sein.Das würde aber bedeuten: In zwei Jahrzehnten sind immer noch genauso viele Autos mit Verbrennungsmotor unterwegs wie heute. Und das sind die optimistischen Szenarien.Placeholder authorbio-1